“Der Fehler liegt im System”

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Gespräch mit Uwe Köppe von der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks

Von Theresa Angelis und Katrin Hesse

Mit welchen Sorgen kommen die Studenten in die Beratung?

Es sind sowohl studienbedingte Probleme als auch solche, die aus dem persönlichen Umfeld kommen. In den letzten beiden Jahren waren das vor allem Schwierigkeiten mit dem Studienabschluss, Identitäts- und Selbstwertprobleme, Probleme in der Partnerschaft, Erschöpfung, Prüfungsangst, Ängste allgemein – zum Beispiel Zukunftsangst. Auch die Sorge um einen späteren Arbeitsplatz spielt eine Rolle.

Hat das Thema Leistungsdruck eine zentrale Bedeutung?

Natürlich kommen nicht alle Studenten mit diesem Problem zu uns. Das, was eine Rolle spielt, ist der gewachsene Zeitdruck, der mit der Umstellung auf die Bachelor-Studiengänge zugenommen hat. War es früher in den Beratungen noch möglich eher Tempo rauszunehmen, kommen Studenten jetzt mit dem Anliegen, so schnell wie möglich Lösungen zu finden, um sich dann dem Studium wieder mit ganzer Kraft widmen zu können.

Gibt es noch andere Gründe für Leistungsdruck als den gewachsenen Zeitdruck?

Dadurch, dass Prüfungen zum studienbegleitenden Phänomen werden, leiden jene Studenten mit Prüfungsangst unter einer Dauerbelastung. Menschen, die mit einem stark reglementierten System schlecht zurechtkommen, sind im Bachelor sehr benachteiligt. Im Grunde genommen hat sich eine Verschiebung insoweit ergeben, dass Leute mit bestimmten Eigenschaften im Bachelor-System begünstigt werden. Das war in den alten Studiengängen mit den Abschlüssen Diplom oder Magister nicht so.

Gibt es auch Studenten, die von der Umstellung profitieren?

Studenten, die bereit sind, Gefordertes zu leisten, ohne groß nachzudenken, tun sich mit dem aktuellen System nicht so schwer. Sie bewerten die Ergebnisse nicht über und haben die Erfahrung gemacht, dass sie Erfolge haben, wenn sie kontinuierlich lernen und arbeiten.

Kommt man überhaupt noch dazu, seine eigenen Interessen zu entdecken, wenn man sich gewissenhaft an die Zeitvorgaben hält?

Wahrscheinlich nicht. Gewisse Formen der Persönlichkeitsentwicklung finden dann nicht statt. Und auch die geforderten Schlüsselqualifikationen wie beispielsweise soziale Kompetenz oder Teamfähigkeit bleiben auf der Strecke.

Und wie wirkt sich der Leistungsdruck auf die sozialen Kontakte aus? Sind Studenten durch das Konkurrenzdenken gehemmt, mit anderen Freundschaften einzugehen?

Zumindest bei den Leuten, die zu uns in die Beratung kommen, habe ich den Eindruck, dass sie wenige soziale Kontakte haben. Viele klammern sich an die Freunde aus ihrem Herkunftsort oder der Schulzeit und versäumen es dann neue Kontakte zu knüpfen.

Also führt Einsamkeit automatisch zu einer erhöhten Problemanfälligkeit?

Ich denke, beide Faktoren bedingen sich gegenseitig. Wer wenige soziale Kontakte knüpft, ist auch zu einem gewissen Grad isoliert und findet wenig Unterstützung. Dann können sich Probleme natürlich verstärken, weil kein soziales Netz diese Schwierigkeiten auffängt. Andererseits verleitet der Leistungsdruck möglicherweise auch dazu, Bereiche wie soziale Kontakte einzuschränken.

Warum, denken Sie, ist das so?

Gerade unter Stress lassen wir das weg, was uns am besten helfen könnte, also was uns den besten Ausgleich gegen diesen Stress schaffen würde. Soziale Kontakte, Sport, alles Aktivitäten, die Zeit erfordern, die aber nicht unmittelbar mit dem zu tun haben, was den Stress erzeugt, nämlich mit der Uni, mit dem Lernen. Die Herangehensweise verstärkt natürlich das Problem des mangelnden Ausgleichs.

Viele setzen sich zusätzlich unter Druck, indem sie sich mit anderen vergleichen. Ist der Vergleich per se schlecht?

