Von Ratten und Mauern

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Street Art und Graffiti in der Saalestadt: Ein Rundgang durch das Jena der Sprayer, „Kleber“ und Kunst-Aktivisten

Von Anna Zimmermann



Foto: Katharina Schmidt

“Wo sind Liebe, Freude, Leidenschaft? Verschollen zwischen Alltag und Routine.“ Signiert ist das Bild mit „Some“. Die Buchstaben scheinen von der Wand zu funkeln, an die sie geklebt sind. Daneben ist der Opa des Disney-Films „Up“ befestigt. Er hängt an einem Luftballon und schaut resigniert auf die Tegut-Entladezone. Ohne ihn zu bemerken, eilen Studenten vorbei; auf dem Weg zur Uni wird die Umgebung selten aufmerksam betrachtet. Doch wer den Blick hebt, mit dem spricht die Stadt, besonders hier, am Campus: Historische Persönlichkeiten, die von den Toten auferstanden sind; Schmuddelkinder und alte Comic-Helden, die zum Kampf gegen die Gleichschaltung rufen – sie alle teilen dem aufmerksamen Passanten ihre Botschaft mit. Manches ist direkt und offen, manches verschachtelt und manches schlicht unverständlich.

Im Rundblick lassen sich neben dem oben beschriebenen Cut-Out auch andere Formen von Street Art und Graffiti entdecken: Tags, Stencils, Sticker, bemalte Leinwände, Fliesen und Styroporschnitzereien. Ständig kommen neue Objekte dazu, alte verschwinden und das Gesamtbild ändert sich. Beinahe jeden Tag gibt es etwas Neues zu entdecken. „Das ist, als wenn das ganze Jahr Ostern wäre“, sagt Thomas. Er ist selbst seit einigen Jahren in der Jenaer Szene aktiv. Seine Hauptanliegen dabei sind, dass seine Objekte gesehen werden, dass Menschen sich daran erfreuen, zum Schmunzeln gebracht werden und beginnen, sich Gedanken zu machen. „Man tut etwas für die Stadt, ohne etwas zurückzubekommen.“ Thomas geht es nicht um persönlichen „Fame“, also Ruhm und Bekanntheit in der Szene; eine Unterschrift setzt er unter keine seiner Arbeiten.
Nicht alle Sprayer, Bastler und Schnitzer, deren Arbeiten im Stadtbild zu sehen sind, gehen damit konform. Manche Namen begegnen einem immer wieder. Einer davon ist Some. Seine Paste-Ups thematisieren Alltag und parodieren Dinge wie den Verlust von Mitmenschlichkeit und Zärtlichkeit. Mit dieser gesellschaftskritischen Tendenz weisen sie in die Richtung politisch motivierter urbaner Kunst. Auch diese kann man überall in der Stadt finden. Verlässt man den Campus in Richtung Krautgasse, grüßt ein Rudi-Dutschke-Stencil mit „Jeder hat sein Leben ganz zu leben“. Eindeutiger sind Parolen wie „Kapitalismus kaputt machen“ oder einfache As als Zeichen für Anarchie. Für Thomas ist das eine andere Form von Street Art. „Ich würde Politik von Graffiti und Street Art trennen. Politisch motivierte Graffiti sind eher wie ein Demoschild.“

