„Ein zartes Pflänzchen“

Dietrich Schulze im Gespräch über die Zivilklausel

Das Gespräch führte Kay Abendroth




Schulze ist Beiratsmitglied der Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“. Ab 1966 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1984 bis 2006 Betriebsratsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe, heute Teil des Karlsruhe Institute of Technology (KIT). Er hat die „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ mitgegründet. Mit Akrützel sprach er über die Verantwortung des Einzelnen, das Prinzip „dual-use“ und die internationale Entwicklung.

Foto: Privat

Was bringt eine Zivilklausel überhaupt?

Ohne eine solche Klausel können immer alle sagen: „Freiheit der Forschung und Lehre! Klar, dass wir auch Militärforschung betreiben können.“ Wenn durch Selbstverpflichtung eine Zivilklausel existiert, werden Forschung und Lehre für militärische Zwecke unterbunden. Darauf können sich dann alle berufen. Sie ist ein Mittel gegen die zunehmende Militarisierung der Hochschulen und ein würdiger Beitrag gerade dieses Landes – 66 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg.

Kann die Zivilklausel Forschung für das Militär und die Rüstungsindustrie an der Universität verhindern?

Da kann ich aus Erfahrung sagen: Jedes Gesetz, jede Regelung, jede Gestaltungsnorm demokratischen Charakters ist nur so viel wert, wie sie von den Menschen verteidigt, geschützt und notfalls eingeklagt wird. Die Klausel muss zum gelebten Selbstverständnis werden. Sie ist Ausdruck der Freiheit und Weltoffenheit der öffentlich finanzierten Einrichtung.

Verstößt die Zivilklausel gegen Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes: „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“?

Das Argument kam von Frankenberg (CDU), dem ehemaligen Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg. Der Verfassungsrechtler Prof. Erhard Denninger kommt in seinem Gutachten jedoch nicht nur zu der Schlussfolgerung, dass eine Zivilklausel für die Universitäten verfassungskonform ist, sondern dass eine solche Regelung sogar mit dem Friedensauftrag des Grundgesetzes in Übereinstimmung steht.
Seitdem gibt es von dort keine solche Stellungnahme mehr. Für die Uni Tübingen ist seit September sogar eine Zivilklausel rechtskräftig geworden.

Kritiker behaupten, die Zivilklausel würde Grundlagenforschung verhindern.

Das ist echter Unfug. Ein praktisches Gegenbeispiel: Das ehemalige Forschungszentrum in Karlsruhe hatte eine Zivilklausel und hat auf breiter Front Grundlagenforschung betrieben – neben Kernforschung auch Nanotechnologie und Umweltforschung. Niemand hat argumentiert, dass dadurch Grundlagenforschung behindert würde.
Sobald es in eine angewandte Richtung geht, muss man fragen: Welche Sorte von Industrie steht dahinter? Wer sind die Geldgeber? Wozu dient meine Forschungsarbeit? Das ist Aufgabe eines jeden verantwortungsbewussten Wissenschaftlers, finde ich. Wenn die Ergebnisse der Grundlagenforschung veröffentlicht werden, dann können sie natürlich von Militärforschungseinrichtungen und Rüstungsindustrie genutzt werden.

Ist nicht alles irgendwie „dual-use“, sodass gar nicht unterschieden werden kann, was zivile und was militärische Forschung ist?

Das Bundesforschungsministerium unter Ministerin Schavan (CDU) vermischt im Forschungsprogramm – im Gegensatz zur Vorgängerin Bulmann (SPD) – ganz bewusst das Zivile und das Militärische. Zum Beispiel ist im Lenkungsgremium für die Sicherheitsforschung ein Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums mit Sitz und Stimme vertreten. Er kann mitbestimmen, dass die zivil finanzierte Sicherheitsforschung in eine für das Militär nützliche Richtung entwickelt wird. Genau dasselbe spielt sich auch anderswo ab, zum Beispiel im KIT-Programm für zivile, unbemannte, intelligente und kognitive Landfahrzeuge. Dort sitzen im Steuerungsgremium Professoren, die mit der Rüstungsforschung direkt zu tun haben. Parallel dazu läuft ein europäisches Rüstungsprojekt für solche Landfahrzeuge – nämlich „Killer-Roboter“.

Wird „dual-use“ benutzt, um dies als Argument überhaupt erst vorbringen zu können?

Es wird ganz gezielt verwendet, um die Menschen zu täuschen. Nach außen ist es ein ziviles Programm – zivile Sachen sind gut –, aber tatsächlich existiert an vielen Stellen ein militärischer Hintergrund.
Deswegen ist die öffentliche Debatte darüber und das Aufzeigen der Hintergründe von großer Bedeutung. Der universitätsöffentliche und der darüber hinausgehende Dialog ermöglichen es jedem, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Haben Verantwortliche und Universitätsleitungen überhaupt ein Interesse daran, Forschung für das Militär und die Rüstungsindustrie breit zu diskutieren?

In Karlsruhe können wir definitiv nachweisen, dass das nicht so ist. Die wissen, was sie tun: Es soll einfach nicht diskutiert werden. Studierende und Doktoranden werden benutzt, weil sie zum Teil nicht wissen, was aus den Forschungsergebnissen gemacht wird. Teile der universitären Sicherheitsforschung wurden kürzlich von der Bundesregierung unter Geheimschutz gestellt. Das muss rückgängig gemacht und dem Gebot der Transparenz Geltung verschafft werden.

Stehen deutsche Universitäten mit Zivilklausel im europäischen und internationalen Vergleich allein da?

Weil am KIT Kern- und Waffenforschung unter einem Dach entstanden sind, wurde während der Konferenz zur Nicht-Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen im Jahr 2009 ein internationaler Protestaufruf mit Zivilklausel für das KIT beschlossen. Er wurde vom Bürgermeister von Hiroshima, Nobelpreisträgern und vielen anderen unterzeichnet. Auf der Folgekonferenz 2010 wurde das erneut aufgegriffen und die Zivilklausel für alle Universitäten gefordert.
Es ist noch ein zartes Pflänzchen. Schon jetzt gibt es Initiativen an zwei Dutzend Unis. Nach den erfolgreichen studentischen Urabstimmungen in Karlsruhe, Köln und Berlin zeichnen sich weitere ab. Die Resonanz in Frankreich, England und den USA ist noch nicht sehr groß, die öffentliche Debatte hat aber bereits begonnen. Vom 27. bis 29. Mai wird es eine erste internationale Konferenz an der TU Braunschweig geben.

Allgemein

Schreibe einen Kommentar

*