Claras Geheimnis

Zu Besuch bei Jenas Stadtschreiber

Von Franziska Puhlmann




Die Villa Rosenthal in der Mälzerstraße wird auch in Zukunft die Stadtschreiber Jenas beherbergen.

Foto: Maximilian Gertler

Wie erforscht man das Leben einer Frau, von der nicht einmal ein Bild existiert? Vor dieser Frage stand vor gut einem Jahr der erste Stadtschreiber Jenas, Stephan Laudien. Als Empfänger des Clara-und-Eduard-Rosenthal-Stipendiums war dem heute 44-jährigen Historiker und Journalisten der Sonderauftrag übertragen worden, das Schicksal der Familie Rosenthal aufzuarbeiten.

Diese Aufgabe sei sehr reizvoll für ihn gewesen, weil die Geschichte der Rosenthals exemplarisch für die Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts sei. Die Familie war in Jena hoch angesehen. Eduard Rosenthal war Jurist, Hochschullehrer und Abgeordneter des Thüringer Landtags. Clara Rosenthal wurde im Alter als Jüdin verfemt und Curt Arnold Otto Rosenthal, der Sohn der Familie, war 1914 als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg gefallen. „In dieser Familie ballt sich exemplarisch die Geschichte Deutschlands bis 1945“, so Laudien.
Als er im Oktober letzten Jahres sein Amt als Stadtschreiber antrat, war für ihn klar, dass die Gefahr, nichts zu finden, groß war. Von Clara Rosenthal, bei der er einen klaren Forschungsschwerpunkt gesetzt hatte, existierte kein gesichertes Foto und auch sonst gab es kaum stichhaltige Informationen. Das verblüfft deshalb, weil viele Erzählungen über die Familie kursieren und der bekannte Jenaer Historiker und Universitätsprofessor Alexander Cartellieri Clara Rosenthal sogar als die Grande Dame der Stadt Jena bezeichnete.
Laudiens Nachforschungen über die gängigen Wege wie Bibliotheksrecherchen, Studien bereits vorhandener Forschungsarbeiten und Auswertungen von Archivmaterial verliefen ohne nennenswerten Erfolg. Auch gab es keine Zeitzeugen, bis auf einen Mann, der im Todesjahr Clara Rosenthals gerade einmal acht Jahre alt war. Im Freundeskreis Clara Rosenthals fanden sich Spuren, die zu Charlotte von Orth und Grete Unrein, der Tochter Ernst Abbes, führten. Doch greifbare Ergebnisse waren auch hier nicht zu erzielen.
Eine weitere Spur führte Laudien zu dem Leipziger Bildhauer Adolf Lehnert, der 1927 ein Bronzerelief einer Frau angefertigt hatte, das sich noch heute in der Villa Rosenthal in der Mälzerstraße befindet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei dieser um Clara Rosenthal handelt.
Außerdem fand er ein Bild von der Eröffnung der Rodin-Ausstellung 1904 in Weimar. Dank einer Bildanalyse mittels eines Vergleichsfotos konnte das LKA in Magdeburg Eduard Rosenthal identifizieren. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch Clara Rosenthal unter den Gästen der Eröffnung war. Da eine Sekundärquelle fehlt, lässt sich das nicht mit Sicherheit sagen.
Mit Sicherheit weiß man aber, dass sich Clara Rosenthal am 11. November 1941 in der Villa mit dem Schlafmittel Veronal das Leben genommen hat. Cartellieri schreibt in seinem Tagebuch, der Freitod von Clara Rosenthal gehöre zu den Zeichen der Zeit. Ihr Suizid war wohl die Antwort auf die Repressalien durch die Nationalsozialisten, deren Ausmaß ein Brief vom 27. Juni 1939 erahnen lässt. Darin schreibt der damalige Stadtbaurat, dass der Oberbürgermeister bemängelte, eine Jüdin wohne in einem arischen Haus, und darauf die Anweisung gab, sofort einzuschreiten und das Haus judenfrei zu machen. Und das, nachdem Clara Rosenthal 1928 das Haus an die Stadt verschenkt hatte.
In ihrem Testament verfügte sie, dass die Villa nach ihrem Tod einer öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht werden solle. Dieses Erbe hat die Stadt Jena inzwischen angenommen. Anfang November 2009 eröffneten „jenawohnen“ und „JenaKultur“ die umfangreich sanierte Villa, die seitdem 9.000 Besucher verzeichnen konnte. Das Haus ist heute für Veranstaltungen buchbar. Das Andenken der Rosenthals wird wachgehalten durch ein Gedenkzimmer für die Familie. Außerdem beherbergt die Villa die Stadtschreiber.
Das wirkt wie eine späte Wiedergutmachung. Die Stadt Jena scheint ihre Vergangenheit aufgearbeitet zu haben. Für diesen Schritt war die Arbeit Stephan Laudiens wichtig und notwendig.
Auch wenn er bisher nur kleine Erfolge feiern konnte, will Laudien auf jeden Fall weiter forschen und den noch offenen Pfaden nachgehen. Er hofft, dass die bisher nicht zugänglichen Aktenbestände der Psychiatrie Jena, wo Clara Rosenthal Patientin war, und der Nachlass von Rudolf Eucken, dessen Frau Irene mit ihr im Beirat der Kunstfreunde von Weimar und Jena war, einen Schatz für ihn bergen könnten.
Bis das soweit ist, scheint es, als sollte Alexander Cartellieri Recht behalten: Clara Rosenthal war eine Grande Dame, die es noch immer versteht, ihre Geheimnisse zu hüten.


Kommentare

Eine Antwort zu „Claras Geheimnis“

  1. Zauberhaftes Foto zu einem zauberhaften Artikel:)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert