Aufgemotzter Lebenslauf

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Wie viel Praktika und andere Praxiserfahrungen wirklich zählen

Von Elisa Nößler

Für jede Jobgelegenheit den richtigen Schlüssel parat haben. Foto: Elisa Nößler

Lars Günther ist einer von ihnen. Im 8. Semester hat der Jenaer Student der Medienwissenschaft bereits fünf Praktika absolviert, war freier Mitarbeiter bei verschiedenen Tageszeitungen und ist es seit Kurzem im Landesstudio der dpa in Erfurt. Seinen akademischen Lebenslauf hat der 22-Jährige zudem mit Mentorentätigkeit und Stellen als studentischer Mitarbeiter an seinem Institut angefüttert. „Das Studium an der FSU Jena ist sehr theorielastig, daher habe ich meine Praktika absolviert. Außerdem wird journalistische Erfahrung bei vielen Praktika und Jobs vorausgesetzt.“

Mit Praxiserfahrung im Lebenslauf punkten ist nicht nur ein Trend, sondern „ganz harte Realität“, sagt der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologe Professor Rüdiger Trimpop von der FSU Jena. Die Ursachen lägen in den Auswahl-Kriterien für zukünftige Mitarbeiter der Unternehmen. Wichtiger als gute Noten und der Abschluss des Studiums in der Regelstudienzeit seien ein bis zwei ordentliche Praxiserfahrungen. Neben Praktika könnten dies aber auch Mitarbeit an Uni-Projekten oder die Website-Gestaltung zu Hause sein – Hauptsache, man beweise Eigenverantwortung und hohe Einsatzbereitschaft.

Nadja Grötsch, Personalmanagerin der Jenaer TowerConsult GmbH, bestätigt diesen Trend: „Selbstverständlich sind Praxiserfahrungen von Vorteil, uns ist neben den Noten aber vor allem die Kombination aus Interesse am Einsatzgebiet und einem klaren Berufsziel bei der Auswahl von Praktikanten wichtig.“ Der Student müsse ins Unternehmen passen, immerhin solle er dort Verantwortung übernehmen und in seiner Praktikumzeit etwas lernen. Praktikastellen würden daher vermehrt ab einer Zeit von drei bis zu sechs Monaten angeboten. „Praktikanten nehmen wir ungern unter einer Zeitdauer von drei Monaten, weil der Lerneffekt in dieser Zeit einfach viel zu gering ausfallen würde“, bestätigt Personalerin Grötsch.

Hat man den Sprung ins Unternehmen geschafft und ein Praktikum ergattert, öffnet dies nicht selten Türen, die einem sonst verschlossen bleiben. Dass absolvierte Praktika der Einstieg ins spätere Berufsleben sein können, weiß Personalmanagerin Grötsch aus eigener Erfahrung. „Wir stellen Praktikanten sogar mit dem Ziel ein, ihnen bei guter Arbeit im Praktikum anschließend ein Stellenangebot zu unterbreiten und sie in der Firma zu halten“. Die Existenz des sogenannten „Klebeeffektes“ kann auch Professor Trimpop bestätigen: „Wenn Unternehmen überhaupt Nachwuchskräfte einstellen, dann nimmt man natürlich eher die, welche in einem Praktika schon einen guten Eindruck hinterlassen haben“. Auch die akademische Abschlussarbeit könne ein Ticket ins spätere Berufsleben sein. Je praktischer die Arbeit und je näher sie dem später angestrebten Berufsbereich sei, desto höher seien die Chancen, nach dem Studium nicht in die Praktikumsfalle zu rutschen, sondern den Einstieg ins Berufsleben direkt zu meistern. „Besonders Ingenieure, die ihre Diplomarbeit im Unternehmen schreiben, haben relativ hohe Übernahmechancen“, weiß Trimpop.

Medienwissenschaftsstudent Lars sieht diesem Trend jedoch eher skeptisch entgegen. „Ich habe die Praktika vorrangig für mich gemacht und denke nicht, dass sie mir später automatisch alle Türen öffnen können“, resümiert er. Die Relevanz von Praktika ist jedoch auch ihm nicht fremd: „Bei Studenten, die im 8. oder 9. Semester sind und keinerlei Praxiserfahrung haben, denke ich schon manchmal: Na dann viel Glück für die Zukunft“.

Neben dem Motiv, Praktika als „Recruitingmaßnahme“ anzubieten, gibt es jedoch auch schwarze Schafe in den Reihen der Unternehmen. Praktikanten dienen hier lediglich als billige Arbeitskräfte und ersetzen vollwertige Stellen. Dieser Trend vollzieht sich verstärkt seit etwa acht Jahren. Einer Studie der DGB-Jugend in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2006 zufolge hat der Anteil der Hochschulabsolventen, die nach dem Studium eine unbefristete Stelle antreten, von 1989 bis 1993 um 13 Prozent abgenommen. Insgesamt stellt die Studie fest, dass der Anteil an Vollzeitbeschäftigten zwischen 1994 und 2004 um ein Fünftel gesunken ist. „Diese wegfallenden Arbeitsplätze müssen natürlich ausgeglichen werden“, meint Trimpop, „Unternehmen versuchen dies häufig durch Praktikumsstellen auszugleichen“. Auffällig ist hierbei, dass der Großteil der Praktika unbezahlt bleibt. Die Befragung eines Hochschul-Meinungsforschungsinstitutes aus dem Jahre 2006 bestätigt diesen Trend. 68 Prozent der befragten Studenten gaben an, keine Vergütung während des Praktikums erhalten zu haben. Dem widerspricht Trimpop: „Der Großteil der Praktika, die Studierende meines Fachbereiches absolvieren, werden mit einer Vergütung zwischen 500 und 1.500 Euro versehen“. Dies betreffe vor allem Kliniken sowie die Bereiche Personalberatung und -auswahl. Oft gäben Studierende die Chance auf ein gutbezahltes Praktikum jedoch auch freiwillig auf. „Wenn ihnen ein Praktikum in einem großen und bekannten Unternehmen winkt, bevorzugen Studenten dieses – nur um den Namen im Lebenslauf stehen zu haben“, ist sich Trimpop sicher.

Ist der Trend vom gepimpten Lebenslauf als Eintrittskarte in die Jobwelt also doch nicht nur ein Ammenmärchen? „Ich bin mir relativ sicher, dass Praxiserfahrung die Chancen auf Praktika oder einen Job nach dem Studium erhöht“, betont Trimpop. „Jeder muss jedoch für sich selbst entscheiden, ob er bei diesem Rattenrennen mitmachen will.“

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