Rechte und linke Gruppen bekämpften sich in Paradies und Innenstadt. Wie geht man nun damit um?
Von Louisa Reichstetter und Matthias Benkenstein
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Der Normalzustand im Paradies: Spaß haben und feiern. Foto: Louisa Reichstetter |
Karfreitag, 21 Uhr: Etwa 40 Neonazis stürmen im Paradies auf ungefähr 20 junge Männer, die aussehen, als gehörten sie zur linken Szene. Vier von ihnen werden verletzt, erst das Polizeiaufgebot beendet die Massenprügelei.
Drei Tage später, Ostermontag, 17 Uhr: Auf den Steinbänken am Holzmarkt sitzen fünf Männer mit Glatzen. Auf dem Sweatshirt des einen steht „Sturm 18“. Schräg gegenüber findet eine Demonstration gegen die Vorfälle am Karfreitag statt. Einige Vermummte lösen sich aus dem Protestzug und suchen die Prügelei mit den Holzmarktnazis. Es fliegen Fahrräder und Stühle des Eiscafés „Riva“ durch die Luft, Tische werden umgeworfen, Geschirr geht zu Bruch. Die Gäste fliehen panikartig ins Innere des Cafés. Nachdem auch die Rechten beim Italiener Schutz finden, schießt ein Linksautonomer einen Feuerwerkskörper hinterher. Ein Angestellter wird am Auge verletzt. Das Ermittlungsprotokoll: „Ein Zusammenhang mit den gewalttätigen Vorfällen vom Karfreitag ist nicht auszuschließen.“
Nur einen Tag später, am Dienstagabend, folgt die nächste Auseinandersetzung. In der Nähe des Paradiesbahnhofs fallen 15 Neonazis über zwei Punks her. Den einen verprügeln die Rechten so sehr, dass er mit Armfraktur und Kopfverletzung einige Tage im Uniklinikum bleiben muss.
„Wir beobachten die aktuelle Gewaltentwicklung mit Sorge, weil solche Auseinandersetzungen nur schwer zu verhindern sind“, sagt der Jenaer Polizeisprecher Sven Opitz. „Bislang haben sich die unterschiedlichen Gruppierungen im Paradies mehr oder weniger akzeptiert.“ Nach Stand der Ermittlungen gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Schlägerei vom Karfreitag geplant war. Vielmehr hätten Wortgefechte zur Eskalation geführt. Die Spontandemo am darauffolgenden Montag sei da schon gezielter gewesen. „Zwar haben die Demonstranten nicht damit gerechnet, Rechte zu treffen. Sie haben dann aber unvermittelt angegriffen“, so Opitz.
Die Kriminalpolizei ermittelt. Um die Bürger zu schützen, patroullieren vermehrt Polizisten in der Innenstadt und im Paradies – in Uniform wie Zivil.
Auf die Frage, weshalb es gerade jetzt zu solchen Auseinandersetzungen kommt, hat Opitz eine schlichte Antwort: „Das Wetter.“ Liegt es also weder an Ostern noch am sich jährenden Geburtstag Hitlers, sondern an männlichen Hormonen im Frühling, dass politische Extreme aufeinanderprallen? „Sicher kann man es nicht auf die ersten warmen Tage reduzieren“, relativiert Opitz seinen Gedanken. „Neu und bedenklich ist, dass erstmals auch unbeteiligte Bürger in Mitleidenschaft gezogen wurden.“
Das ist es auch, was den Jenaer Finanzdezernenten Frank Jauch beschäftigt: „Es hat heftige Diskussionen im Stadtrat gegeben, das kann ich Ihnen versichern.“ Herausgekommen sind dabei bisher eher kurzfristige Maßnahmen: So lässt man prüfen, ob die Zahl der Stadtinspektoren erhöht werden solle. Diese haben zwar nicht die Handlungsbefugnisse der Polizei, dürfen also niemanden festnehmen oder verwahren, „doch allein ihre Präsenz wirkt deeskalierend“, so Jauch.
Die Keimzelle der jüngsten Entwicklungen sieht der Vertreter des Oberbürgermeisters im sogenannten „Braunen Haus“. Das Gebäude in Alt-Lobeda stellt die lokale Anlaufstelle und Organisationsplattform der Neonazis dar. Aber nicht nur die junge rechte Szene wächst dadurch in Jena: „Auch für linke Jugendliche, die Flagge zeigen wollen, wird Jena so zum interessanten Ort“. Der SPD-Politiker zieht zusätzlich eine Verbindung nach Erfurt: Dort ließen die Behörden vor kurzem „wenig sensibel“ das besetzte Haus räumen, obwohl man an alternativen Konzepten arbeitete.
„Was die Strukturen gegen Rechtsextremismus angeht, sind wir in Jena eigentlich gut aufgestellt“, begegnet der Dezernent der Frage nach den langfristigen Strategien. Das sehe man unter anderem daran, dass das „Fest der Völker“ seit letztem Sommer nicht mehr in Jena stattfindet – weil man wirksam demonstriert habe. „Oder nehmen Sie die Fanprojekte des FC Carl Zeiss: Ihnen ist es zu verdanken, dass man eine typisch rechte Hooligan-Szene in Jena nicht findet.“ Aus diesem Grund solle das Projekt auch weiter finanziell gesichert werden.
