Kurze Flucht aus dem Alltag

Studenten betreuen jugendliche Sträflinge

Von Marco Fieber

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Foto: TheRouge/Flickr.com

Sebastian* benötigt keinen Handywecker, wenn er – für studentische Verhältnisse mitten in der Nacht – um 6.15 Uhr aufstehen muss. Er wird geweckt. Sogar das Frühstück ist schon fertig, als er sich eine gute halbe Stunde später an den Tisch setzt. Danach werden er und seine Kollegen abgeholt und gemeinsam machen sie sich auf zur Arbeit. Sebastian ist einer der „Ergoleute“, wie er sich selbst nennt. Das ist eine fünf- bis achtköpfige Gruppe, die in einer Werkstatt verschiedene Handarbeiten erledigt, wie basteln, sägen und streichen. Sebastian ist eigentlich ein gewöhnlicher 17-Jähriger, allerdings macht er keine Ausbildung und zur Schule geht er ebenso wenig. Das ist auch gar nicht möglich, denn Sebastian sitzt im Gefängnis – in der Jugendstrafanstalt Weimar, einer Zweiganstalt vom Hauptgefängnis in Ichtershausen. Für die zur Zeit etwa 90 untergebrachten Jugendlichen besteht keine Schulpflicht. Alle Arbeiten, zu denen auch kochen und putzen zählen, sind in der Anstalt heiß begehrt. Es ist die einzige Abwechslung für die 14- bis 23-jährigen Insassen, abgesehen von einer Stunde Freigang am Tag. Wer keine Arbeit hat, muss die restlichen 23 Stunden in seiner Zelle verbringen: zu zweit auf etwa acht Quadratmetern, inklusive Doppelstockbett, Schreibtisch und mit Glück einem Fernseher.

Studentengruppe = Streber

Ein Lichtblick in Sebastians tristem Gefängnisalltag ist der Mittwoch. Nach dem Mittagessen, um 14 Uhr, kommt eine Studentengruppe. Die „Streber“, wie sie anfangs noch von den freiwilligen Teilnehmern tituliert wurden, sind eine wöchentlich wechselnde Zweierbesetzung von Jenaer Studenten, die sich als ehrenamtliche Vollzugshelfer in der Jugendstrafanstalt engagieren. Katharina Frank, ein Mitglied der 13-köpfigen Gruppe aus verschiedenen Studiengängen, erzählt, wie das Projekt 2007 in Eigeninitiative von Jurastudenten ins Leben gerufen wurde: „Im Rahmen einer Exkursion fuhren wir damals nach Weimar, um einen Rundgang durch die Anstalt zu machen.“ Dort  seien sie von der Perspektiv- und Beschäftigungslosigkeit der Jugendlichen bedrückt gewesen und wollten daran etwas ändern, inspiriert von einem ähnlichen Betreuungs-Projekt in Bonn. „Daraufhin wandten wir uns an Prof. Dr. Frank Neubacher“, damals Dozent für Jugendkriminalität an der Uni Jena. „Mit seiner Hilfe planten wir die ersten Schritte der anfänglich sechs Mitglieder und er leitete auch die nötigen Formalien in die Wege“, berichtet die 25-jährige Jurastudentin.
Die Hürden auf dem Weg zum ehrenamtlichen Vollzugshelfer sind hoch, wenngleich sich jeder Bürger dafür bewerben kann. „Zu den Voraussetzungen, die zum Erhalt des auf ein Jahr befristeten Berechtigungsausweises erfüllt werden müssen, zählen ein Bewerbungs- und Motivationsschreiben sowie ein makelloses Führungszeugnis“, erläutert Mitstreiterin Laura Menger das umfangreiche Prozedere. Beim ersten Besuch folgt zudem eine halbstündige Belehrung. Nun erhalte man zwar Zutritt zur Jugendstrafanstalt, frei bewegen dürfe man sich dort aber nicht, erzählt die angehende Psychologin. Auch müsse man am Anfang an „ganz banale Dinge denken, wie davor den Schlüssel oder das Handy abzulegen“.
Natürlich machen sich die Studenten auch Gedanken über die jugendlichen Straftäter. Allerdings wollen und erhalten die Vollzugshelfer keinerlei Hintergrundinformationen zu den Teilnehmern. Laura meint auch, dass diese „Infos bei der Betreuung nicht relevant sind“ – man könne es sich aber schon denken, was vorgefallen sein müsse, „um beispielsweise als 14-Jähriger fast zehn Jahre aufgebrummt zu bekommen.“ Das ist aber nicht der Hauptgrund, warum die studentischen Zweierteams gemischt sind, berichtet Laura, denn die Jugendlichen „behandeln die Frauen sehr respektvoll, sie geben die Hand, schauen in die Augen oder stellen den Stuhl hin“ – ein Wärter ist aber trotzdem mit dabei.
„Unsere Unterstützung wird von der Anstalt gern angenommen, da es im Vergleich zu anderen Gefängnissen kein großes Sozialangebot gibt“, bestätigt Katharina auch in Hinblick auf das spärliche Sportprogramm. Die eineinhalb- bis zweistündigen Sitzungen mit drei oder vier, selten mehr als sechs Jugendlichen laufen meistens ähnlich ab. Anfangs finden gemeinsame Diskussions- und Gesprächsrunden statt, anschließend basteln die Teilnehmer gemeinsam etwas, beispielsweise unter dem Motto: „Wie stellt ihr euch eure Traumzelle vor?“ Das Ende des Besuchs bildet dann ein Gesellschaftsspiel wie „Stadt, Land, Fluss“ oder „Uno“. Wenn Katharina vom „Gefangenenprojekt“ spricht, stellt sie klar, dass man zwar auf einer Ebene mit den Jugendlichen sei, aber man dürfe die Insassen nicht als Kumpels sehen, damit diese nicht den nötigen Respekt verlieren.

Projekt: Zeitung

Um den Jugendlichen ein Erfolgserlebnis zu verschaffen und ihnen etwas Selbstorganisation und Reflektion zu vermitteln, planen die Studenten nun eine Häftlingszeitung. „Das wird das bisher langfristigste Projekt und es wird zudem inhaltlich von den Insassen selber gestaltet“, bewundert Katharina den Enthusiasmus, den die Jugendlichen bei der Ausgestaltung an den Tag legen. So seien ein „Knast-Deutsch-Wörterbuch“, Interviews, Artikel über die eigene Geschichte, Gedichte, Erzählungen zum Gefängnisalltag und Zeichnungen geplant. Die fertige Zeitung wird im Januar erst einmal intern erscheinen, man hat später auch vor die Zeitung „draußen“ zu verteilen. Bis dahin geben die Vollzugshelfer noch reichlich Anleitungen, Workshops und redigieren die Texte.
Die Studenten bekommen seit dem Beginn des Zeitungsprojektes oft zu hören, dass durch die vielen neuen Aufgaben „die Tage und Wochen viel schneller rum gehen“, erzählt Laura am Ende. Die Insassen befragen sich auch untereinander, wie weit man sei und nehmen es ernst, wenn einer der „Jungs“ seinen Teil nicht erfüllt hat. Letzteres Problem besteht bei Sebastian nicht, denn er könne es kaum erwarten, endlich die fertige Zeitung in den Händen zu halten.


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