Jena, ick liebe Dir

Teil 11: Die Camsdorfer Brücke bei Nacht

Von Hauke Rehr




Ein Ort zum Philosophieren

Foto: Katharina Schmidt

Pah! So ein Titelbild könnte ich auch erstellen. Belichtungszeit auf zwei Minuten eingestellt, mit der Taschenlampe rumgefuchtelt, fertig. Diese Leute vom Akrützel sollen mal nicht so angeben.
Was ich hingegen nicht so einfach nachahmen könnte und mich in letzter Zeit wiederholt staunen ließ, sind die sonderbaren Muster, die unbekannte Kräfte dieser Tage auf der Camsdorfer Brücke hinterließen. Spät war es, als ich wie üblich die Brücke überquerte, um mein Schlafdomizil zu erreichen. Ich begebe mich lieber nächtens zum Sinnieren dorthin und gelegentlich treffe ich dort auf Bekannte. Ich sah dunkle Streifen am Boden und konnte sie mir nicht erklären. Fortan spekulierte ich über ihren Ursprung.

Haben Außerirdische hier ihre Handschrift hinterlassen? Handelt es sich um die Manifestation eines seit Jahrzehnten auf Jena lastenden Fluchs? Oder zeigt sich hier der Versuch eines Sektenführers, eine neue Heilige Schrift zu etablieren? Diese Fragen vermochte ich zwar nicht zu beantworten, doch eines habe ich in Erfahrung bringen können: Im Stil unterscheiden sie sich erheblich von den weniger filigranen Ornamenten in der Mensa. Offensichtlich steckt nicht dieselbe Kraft dahinter.
Manch eine Nacht habe ich hier verbracht in der Hoffnung, das Rätsel zu lösen. Wer mag die Brücken mit Zeichen beschmücken, ob Gute, ob Mächte des Bösen?
Das Rauschen der Saale, beiderseits von üppigem Grün flankiert, und der Mond, dessen volle runde Scheibe im Sternennebel gerne auf Sternhagelvolle niederscheint, ziehen mich immer wieder in ihren Bann und lassen mich Stunde um Stunde hier verweilen.
Gedankenverloren betrachte ich das Spiel des Mondlichts auf den bewegten Wassern, lausche ich dem Rauschen des Windes nicht nur in den Weiden.
Der Vollmond hat mich schon immer gefesselt. Luna ist es auch, die mich später den Weg vergessen machen wird, der vor mir liegt. Als Hans Guck-in-die-Luft irre ich dann umher, bis der nächste zu Beleuchtungszwecken installierte Metallhalm der Zivilisation sich meiner Trägheit entgegenstellt, woraufhin ich meine Blicke vom Firmament ab- und meine Schritte heimischen Gefilden zuwende. Wieder bekunde ich meinen Unmut ob dieser jäh aus dem Boden starrenden Bögen und beschwere mich beim Universum.
Auf der Brücke stört mich beim Sinnieren zwar nicht ihre bloße Anwesenheit, doch wird die idyllische Atmosphäre nicht durch die lärmenden Fahrzeuge allein, die sich gelegentlich hierher verirren, gemindert: Auch ein Zuviel an Licht macht die heimelige Düsternis zunichte, in die sie die Nacht vergeblich zu hüllen sucht. So schweifen meine Blicke abermals ab von Mond, Fluss und Ufer, magisch angezogen von jenen mystischen Runen, die ihr Menetekel auf den Gehweg zeichnen.
Meine Gedanken schwirren heute nicht um das fehlende Gegenüber, nicht um das eigene Leben, nicht einmal um skurrile philosophische Fragen. Mein Geist dreht sich um jene Zeichen, bis sich die Zeichen um meinen Geist zu drehen scheinen und ich torkele erneut schwindelig und desorientiert davon, grob gen Osten, wenigstens in erster Näherung, bis mir die nächste Laterne eine neue Richtung gibt.
Nach diesem nächtlichen Flipperspiel kugele ich mich im Bett zusammen und hoffe auf bessere Zeiten …


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