„Es muss halt grooven“

Interview mit Thomas Sperling vom Jenaer Label „Freude am Tanzen“

Das Gespräch führten Christian Fleige und Kersten Kottnik


Foto: Elisa Nößler

„Freude am Tanzen“: Wie beeinflusst das Motto dein Leben?
Die Freude ist für mich auf jeden Fall ein Lebensmotto (lacht). Das mit dem Tanzen (zögert), ja, auch, aber prinzipiell steht die Freude im Vordergrund. Ich mag natürlich die Tanzmusik, aber ich muss nicht jedes Mal tanzen gehen.

Und wie lebt ihr das als Label?
Dieses Motto lebt bei uns jeder Künstler so, wie er es für sich persönlich definiert. Und das ist auch wichtig, denn unter unserem Dach sind sehr verschiedene Charaktere vereint. Nicht wie es heute im Techno vorkommen kann, dass einer den Weg vorgibt und alle anderen folgen. Wir gehen einen anderen, diskussionsfreudigeren Weg, der nicht immer konfliktfrei, dafür aber meistens kreativer ist.

Was war denn zuerst da: das Motto oder das Label?
Das Motto ist 1995 entstanden. Inspirationsquelle war eine Papiertüte im DDR-Style mit dem Schriftzug „Freude am Einkaufen“, die ein Freund anschleppte. Mit Hilfe von Scanner und Photoshop entstand das bis heute verwendete Logo, das verschiedenen Tanzveranstaltungen den Titel gab. 1998 folgte dann die Gründung des Labels aus der Idee, auch Musik zu produzieren. Unser erstes Release „Four sexy Tracks“ entstand mit einer Auflage von 350 Stück. Wie andere, die mit Hilfe von Omas Geld aus dem Nichts etwas schaffen, sind wir mit einer gehörigen Portion Idealismus gestartet.

Die Szene entstand ja schon in den 90ern…
Ja, das ging schon im Mai‚`91 los. Da haben irgendwelche Berliner beim Vereinsvorsitzenden vom Kassa angefragt, ob sie da mal Musik machen können. Der Erfolg war so groß, dass ab Oktober dann eine 14-tägige Veranstaltungsreihe an den Start ging, die ja immer noch läuft. Ich persönlich organisierte meine erste Party im „Quanten-Keller“, dem Keller eines Physiker-Wohnheims am Landgrafen, mit rund 80 Gästen.

Welche Bedeutung hat das Kassa­blanca für euer Label?
Es ist für das Label der Ursprung, wie bei vielen anderen Musikern auch. Fast alle unsere Künstler sind den Weg darüber gegangen. Das Duo „Hemmann & Kaden“ und „Ian Simmonds“ bilden die einzigen Ausnahmen. Die lokalen „Homies“, also die „Wighnomy Brothers“, das „Krause Duo“ und „Metaboman“, haben alle etwas mit dem Kassa zu tun. Auch „Feindrehstar“ als nicht rein elektronischer Act geht diesen Weg und wird in Kürze bei uns veröffentlichen. Ich selbst arbeite auch immer noch dort!

Ist die Jenaer Elektro-Szene eine Subkultur?
Beim Ausgehen kann man auf keinen Fall mehr von einer Subkultur sprechen. Die Leute gehen in einem Clubkontext aus und hören vielleicht auch nur am Wochenende Musik. Die Verbindung zur Musik als solcher ist nicht sehr ausgeprägt. Die Verkaufszahlen spiegeln diesen Zustand wider.
Außerdem hat sich das Ansehen der Szene verändert; die Musik ist angekommen. Selbst Schlagersänger greifen heute auf Elektro-Samples aus den 90ern zurück.

Bei elektronischer Musik wird man ja mit einer Menge Klischees konfrontiert…
Nennen wir es doch beim Namen: Es geht um die Drogen. Prinzipiell kann man sagen, dass man in allen Musik­richtungen auf Drogen stoßen kann. In Jena hat sich seit den 90ern schon etwas verändert. Damals haben sich die Leute jenseits von Gut und Böse abgeschossen. Heute gehen sie in Jena bewusster damit um. Ich selbst habe in meinem Leben noch keine Drogen genommen, bin aber mit der meist klischeehaften Berichterstattung zu dem Thema nicht einverstanden. Die auf die Elektro-Szene fokussierte Drogen-Diskussion empfinde ich als überbewertet.

