Wer ist Schuld an mieser Lehre? Zweimal Polemik (Teil 2)

Selbstdemontage und Psychoterror

Von Christian Fleige

Wie ein Schluck Wasser in der Kurve hing die Dozentin morgens um halb neun auf ihrem Stuhl. Vor ihr die übliche Latte macchiato im lila Becher amerikanischen Ausmaßes für irgendwas um die drei Euro aus der Kaffeebude ihrer Wahl. Im Grunde war der Kaffee jedoch teurer gewesen, bedenkt man die versteckten Kosten. Sie hatte zusätzlich mit einer anderen Währung gelöhnt, deren Wert ein Dozent gerne einmal unterschätzt: mit studentischer Zeit, kam sie mit dem Becher in der Hand doch regelmäßig zu spät. Wir warteten und sie ließ auf sich warten. Das gute Beispiel – mit dem sie eigentlich vorangehen sollte – tapste schlaftrunken hinterher und verkündete Woche für Woche weit nach viertel, das  heutige Thema sei nicht unbedingt ihr Steckenpferd. Kaffeeschlürfend frönte sie der Selbstdemontage und  Vertreibung unserer Motivation.
Eines Morgens kam es dann noch dicker. Sie, die noch zu kürende Doktorin, unterbrach eine durchschnittlich referierende Gruppe und machte auf inhaltliche Unstimmigkeiten aufmerksam, die im Grunde, so sagt es zumindest das Lehrbuch, ordentlich stimmig waren. Getuschel schwappte durch den Raum, das Wort Steckenpferd fiel mehrmals, und die betroffene Gruppe rechtfertigte ihre Inhalte. Das gebellte Widerwort der Dozentin: „Ich habe kein Problem damit, Sie hier sofort rundzumachen!“ Einige Momente der Stille folgten, dann eskalierte die Situation: Das Referat wurde abgebrochen, Stimmen erhoben sich und am Ende schallte das Verbalduell durch alle Flure. Sieger gab es nicht.

Die beschriebene Situation ist ein Sonderfall, klar. Es ist nicht an der Tagesordnung, dass Dozenten so aus der Rolle fallen, das Schreien beginnen und ihren Studenten ganz unverhohlen mit psychischer Gewalt drohen. Denn nichts anderes ist es, wenn Dozenten ihren Studenten so einheizen. Vielleicht um die eigene Unwissenheit zu kaschieren, vielleicht, weil der eine Kaffee an diesem Morgen nicht ausreichte. Darüber, welche Auswirkungen solch ein Verhalten auf schwächere studentische Gemüter haben kann, lässt sich nur spekulieren. Die Folgen für ein Seminar sind hingegen einfach zu umreißen: Sie sind tödlich. Konformität macht sich breit, das Bildungsideal verkümmert. Das wirklich Schlimme daran: Als Dozent kann man sich selbstredend ein Benehmen wie eine offene Hose leisten – passiert ja nichts, trotz verbalen und anderen Aussetzern sitzt man letztlich am längeren Hebel. Ganz egal, ob der Student die Motivation fürs Seminar oder gleich fürs ganze Fach verliert.

Aber auch schon weniger harsche Fälle können die Seminarsituation eines ganzen Semesters prägen. Was ist mit dem Dozenten, der schon lustlos aufschlägt, der jedes Referat für eigene Monologe unterbricht? Oder mit der Lehrkraft, die schon in der ersten Sitzung festlegt, dass man sich nur alle zwei Wochen treffen müsse, da ja nicht genügend Referenten für alle Sitzungen vorhanden seien? Die in jeder Sitzung mit ihren Latein- und Griechischkenntnissen prahlt? Oder mit jener, die keine konkreten Forderungen aufstellt, aber alles verlangt? Und mit den Fremdwortlawinen, die sie lostreten, um alle Seminarteilnehmer darunter zu begraben? Mit offenem und unterschwelligem Mobbing durch die Lehrkraft, die Schleimer preist und ausschließlich referieren lässt? Was ist mit der längst überfälligen Frage: Habt ihr sie noch alle?
Es gibt tausend Wege, ein Seminar lahmzulegen – und die meisten Dozenten finden sie mit schlafwandlerischer Sicherheit. Dass es auch anders geht, stellen leider zu wenige unter Beweis. Denen, die es schaffen, gebührt Dank. Sie lassen mühselige Dinge einfacher erscheinen: das Aufstehen kurz nach sieben, das Durcharbeiten von 100 Seiten Lektüre im Wochenrhythmus oder das Verfassen von Essays zusätzlich zur Seminararbeit. Keine Verbalduelle, kein Rundmachen. Nur eine ganz entspannte Arbeitsatmosphäre.


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