Blütezeit nach der Wende
in den 80ern

Auf jeden Fall aber sind die Werke eine Ausdrucksform, mit der das persönliche Weltbild, die eigene Lebenseinstellung und Vorstellung von Ästhetik in die Öffentlichkeit getragen werden können. Gerade nach der Wende war das Bedürfnis danach, besonders in der ehemaligen DDR, stark. Durch die neuen technischen Möglichkeiten und die Öffnung in Richtung westlicher Ausdrucksmittel blühte die Graffiti-Szene in Jena förmlich auf. Menschen wollten selbst etwas verändern und griffen deshalb zur Sprühdose. Einer von ihnen war Marko. Zusammen mit seiner Crew zog er durch die Stadt und sprühte illegal; heute ist er Teil der Werbefirma „sevenlives“. Seit Anfang der 90er Jahre ist die Szene seiner Meinung nach eher wieder geschrumpft; auf der Straße ist es ruhiger geworden. Er erzählt, dass das Stadtbild damals noch viel grauer und trister gewesen sei und somit mehr Flächen einer farbigen Aufhübschung bedurften. Zahlreiche Sanierungen im Stadtgebiet verkleinerten in den letzten 20 Jahren die Anzahl der besprühbaren Oberflächen. Genauso wie für Thomas ist es für Marko nämlich ein Tabu, eine neu gemachte Fassade zu bearbeiten: „Das wäre dann tatsächlich nur Schmiererei und Sachbeschädigung“, ist er überzeugt. Mit dem Ausdruck „Liebe deine Stadt“ hätte das dann nicht mehr viel zu tun.
Um zu vermeiden, dass Sprayer dann auf andere Objekte im öffentlichen Raum wie Stromstationen ausweichen, beauftragten die Stadtwerke Sprayer damit, die überall im Stadtgebiet aufgestellten Kästen zu gestalten, so beispielsweise neben dem Stadtmuseum. „Das sieht gut aus und verhindert Schmierereien“, erklärt Tina Schnabel von den Stadtwerken. Damit auch Elemente wie die Rohre im Paradiespark nicht nur als Schandfleck wahrgenommen werden, gäbe es zu deren Gestaltungen verschiedene Aktionen, auch unter Einbezug von Street Art und Graffiti. Dies sei eben der Beitrag der Energieversorger zur Stadtverschönerung. Inwiefern mit dieser Abkehr von der Illegalität hin zur Kommerzialisierung die Grundidee der Graffiti verraten wird, liegt im Auge des Betrachters. Auf jeden Fall steuert es dem negativen Image entgegen, Sprayer würden lediglich schmieren und hätten keinerlei künstlerische Begabung. „Wenn du gut bist, dann können Menschen was damit anfangen“, meint Marko. Er selbst begann schon nach drei Jahren in der Szene damit, kleinere Aufträge, wie das Besprühen eines Garagentors, zu übernehmen.

