Mir ist langweilig!

Spielzeiteröffnung am Theaterhaus mit “Villa dolorosa”

Von Johannes Weiß


Foto: Joachim Dette

Für Schauspieler ist es bestimmt ein sehr angenehmes Stück. Schließlich müssen sie hier gerade mal die Hälfte ihres Textes lernen, weil der sich spätestens ab Mitte der zweieinhalbstündigen Aufführung sowieso nur noch wiederholt. Obwohl sich die Handlung von Rebekka Kricheldorfs „Villa dolorosa“ über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckt, bleiben die Personen, ihre Probleme und ihre Gespräche doch weitgehend immer dieselben.
Denn es sind ständig in sich kreisende und im Leben festgefahrene Charaktere, die auf die Bühne des Theaterhauses Jena treten: Olga (Vera von Gunten) hat keinen Mann und eine langweilige Arbeit, Mascha (Zoe Hutmacher) keine Arbeit und einen langweiligen Mann, Irina (Saskia Taeger) weder Mann noch Arbeit und sie langweilt sich praktisch immer. Etwa gleich zu Beginn auf ihrer „öden“ Geburtstagsparty: Die Opernsammlung taugt nicht so recht zur Stimmungsmusik, Gäste außerhalb der Verwandtschaft hat Irina gar nicht erst eingeladen und dann bekommt sie auch noch die gleichen nutzlosen Geschenke wie jedes Jahr. Immerhin machen die drei Schwestern zu späterer Stunde Bekanntschaft mit dem extrovertierten Georg (Mohamed Achour), dessen Frau in regelmäßigen Abständen Suizidversuche unternimmt. Auch der Bruder Andrej (Ralph Jung) lässt sich mal blicken und versucht der Runde ein etwas abgehobenes Romankonzept näherzubringen.
Mit ihrer Vorlage, nämlich Anton Tschechows Drama „Drei Schwestern“, geht Kricheldorf eigenwillig und oft augenzwinkernd um: So erklären sich die Geschwister die Herkunft ihrer ausgefallenen Vornamen aus der Begeisterung ihrer elitär-bildungsbürgerlichen Eltern für die russische Kultur. Tschechows Irina, die um sieben Uhr aufwacht und bis neun Uhr nachdenkt, wird hier zur lustlosen Langzeitstudentin überzeichnet, die um neun Uhr aufwacht und bis zwölf Uhr nachdenkt. Und im Laufe der Jahre verschiedenste Fächer wie Philosophie, Soziologie und Mikrobiologie verschleißt.

Ewiges Gejammer und Besserwisserei

Während im Original die drei Schwestern ein klares Ziel vor Augen haben, nämlich die Rückkehr aus der Provinz in ihre Heimatstadt Moskau, fehlt in Kricheldorfs Bearbeitung eine solche verheißungsvolle Perspektive völlig – stattdessen ergehen sich die Beteiligten in Selbstmitleid. Olga hängt in ihrem anstrengenden Lehrerberuf fest, wird zu allem Überfluss sogar noch zur Direktorin ernannt und reagiert auf sämtliche Probleme mit einer Mischung aus Gejammer und Besserwisserei.
Mascha ihrerseits kann auch durch eine Affäre mit Georg nicht aus ihrer frustrierenden Ehe mit einem kleinkarierten Bildungsbürger entkommen. So bleibt ihr nichts anderes übrig, als – mit den boshaften Worten Andrejs – jeden Abend „mit ihrem Lehrer Lämpel arte zu schauen“.
Die einzige Person, die ihre Ziele erreicht, ist Andrejs Freundin Janine (Anne Haug), die den Gegenpol zu den intellektuellen Geschwistern bildet: Als „Prekariatsschickse“ verspottet, präsentiert sie stolz ihre von Madonna entworfenen H&M-Klamotten und fällt nicht durch übermäßig tiefsinnige Äußerungen auf. Doch schon bald übernimmt sie energisch das Kommando über Mann und Haus: Im Namen des Wohlergehens ihrer gemeinsamen Kinder mit Andrej engt sie den Rest der Familie immer weiter ein und rechnet genau vor, wieviel jeder noch in die Haushaltskasse einzubezahlen habe. Selbstverständlich verbietet sie ihrem schreibbegeisterten Gatten auch die bei einem Literaturwettbewerb gewonnene Inspirationsreise nach Sylt.
Ebenso verfahren, wie die Situation für die Figuren auf der Bühne ist, scheint sie auch für den Regisseur Markus Heinzelmann gewesen zu sein. Die wenigen eigenen Ideen, die er ins Stück einbringt, stellen zumindest keinen Befreiungsschlag dar: der Name „Irina“ in großen Leuchtbuchstaben oder Videoeinspielungen, in denen die Geschwister sich am Schlagzeug austoben oder im wörtlichen Sinne Flagge zeigen.
Mitunter nimmt er sogar nicht allzu anspruchsvollen Klamauk in Kauf, um die Szenen aufzulockern – und dies ist zugegebenermaßen bitter nötig. Denn die ständig wiederkehrenden Verhaltensweisen und Gesprächsinhalte bilden das Innenleben der Charaktere und die Ausweglosigkeit ihrer Lage zwar durchaus stimmig und ausdrucksvoll ab, ermüden aber den Zuschauer letztlich genauso wie die Figuren. Vielleicht wäre hier der schlichte Rotstift im Textbuch die wirkungsvollste Lösung gewesen.

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