Wie entstehen bei euch die Platten?
Wir haben mit den Künstlern einen sogenannten „Band-Übernahme-Vertrag“ und bekommen somit fertig produzierte Musik. Wir gehen also nicht mit dem Künstler ins Studio. Der Künstler schickt uns eine Anzahl von Stücken, wir suchen das Passende raus, halten Rücksprache mit dem Musiker und leiten alles weitere in die Wege. Wir kümmern uns um das Cover-Design, das Mastern der Aufnahmen, das Ins-Vinyl-Schneiden des Masters und den Vertrieb.

Sind illegale Downloads für eure Plattenverkäufe ein Problem?
Es ist schwierig das zu beurteilen, da wir ja nicht nur Platten und CDs verkaufen, sondern auch mp3s vertreiben. Wenn man bedenkt, dass die Elektro-Szene sehr technikaffin ist, dann stellt sich die Frage, warum sie auf ein so antiquiertes Medium wie Vinyl zurückgegriffen hat. Die Idee, dass man heute auf Laptop tanzt, schien vor sechs oder sieben Jahren unvorstellbar. Durch die Akzeptanz des Digitalen rückte die Bedeutung des vinyllastigen Auflegens in den Hintergrund. Die Leute wollen einfach nur tanzen. Die Konsequenz für die Plattenverkäufe ist spürbar und kann leider nicht durch den digitalen Vertrieb aufgefangen werden.

Aber das sind doch nicht die einzigen Probleme.
Nein, sondern auch die inzwischen vorhandene Vielfalt. Mit der Erfindung des Samplers kam es zu einer Demokratisierung der Musik. Es ist nicht mehr notwendig Noten lesen zu können, um Musik zu machen. Das Internet ist die Demokratisierung des Vertriebs – jeder kann nun vertreiben. Aber trotz dieses Wandels gibt es immer noch einen geregelten Vinyl-Verkauf, der dem Clubbedarf geschuldet ist.

Sind eure Acts alle hauptberufliche Künstler?
Bei uns leben alle Künstler von ihrer Musik, sind grundsätzlich selbstständig und arbeiten an diversen Projekten gleichzeitig. Aber von Plattenverkäufen und Downloads allein können sich unsere Künstler nicht über Wasser halten. Um auf eine vernünftige Summe zu kommen, müsste man schon fünf bis sechs gute Platten im Jahr machen, die die Leute interessieren. Aber generell kann man sagen, dass die Schallplatte im Techno schon immer nur eine Visitenkarte war, die Aufmerksamkeit geschaffen hat. Bei einer Erstauflage von 500 bis 1.000 Platten kann man keine großen Sprünge machen.

Wie können denn das Label und die Künstler bei diesen geringen Absatzzahlen noch verdienen?
Wir sind nicht nur Label, sondern auch Booking-Agentur, ohne die man auch in den konventionellen Musikrichtungen nicht mehr überleben kann. In diesem Bereich ist „Freude am Tanzen“ zu einer international etablierten Marke gereift, die identifikationsstiftend wirkt. Ob Tokyo, Barcelona oder Wien, Anfragen kommen aus der ganzen Welt, ohne dass wir auf die Leute zugehen müssen. Die­se Form der Internationalität ist für das Booking sowie für den Künstler essentiell. Selbst an einer Platte, die sich gut ver­kauft, verdient er gerade so viel wie in einer Clubnacht. Abschließend kann man aber sagen, dass wir nicht ums Überleben kämpfen müssen.

Wie findet ihr neue Künstler für euer Label?
Es ist meist so, dass die Leute zu uns kommen und uns ihre Musik vorstellen, die wir dann bewerten. Aber prinzipiell sind wir immer auf der Suche nach etwas Besonderem, das am besten aus der Nähe kommt. Dann kann man den Leuten auch eine Chance geben.

Was für Musik gefällt dir persönlich?
Ich mag natürlich House-Musik und Techno-Musik, aber auch andere Musikrichtungen. Mir gefallen Sachen wie „The Whitest Boy Alive“ oder auch „Feindrehstar“. Es muss halt grooven, es sollte unheimlich erdig sein und es darf nicht so jammern. Prinzipiell mag ich Musik, die Freude bereitet und dies ist meistens Tanzmusik.

Am 17. Juli findet im Kassa das „Freude am Tanzen“-Sommerfest statt. Das neue Album von Ian Simmonds „The Burgenland Dubs“ erscheint am 10. August.


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