Nein, der Vergleich ist gesund, solange ich mich auf meine Stärken besinne und ihn nutze, um mich weiterzuentwickeln. Man muss darauf achten, mit welchen Mitteln andere ihre Ziele erreichen und ob ich davon etwas für mich übernehmen kann. Das Problem ist, dass die Studenten beim Vergleich im Grunde immer nur verstärkt das sehen, was die anderen besser können. Sie vergessen ihre eigenen Stärken und schauen nur auf ihre Schwächen. Schädlich ist es, wenn man bei diesem Vergleich stehen bleibt und denkt: „Der kann es und ich nicht“.

Wie ist es im Bachelor-Studiengang möglich, sich Freiräume zu schaffen?

Es gibt Studenten, die sich von diesem Leistungsgedanken nicht so dominieren lassen, die sich entscheiden, bestimmte Dinge einfach wegzulassen und sich dem System nicht hundertprozentig zu unterwerfen. Andere sagen, dann studiere ich eben ein Semester länger und schaffe mir damit Freiräume, mich mit dem zu beschäftigen, was mich interessiert, für die Entwicklung meiner Persönlichkeit, für soziale Kontakte usw.

Das ist leicht gesagt.

Ich weiß, dass der Gedanke weit verbreitet ist, sie müssten das Studium in drei Jahren abschließen. Sicherlich auch, weil Finanzierungen wie Bafög wegbrechen, wenn die Regelstudienzeit überzogen wird.

Es wird einem ja von jeder Seite gesagt: Drei Jahre und das Pensum muss absolviert werden.

Das ist ein grundlegendes Problem der Einführung des BA-Systems: dass jeder einem vermittelt, man muss so schnell wie möglich studieren. Diesen vermittelten Wert halte ich für völlig absurd. Der Fehler steckt eigentlich im System. Aber ich hab den Eindruck, die Mehrheit der Studierenden hat verlernt gegen das System zu rebellieren.

Wie soll das weitergehen? Können Sie etwas gegen die Missstände tun?

Der Punkt ist schlicht und ergreifend, dass wir an den Symptomen herumdoktern, wir machen Einzelfallhilfe. D.h., das tatsächliche Problem können wir nicht lösen. Das ist eine Frage der Politik. Das Problem ist, dass wir es mit chronisch unterfinanzierten Hochschulen zu tun haben, mit einem Wertesystem, das die Gesellschaft vermittelt, das ich wie gesagt nicht für sehr gesund halte, und das sind alles Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Es müsste ein grundlegender Umbruch passieren.

WEITERE INFORMATIONEN:

Was leistet die Beratungsstelle des Studentenwerks konkret?

Das Grundanliegen der Beratung ist, den Studenten dabei zu helfen, Probleme zu lösen. Dies ist ein längerer Prozess, der von uns nur angestoßen wird. Man sollte unser Hilfsangebot aber nicht mit einer Therapie verwechseln.

Wie lange betreuen Sie die Studenten?

Die Anliegen der Studenten sind vielfältig: Es gibt Ratsuchende, die kommen ein oder zwei Stunden, und brauchen einfach mal einen kleinen Schubs oder eine Bestätigung, dass ihr gewählter Weg der richtige ist. Andere benötigen mehr Unterstützung.

Hat der Beratungsbedarf der Studenten in den letzten Jahren zugenommen?

Ja, von 2007 bis 2008 ist in Jena die Zahl der Ratsuchenden von 633 auf 784 gestiegen und auch die Zahl der Beratungsstunden stieg von 1.879 auf 2.524 an. Ein Ende dieser erheblichen Steigerung ist nicht abzusehen.

Welche verschiedenen Angebote gibt es?

Neben den Einzelberatungen gibt es Kursangebote zu den Themen Selbstwertentwicklung, Techniken zur Entspannung oder Konfliktbewältigung. Teilweise sind auch Vorträge dabei. Für Erstsemester bieten wir beispielsweise häufig an: „Wie studiere ich stressfrei?“ oder „Wie organisiere ich mein Studium?“. Diese Kurse sind zwar immer sehr theoretisch, aber im Grunde kann man sich aus dieser Theorie ein Handwerkszeug entwickeln. Außerdem gibt es vom Studentenwerk Online-Beratungen. In der Regel nehmen Ratsuchende diese Form in Anspruch, wenn sie zum Beispiel ein Auslandssemester machen oder lieber anonym bleiben wollen.

Wie kann man selbst aktiv werden?

Im Grunde sollte man sich die Zeit zur Reflexion nehmen. Wenn ich das Problem benennen kann und ein klares Bild davon habe, wie die Änderung – das Ziel – genau aussehen soll, dann habe ich schon einen großen Teil des Problems bewältigt.

Und bevor das Problem auftritt?

Das Wichtigste ist, auch mal inne zu halten und sich nicht der Hetze zu unterwerfen. Mein Tipp: Nicht in blinden Aktionismus verfallen und einfach mal langsamer machen!

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