Die Entwicklung der modernen Street Art
Von Christian Fleige
Ein Werk des Meisters Blek le Rat in Paris. Foto: Troy Holden / flickr.com |
“If street art is massive, then Blek le Rat is omnipotent.†Gewichtige Worte, die dem Pionier der globalen Street-Art-Szene gelten, dem Pariser Xavier Prou. Inspiriert von der aufblühenden Graffiti-Szene im New York der siebziger Jahre begann Blek 1981 seine Künstlerkarriere in der französischen Hauptstadt im Zeichen der Dosenkunst. Doch schon nach den ersten Pieces musste er feststellen, dass der von ihm kopierte amerikanische Graffiti-Style nicht in das geschichtsträchtige Paris passte. Große, bunte, mit Sprühdosen gemalte Fresken hatten für ihn auf den Wänden dieser Stadt nichts zu suchen.
Eine paristaugliche Ausdrucksform fand Blek, indem er eine alte Technik einer neuen Bestimmung zuführte: die Schablone, die älteste Technik, ein serielles Bild zu produzieren. Im Französischen ruft man die Schablone „pochoir“, im Englischen hört sie auf „stencil“, wobei letztere Bezeichnung die szenetypische ist. Gefertigt wird das Stencil aus Materialien wie Papier, Pappe, Kunststoff oder dünnem Aluminium; es kommt dabei ganz auf den Verwendungszweck und die vorgesehene Nutzungsdauer an. Das Arbeiten mit der Schablone in den Straßen ist schnell und effizient, da die eigentliche Leistung schon zuvor in einer adrenalinfreien Umgebung erbracht wird. Banksy, eine zweite und allseits bekannte Szenegröße, bringt den Vorteil des Stencils süffisant auf den Punkt: „Eine gewöhnliche Sprühdose von 400 Milliliter Farbe reicht für etwa 50 Stencils auf DIN A4. Das heißt, dass man quasi über Nacht in einer kleinen Stadt für gerade einmal 10 Pfund unglaublich berühmt oder unbeliebt werden kann.“
Noch kein Verbrechen
in den 80ern
in den 80ern
Und so schnitt Blek 1981 die ersten Stencils der Street-Art-Szene und sprühte sein späteres Markenzeichen, die Ratte, in der ganzen Stadt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Die Dosenkunst im öffentlichen Raum war zu Beginn der Achtziger noch kein krimineller Akt. Das Leben „on the run“ kam damals einem Stadtspaziergang gleich. Im Laufe der Jahre wurden Bleks Schablonen immer größer, die Motive begannen zu variieren. Im Jahr 1989 entstand die erste lebensgroße Figur, die einen alten irischen Mann zeigte, der auf dem Foto, das als Vorlage diente, britische Soldaten anbrüllte, die ihre Waffen auf Steine werfende Jungen richteten. Blek le Rat hat mit seinen Arbeiten einen Meilenstein geschaffen. Er war derjenige, der Banksy und anderen den Weg ebnete: „Jedes Mal, als ich dachte, dass ich was halbwegs Originelles hinbekommen hätte, stellte ich fest, dass Blek es schon ganz genauso gemacht hat. Bloß 20 Jahre früher.“
Neben den Schablonen gibt es in der Street Art noch drei weitere dominante Techniken: Plakate, Cut-Outs und Aufkleber. Plakate kann man in zwei verschiedene Arten unterteilen: Text- und Bildplakate. Die bemalten oder bedruckten Werke, deren Größe bis hin zum DIN-A1-Format reichen kann, werden mit Tapetenkleister auf Wandflächen aufgetragen. Dabei wird möglichst dünnes Papier verwendet, um ein allzu einfaches Abreißen zu verhindern.
Eine Weiterentwicklung des Plakats stellt das Cut-Out dar. Wie im Falle der Plakattechnik wird das Motiv auf Papier gebracht, doch dann, der Name deutet es an, umschnitten. Die Cut-Outs brechen so mit den genormten Formaten der Plakate, verlassen ihren monochromen Hintergrund und interagieren mit der architektonischen Trägerfläche. Im Vergleich zu den Plakaten entsteht eine neue ästhetische Dimension, wenn lebensgroß umschnittene Figuren in Hauseingängen oder an anderen Orten auf den Passanten warten.
