„Don Giovanni“ feierte am Deutschen Nationaltheater Premiere
Von Johannes Weiß
Wenn die Tochter mit dem Vater… Foto: Charlotte Burchard |
Um es gleich zu Beginn mit dem Zynismus eines Don Giovanni zu sagen: Wäre der Champagner aus der gleichnamigen Arie des spanischen Lebemanns genauso schal und abgestanden wie diese Weimarer Inszenierung, ließen sich wohl nur wenige Damen auf dessen rauschenden Festen blicken. Und die vom Diener Leporello geführte Liste der Liebschaften wäre um einige Namen kürzer.
Der DNT-Operndirektor Karsten Wiegand hat sich selbst an die „Oper aller Opern“ gewagt und hierfür ein funktionelles Bühnenbild gewählt: Holzwände, Gänge, Türen, Treppen und Geländer trennen und verbinden die verschiedenen Bereiche der Handlung, und bei Bedarf dreht sich das Ganze sogar noch. So weit, so gut. Auch der Verzicht auf eine starre Gegenüberstellung vom skrupellosen Verbrecher Don Giovanni und seinen wehrlosen Opfern erscheint sinnvoll und öffnet einen vielversprechenden Zugang zu Mozarts „Dramma giocoso“.
Doch dies gelingt fast zu gut. Donna Anna (Larissa Krokhina), die laut Textbuch nur knapp einem Vergewaltigungsversuch durch Don Giovanni (George Gagnidze) entgeht, schmiegt sich hier an den Eindringling und zieht bereitwillig ihren Slip aus. So richtig zu schockieren vermag das nicht, denn dem aufmerksamen Zuschauer und vor allem Zuhörer entgeht sowieso nicht, welch untergründige Faszination der Frauenverführer auf seine Mitwelt ausübt. Man könnte sogar behaupten, dass sich die Qualität einer heutigen Don-Giovanni-Inszenierung zu einem guten Teil gerade daran bemisst: wie subtil die geheimen Sehnsüchte Ausdruck finden, die in den gar nicht so unschuldigen Frauengestalten bei der Begegnung mit der Titelfigur entstehen.
Wiegand schlägt da lieber mit dem Holzhammer „sex and crime“ zu und scheint auch sonst auf Differenzierungen nicht viel Wert zu legen: In seiner Inszenierung treibt es jeder mit jedem. Nicht nur Don Giovanni mit Donna Anna, Donna Elvira (Johanna Stojkovic) und Zerlina (Ulrika Strömstedt), sondern auch Leporello (Renatus Mészár) mit Donna Elvira, diese mit Don Ottavio (Yves Saelens), dieser wiederum mit seiner Verlobten Donna Anna auf der Leiche ihres Vaters, des von Don Giovanni ermordeten Komturs (Hidekazu Tsumaya).
Nicht erwähnt werden muss, dass sich auf dem Kostümfest am Ende des 1. Aktes der als Priester verkleidete Gastgeber sogar an Don Ottavio heranmacht, der zusammen mit Donna Anna und Donna Elvira an eine schlanke und pudellose Version der Jacob Sisters erinnert.
Überdeutliche Bilder
An drastischen und überdeutlichen Bildern mangelt es nicht: Die Verführung Zerlinas geschieht etwa vor den Augen ihres an einen Stuhl gefesselten Bräutigams Masetto (Philipp Meierhöfer). Ein ähnliches Schicksal erleidet Leporello, der den ganzen Hass der Gegenspieler seines Herrn zu spüren bekommt und nur mit Mühe der Kastration durch einen Baseballschläger entkommt. Nach der rüden Behandlung durch Don Ottavio und Masetto verlässt er jedoch im wahrsten Sinne des Wortes angepisst die Szene.
Dabei steht der große Paukenschlag noch bevor: Auf dem Friedhof – die Grabsteine sind übrigens nichts anderes als beschriftete Männerrücken – treffen Don Giovanni und Leporello auf die Statue des Komturs, die sie kurzerhand zum Essen einladen. Im Gegensatz zum Originaltext pocht der steinerne Gast hier jedoch nicht wuchtig an die Türe, sondern befindet sich schon zu Beginn des Finales im Raum: Don Giovanni breitet eine Tischdecke über ihn aus und verspeist auf ihm seinen Asia-Fast-Food.
An der Höllenfahrt der Titelfigur lässt sich erkennen, dass Wiegand es hin und wieder schafft, die intellektuell auseinanderfallende Inszenierung zumindest atmosphärisch zu verdichten. Der Komtur setzt die Drehbühne in Gang, und in orangenem Zwielicht vollführen immer neue Gestalten einen obskuren Zeitlupentanz. Am Ende wird der trotzige Don Giovanni in genau derselben Choreographie ins Jenseits befördert, mit der er selbst zu Beginn den Komtur totgeprügelt hat. Und ebenfalls wie zu Beginn fallen beide nebeneinander zu Boden; der Kreis schließt sich in einer düster-traumhaften Sequenz. David Lynch hätte es nicht besser machen können. Und nicht unverständlicher.
Alles in allem eine Inszenierung, die über einige interessante Ansätze nicht hinauskommt und kein schlüssiges Gesamtkonzept sichtbar macht. Echte Mozart-Enthusiasten dürfte das aber nicht schrecken: Die Staatskapelle Weimar unter Enrique Mazzola und das Ensemble des DNT sorgen dafür, dass die Musik immer wieder die farblose Szenerie vergessen und den Champagner sprudeln lässt.
Die nächsten Vorstellungen von „Don Giovanni“ finden am 1., 6., 11. und 26. Juni statt.