Orientierungsloser Extremismus

Hauptgefahr von rechts

Von Marc Zimmer

Mehr als 50 Zuhörer mit verschiedenen politischen Hintergründen folgten der Einladung des „Rings Christlich-Demokratischer Studierender“ (RCDS) zu einem Vortrag über die „Gefahren des Rechts- und Linksextremismus sowie des Islamismus in Thüringen“ am vergangenen Donnerstag: Neben RCDS-Mitgliedern waren unter anderem einige Burschenschafter anwesend. Vor allem aber kamen politisch links orientierte Studenten zu dem Vortrag, was der Entscheidung des RCDS, einen vorgeblich Linksautonomen mit Zwille auf dem Flyer zum Vortrag abzudrucken, geschuldet gewesen sein mag. Die Befürchtung einer Konzentration der Veranstaltung auf die politische Linke wurde jedoch sowohl vom RCDS-Vorsitzenden als auch von Redner Thomas Schulz, Öffentlichkeitsreferent vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, direkt zu Beginn zerstreut. Beide sahen die größte Gefahr ausdrücklich als vom extrem rechten Lager ausgehend. Dies wurde auch in Schulz‘ Vortrag deutlich, der fast ausschließlich Bedrohungen von Rechts behandelte und den – wie er es nannte –„Ausländer-Extremismus“ sowie Gefahren von Links nur kurz anschnitt. Politischen Extremismus definierte Schulz als „Bestrebungen, die sich gegen wesentliche Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten.“ Trotz der Fokussierung auf den Rechtsextremismus durfte das obligatorische Symbol linker Sachbeschädigung natürlich nicht fehlen: „Linke Gewalt. Möchten Sie einen brennenden Müllcontainer sehen? Soll ich den überspringen?” Das Video rief Belustigung im Saal hervor.

Schulz machte deutlich, dass man Linke und Rechte nicht gleichsetzen dürfe: Erstere hätten „eher Probleme mit Institutionen der parlamentarischen Demokratie“, Letztere seien menschenfeindlich. In Thüringen würden auf linker Seite unter anderem die MLPD, die KPD, Linksautonome und Anarchisten beobachtet, auf rechter Seite vor allem die NPD, autonome Nationalisten und sogenannte Freie Kräfte. Schulz betonte, die NPD sei in Jena wenig, das „Freie Netz“ jedoch sehr aktiv. Burschenschaften würden in Thüringen derzeit nicht beobachtet, durchaus aber in anderen Städten Deutschlands. Der Islamismus habe in Thüringen derzeit eine untergeordnete Bedeutung.
Im Vortrag und der anschließenden Diskussions- und Fragerunde hakten die Zuhörer des Öfteren kritisch nach. Schulz war bemüht, die Fragen zu beantworten, musste aber feststellen, dass viele der Anwesenden mit dem Extremismusbegriff und der Arbeit des Verfassungsschutzes im Allgemeinen Probleme hatten. Bei der Antwort auf die Zwischenfrage, ob nach der schwammigen Extremismusdefinition nicht auch die CDU beobachtet werden könnte, wurde deutlich, dass der Extremismusbegriff zu viel Deutungsspielraum lässt. Schulz musste zugeben, dass es sich dabei lediglich um eine Arbeitsdefinition handele. Am Ende wollte er sich aber an einer Diskussion um den Begriff nicht beteiligen. Er selbst würde auch mit einer anderen Definition arbeiten.

„Gemeingefährlicher Unsinn“

Von Kay Abendroth

Grundlage der Arbeit des Verfassungsschutzes ist eine umstrittene Theorie, in deren Zusammenhang Kritiker wie der Historiker Wolfgang Wippermann schon mal von „gemeingefährlichem Unsinn” schreiben.

Der Extremismusbegriff stammt aus dem Umfeld der Totalitarismustheorien. Die Hauptvertreter der Extremismusforschung waren und sind die Politologen Uwe Backes und Eckhard Jesse.
Nach der Definition aus dem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen „Politiklexikon” bedeutet Extremismus im politischen Sinn „die prinzipielle, unversöhnliche Gegnerschaft gegenüber Ordnungen, Regeln und Normen des demokratischen Verfassungsstaates sowie die fundamentale Ablehnung der mit ihm verbundenen gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten. Extremistische Einstellungen basieren in der Regel auf grundsätzlicher Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt, Toleranz und Offenheit und stellen häufig den Versuch dar, die aktuellen politischen, ökonomischen und sozialen Probleme auf eine einzige Ursache zurückzuführen.” Demzufolge kann jeder als Extremist bezeichnet werden, der schon einmal nicht zur Wahl gegangen ist, der Arbeitslosigkeit beklagt und kritisiert, oder ökonomische und soziale Probleme im herrschenden Wirtschaftssystem gesehen hat.
Der Extremismusbegriff lässt viel Raum für Interpretationen und ist zugleich eine politische Waffe. Da kann es auch zu solchen Behauptungen kommen: „Rechts- und Linksextremisten brauchen mithin einander. Letztlich sind sie also gar nicht daran interessiert, dass die andere Variante des Extremismus, die sie zu bekämpfen vorgeben, gänzlich von der Bildfläche verschwindet. Sie wollen vielmehr das hervorrufen, was sie so heftig attackieren”, heißt es im Buch „Politischer Extremismus“.
Ein an die Ränder des politischen Spektrums delegierter antidemokratischer Extremismus bildet implizit eine demokratische Mitte. Wer oder was das sein soll, ist jedoch relativ und veränderbar. Das kommt den sich selbst zu dieser demokratischen Mitte zählenden Parteien natürlich sehr zugute.
Das Mantra von den „extremistischen Rändern” hat noch einen anderen Neben­effekt: von Gefahren von oben (Abbau von Freiheitsrechten, Überwachungsstaat etc.) und aus der „Mitte” (Rassismus, Antisemitismus) wird schlichtweg abgelenkt. Gefährdet nicht auch eine weltweite Finanzkrise die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO)? Und werden deswegen Banker und Aufsichtsräte vom Verfassungsschutz überwacht?
Gefahren für die FDGO könnten nur von irgendwelchen „Rändern” ausgehen. Begründet wird diese These gern mit der Weimarer Republik. Die ist aber nicht von links und rechts zerstört worden, sondern von oben und aus der Mitte.
Wippermann meint: „Wer von Faschismus statt von Extremismus spricht, weist zugleich auf seine kapitalistischen Strukturen und Vorraussetzungen sowie auf seine Bundesgenossenschaft mit dem Konservatismus hin.” So gesehen sei der Faschismus- bzw. der Antifaschismusbegriff tatsächlich eine politische Waffe, der mit dem Extremismusbegriff begegnet werden solle.

Allgemein

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