Die wohl jüngste Technik sind Aufkleber, die den Klebstoff bekanntlich schon auf der Rückseite tragen. Ein aufwendiges Kleben entfällt und das Anbringen des schon vorbereiteten Aufklebers wird zu einem schnellen und unauffälligen Akt. Es war Solo One, der mit Hilfe von Aufklebern das in die Jahre gekommene Taggen auf das nächste Level hob, es revolutionierte.
Der beliebteste Sticker in der Szene ist wohl der zweckentfremdete Paketaufkleber der Deutschen Post. Er bietet ausreichend Trägerfläche und ist in jeder Filiale unentgeltlich abzugreifen. Zu sehen ist er dann häufig auf Regenfallrohren, Laternenpfählen, Schaltkästen oder auf den grauen Rückseiten von Verkehrsschildern. Viele Aufkleber an einer Stelle formen dann ein sogenanntes Stickermuseum.
Der Künstler als Aktivist
Schon bei Blek le Rats Motiven war der politische Anspruch klar auszumachen. Ob Ratte oder irischer Großvater, die Symbolkraft der Werke ist nicht zu ignorieren. Doch schon das Kleben oder Sprühen selbst kann als politischer Akt gesehen werden: Die urbane Kunst autorisiert sich selber, sie fragt nicht um Erlaubnis, sie spielt mit dem Wissen um die Strafbarkeit.
Trotz seiner Sprengkraft steht der künstlerische Vandalismus im Hintergrund. Die entscheidende Ebene ist die des Inhalts. Viele weltweit bekannte Street Artists wie Banksy beschreiben sich selbst als Aktivisten, die sich bei der Wahl der Waffen für die Kunst entschieden haben. Über die politische Dimension von Schablonen-Graffiti denkt der britische Künstler wie folgt: „In allen Graffiti steckt ein Aufbegehren, aber Stencils haben eine ganz eigene Geschichte. Mit ihnen wurden Revolutionen ausgerufen und Kriege beendet. Sie wirken allein auf Grund ihres Stils politisch. Selbst das Bild eines Piano spielenden Hasen sieht krass aus.“ Banksy nutzt die Schablonen als Ausdrucksform seiner Ideen und Ansichten. Frech erklärt er mit einem Werk eine Mauer im Namen der Behörden zur autorisierten Graffiti-Zone. Er verleiht mit seiner Kunst selbst Zootieren in deren Gehege eine lakonische Stimme: „I want out!“ oder „This place is boring!“ ist dort zu lesen. Dabei folgt dem Schmunzeln zwangsläufig ein ernsthafter Gedanke.
Extremer war Banksys politisches Statement in Palästina, wo die 700 Kilometer langen und 2002 erbauten Speeranlagen, die Israel und Palästina trennen, Ziel seiner Kreativität wurden. Jede einzelne Arbeit thematisiert die Überwindung des Walls, der die Berliner Mauer um das Doppelte überragt hätte. In der Werkreihe von Bethlehem nimmt das Trompe-l´oeil, ein illusionistisches Gemälde, das mit perspektivischen Mitteln Räumlichkeit vortäuscht, einen zentralen Platz ein. Mit einer Mischtechnik aus Schablonen, Landschaftstapete und freier Malerei inszenierte Banksy illusorische Löcher im Wall, die den Blick täuschen und dem Betrachter vorgaukeln, geradewegs durch den Betonkoloss auf einen Palmenstrand oder sommerlichen Himmel zu blicken.
Ein Schablonenmotiv zeigt ein Mädchen, das im Begriff ist, das Demarkationsungetüm mit einer Wolke aus Luftballons zu überwinden. In einem anderen, weniger aufwändigen Fall sprühte Banksy großformatige Schnittmarkierungen auf den Beton. Ein fast kindlicher Gedanke: mit wenigen Schnitten in die Freiheit. Diese Einfachheit wirkt entlarvend. Die Phrase „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ erscheint zutreffend.
Es mag diese Bildmacht gewesen sein, die Blek le Rat 1981 erahnte, als er sich für die Schablone und gegen die Graffiti entschied. Er entschied sich für das Bildhafte und gegen das geschriebene Wort der Graffiti-Szene und etablierte eine eigenständige Kunstform, die erst in den letzten zehn Jahren so richtig in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist: Street Art.
Mit freundlicher Unterstützung
durch Luis Müller Philipp-Sohn
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