Blinder Aktionismus

Ein Kommentar zur aktuellen Unique-Kontroverse

Von Sören Reimer

Es gibt Themen, die fordern Versagen geradezu heraus. Dazu gehören sowohl Interviews mit Nazis als auch mit antisemitischen „Journalisten“. Die Unique um Fabian Köhler versuchte es und scheiterte. Es fehlten größtenteils die kritischen Nachfragen und die Infragestellung von antisemitischer Propaganda. Das lässt sich auch nicht mit dem illusorischen Vorhaben verschleiern, möglichst unbefangen und neutral zu berichten. Es fehlt zudem eine Kontextualisierung der Aussagen. Das heißt nicht, dass die Unique den Lesern erklären muss, wie der Nahost-Konflikt ist. Das wäre genauso illusorisch. Aber eine Zeitung, die unter dem Ziel des interkulturellen Journalismus arbeitet, sollte ihren Lesern auch Anhaltspunkte zur Interpretation von Aussagen geben, die dem eurozentrischen Weltbild fremd erscheinen müssen – gerade wenn es um Antisemitismus geht. Das ist die Aufgabe des Journalismus als Mittler zwischen Leser und „Gegenstand“ und wurde von der Unique sträflich vernachlässigt.

Daher ist Kritik an diesen Interviews notwendig und berechtigt. Dabei mögen Protestformen unterschiedlich und bunt sein, es gibt aber Grenzen. Wenn aus eingesammelten Zeitungen Konfetti gemacht wird, sind diese überschritten. Welche arrogante Selbstgerechtigkeit muss herrschen, dass eine Gruppe meint, entscheiden zu dürfen, was ihre Mitmenschen lesen dürfen? Grauzonenjournalismus ist als Ausdruck einer weit verstandenen Presse- und Meinungsfreiheit auszuhalten, über alles andere entscheiden in der „bürgerlichen“ Gesellschaft die Gerichte, nicht die Antifa. Da mag noch so viel Adorno zitiert werden und die Bekämpfung jedes Antisemitismus als Ziel noch so edel sein, der gewollte Eklat bezieht sich nicht auf das Interview, sondern auf die Aktion selbst. Diese Form des Protestes, so hipp sie sich auch hinter Erfrischungsgetränken und Woody Allen versteckt, zitiert Methoden und Denkweisen, die außerhalb des Erträglichen liegen.

Fraglich ist weiterhin, warum auch der Stura in blinden Aktionismus verfiel. Es ist sein gutes Recht zu entscheiden, ob im Namen der Studenten die Unique wie bisher gefördert wird. Eine solche Entscheidung bedarf aber der Diskussion, auch mit der betroffenen Redaktion. Dass dies nun nachträglich geschieht, ist der peinliche Ausdruck mangelnder demokratischer Diskussionskultur des Gremiums. Damit verbaut sich auch der Stura die Möglichkeit, in dieser Debatte um den Umgang mit Antisemitimus und der Bedeutung des Journalismus eine wichtige Rolle zu spielen. Und wenn schon fröhlich aus dem linken Zettelkasten zitiert wird: Aktionismus war für Adorno der verzweifelte Ausdruck von eigener Machtlosigkeit. Wollen Stura und Antifa wirklich dieses Bild abgeben?

Eine Antwort auf Blinder Aktionismus

  • Daß “die Antifa” im Kommentar von Sören Reimer als Konkurrenz zu den Gerichten erscheint, mag sie ehren oder beschämen – aber im Ernst:

    Was Reimer hier anempfiehlt – den die “demokratischen Formen” wahrenden Diskurs innerhalb der Studentenschaft -, ist nach dem “Emil G.”-Interview darauf hinausgelaufen, daß jetzt dieses Interview mit dem Antisemiten Khalid Amayreh gedruckt wurde, nachdem in der Februar-Ausgabe von Unique Ilja Rabinowitsch von der jüdischen Landesgemeinde das Feigenblatt dafür abgegeben hat.

    Reimer mag Recht haben, daß die Studentenschaft *formal* auf “die Demokratie” und “den Rechtsstaat” schwört. Zu einer *inhaltlichen* Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus scheint sie nicht imstande zu sein (sonst wäre “die Antifa” wohl kaum die einzige gewesen, die diese Unique beschleunigt entsorgt…)

    Worauf, frage ich den Kommentator, soll das eigentlich hinauslaufen: Daß in der nächsten Ausgabe die jüdische Landesgemeinde Gelegenheit erhält, ihre Betroffenheit auszudrücken, damit in der übernächsten “Mein Kampf” als Fortsetzungsroman beginnt? Nein, das soll kein Witz sein. “Interkulturell” und “zensiert” ist das allemal und warum sollten “aufgeklärte Studenten” sich nicht darüber eine Meinung bilden können. Und Reimer könnte das anschließemd kritisch im Akrützel kommentieren und so “die Pluralität” der studentischen Medien demonstrieren.

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