Nervenkitzel nicht
Hauptantrieb

Für andere bleibt die Suche nach Risiko und Abenteuer trotz der Möglichkeit auf einen Zuverdienst einer der reizvollsten Aspekte des Sprühens: „Beim Graffiti ist der Nervenkitzel fundamental“, erläutert Thomas. „ Je größer das Risiko, desto größer der Kick, wenn‘s geklappt hat.“ Dass dieser „Kick“ aber immer weiter in den Hintergrund rückt, zeigt sich in dem Trend zu Street Art. Da das Anbringen eines Stickers beispielsweise sowieso nur wenige Sekunden dauere und die meiste Arbeit bereits zuhause gemacht werde, schätzt Thomas die Gefahr, erwischt zu werden, dabei als wesentlich geringer ein. Rein strafrechtlich wird zwischen Street Art und Graffiti allerdings kein Unterschied gemacht, insofern „eine feste Verbindung mit dem Untergrund eingegangen wird.“ Beides ist demnach laut Rechtsanwalt Dr. Patrick Gau Sachbeschädigung oder zumindest „ein erhebliches unbefugtes Verändern des Erscheinungsbildes“. Gau ist Graffiti-Experte und vertritt Mandanten aus ganz Deutschland. Für ihn ist Graffiti nichts anderes als ein Ausdruck des natürlichen menschlichen Verlangens, seine Umwelt mitzugestalten. Besonders verstörend erscheint ihm, dass zum Beispiel das Übersprühen eines Verkehrsschildes exakt denselben Strafrahmen habe wie das Onanieren vor dem minderjährigen eigenen Kind. Daraus werde ersichtlich, welcher Wert Eigentum rein rechtlich beigemessen wird.
Es sticht aber auch heraus, wie wenig ausschlaggebend der künstlerische Aspekt bei der Betrachtung von illegalen Graffiti und Street Art ist. Wer etwas sprüht, der will natürlich auch, dass es im Anschluss gesehen wird – entweder weil der Sprayer seinen Namen in der Stadt etablieren will oder weil er vom künstlerischen Anspruch der Arbeit überzeugt ist. Laut Marko sind Graffiti-Sprayer kreative Menschen, weil sie „sich ständig mit dem eigenen Namen beschäftigen“ und immer wieder überlegen, wie er gestaltet werden kann; in welcher Farbe, welchem Stil, welcher Größe, an welchem Ort. Dies, das endlose Abändern ein und desselben Gegenstandes, ließe sich dann gut auf andere Dinge übertragen.
Um eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Umgebung auch legal zu ermöglichen, wurden in Jena mittlerweile einige Projekte durchgesetzt. Flächen wie der Lommerweg wurden freigegeben, der an der Leutra viel Platz für Graffiti bietet. Hinter dem Kassa können die dort abgestellten alten Eisenbahnwaggons besprüht werden – eine in Deutschland einmalige Möglichkeit, legal Züge zu gestalten. Thomas weiß, dass deswegen auch viele Sprayer von außerhalb kommen, um sich daran auszuprobieren. Obwohl es die Regel ist, dass stets die alten Graffiti neu übersprüht werden, gibt es welche, die schon seit Jahren zu betrachten sind. „Street Art und Graffiti sind wie ein Tagebuch der Stadt“, meint Thomas. Die Arbeiten geben Auskunft über gegenwärtige Ereignisse, gedankliche Strömungen und Geschmäcker. Wer Street Art und Graffiti über eine längere Zeit beobachtet, der kann Veränderungen und Entwicklungen bemerken und diese an seine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen knüpfen. Ein geklebtes Beispiel dafür ist die Ratte auf dem Rückweg vom Lommerweg durch die Straßenbahnunterführung am Abbe-Platz. Im letzten Jahr wünschte sie dem Passanten einen schönen Tag, kurze Zeit später war sie verschwunden. Seitdem erinnert der Urheber des Werkes an seinen verschollenen Freund: „Hier starb unser Freund.“ Damit erinnert er nicht nur diejenigen, denen das Tier im Gedächtnis geblieben ist, sondern fügt der Steinmauer ein Stück Geschichte bei.

Und dann wird es wieder entfernt…

Vielleicht ist die stete Wiederaufnahme der fröhlichen Ratte aber auch ein Ausdruck des persönlichen Unverständnisses über das Entfernen des Tiers. Beinahe schwingt Trotz mit. „Man muss damit rechnen, dass ein Viertel dessen, was man macht, sofort wieder entfernt wird“, sagt Thomas. Was ihn dabei am meisten stört, sind Studenten, die sich Street Art ablösen und ins Zimmer stellen, weil sie es einfach schön finden. Damit geht der eigentliche Sinn von Kunst im urbanen Raum verloren, Street Art wird zur Vitrinenkunst und ist so nur noch ein trauriges Zeugnis vom Unverständnis des Diebes. Von einer Rückeroberung der Straßen kann damit keine Rede mehr sein. Ein anderer Fall ist das Entfernen von Street Art und Graffiti durch professionelle Gebäudereiniger. Bei den „Graffiti-Entfernern“, einem Familienbetrieb aus Weimar, kostet das Entfernen pro Quadratmeter zwischen 22 und 150 Euro. Der Preis variiert, je nach Beschaffenheit der Wand. Ist eine Farbreparatur nötig, kostet es extra. Der größte Auftraggeber ist übrigens die Uni Jena, die mit dem Betrieb einen Generalvertrag abgeschlossen hat.
Die Uni möchte also nicht, dass man sich mit ihren Gebäuden schöpferisch auseinandersetzt. Wie viele andere Eigentümer wünscht sie sich saubere, ordentlich geputzte Wände. Ohne Makel und Fremd­einflüsse. Diese Wände erzählen dann aber auch keine Geschichten. In Frankreich gibt es dazu ein Sprichwort: kahle Wände – stummes Volk.

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