Allerdings haben die Stadtverantwortlichen in den letzten Jahren auch Fehler gemacht, die sie nun mit den Bundesmitteln des Konjunkturpakets auszubessern suchen: Zwischen 2001 und 2003 wurden fast alle Jugendclubs Jenas geschlossen. „Die jungen Linken fühlten sich teils heimatlos und vernachlässigt“, gibt Jauch zu und kann zumindest berichten, dass der Jugendclub „Hugo“ in Winzerla saniert und wieder aufgemacht wird.
Zu dem, was Jauch mit „gut aufgestellt“ meint, gehören auch zahlreiche Umzugskartons, die Nico Przeliorz in der Stadt verteilt hat. Er arbeitet für „KoKont“ (Koordinierungsstelle und Kontaktbüro des Runden Tisches für Demokratie) und ist gerade mit den Vorbereitungen einer großen Stadtkonferenz zum Thema Rechtsextremismus beschäftigt. Die Kartons sollen an neuralgischen Punkten wie der Universitätsbibliothek und dem Bürgerbüro Ideen für die Abschlussdiskussion der Tagung sammeln. Jeder Jenaer kann dort Anregungen einwerfen: „Wie kann die Stadt demokratisches Miteinander fördern? Wie Fremdenfeindlichkeit in Thüringen eindämmen?“ Kaum hat Przeliorz die „Ideenwürfel“ verteilt, muss er weiter: Zusammen mit Adrian, einem ehemaligen Nazi, der den Ausstieg geschafft hat, geht er in Jenaer Schulen und Sportvereine, um Präventionsarbeit zu leisten.
Auch die Mitglieder des Jenaer Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus suchen nach Antworten auf die jüngsten Ausschreitungen. Dass es nichts bringt, wenn man mit Gegengewalt reagiert, darin sind sie sich einig. „Zwar solidarisieren wir uns mit allen Gruppen gegen rechts“, sagt ein Teilnehmer des Plenums, „aber mit einem Transparent durch die Straßen zu laufen, auf dem steht ‚´Wenn ihr auf Menschen einprügelt, prügeln wir zurück‘ ist nicht akzeptabel“. Solch ein Satz hätte auch von den Nazis stammen können, findet er, und seine Solidarität höre daher bei diesem Gedanken auf. Aktionen wie die auf dem Holzmarkt schadeten der gemeinsamen Sache: dem Kampf gegen rechts. „Wenn das so weitergeht, ist die Gefahr groß, dass viele Bürger, die eigentlich mit linken Positionen sympathisieren, verschreckt werden.“
Christoph Ellinghaus, Sprecher des Aktionsnetzwerkes, betonte, es müsse offensiver auf die Polizei zugegangen werden, damit sie ihr bisheriges Rechts-links-Schema aufgebe: „Es kann doch nicht sein, dass verhältnismäßig mehr Links-Autonome als Rechte kontrolliert werden.“ Spätestens seit den Osterereignissen sei die Aufmerksamkeit der Bürger gefordert, bei Übergriffen hinzusehen und sich einzusetzen. Daher möchte das Aktionsnetzwerk Zivilcouragetrainings organisieren.
Jena ist ins Grübeln geraten: Zwar beruhigt die Polizei, die Zahl rechtsextremer Straftaten sei im Verlauf dieses Jahres nicht angestiegen. Aber dennoch lässt etwas darauf schließen, dass die rechte Szene in Jena 2009 besonders aggressiv ist: Die rechtsgerichteten Parteien sind innerhalb Thüringens zerstritten, an der Spitze der Jenaer NPD tobt ein Machtkampf zwischen Ralf Wohlleben und André Kapke. Zu den Kommunalwahlen tritt die Partei erst gar nicht an und auch auf Bundesebene trägt zumindest die desolate Finanzlage derzeit zur Unzufriedenheit bei. Trotzdem wirbt nicht zuletzt das „Braune Haus“ weiter Nachwuchs an und orientiert sich damit am bundesweiten Wahlkampf der NPD: „Kampf um die Köpfe, die Parlamente, die Straße und den organisierten Willen.“Â Die Ursachen der Gewalteskalationen liegen im Superwahljahr 2009 somit doch etwas tiefer, als Vertreter von Polizei und Stadt dies bislang sehen: Der Kampf um Köpfe findet im rechten Lager immer statt. Weil aber der Kampf um die Parlamente immer weniger stattfinden kann, verschieben sich die Prioritäten wieder in Richtung Straßenkampf. Frustpotential hat also wenig mit gutem Wetter zu tun: Wut und Dummheit keimen auch im Regen.
“Was die Strukturen gegen Rechtsextremismus angeht, sind wir in Jena eigentlich gut aufgestellt“
Könnte ihr das nächste mal auch recherchieren, wie es mit den Strukturen gegen Linksextremismus aussieht?
die Zahl rechtsextremer Straftaten sei im Verlauf dieses Jahres nicht angestiegen.
Und wie sieht es mit der Zahl linksextremer Straftaten aus?
Der Kampf um Köpfe findet im rechten Lager immer statt?
In linken, grünen, liberalen und anderen Lagern nicht?
Der Artikel ist etwas sehr einseitig geraten.
Kommentar zum ersten Kommentar:
Schon einmal daran gedacht, dass das vielleicht daran liegen könnte, das Linke und Linksextreme nicht durch die Gegend laufen und Ausländer, Punks oder sonstige mißöiebige Personen zusammenschlagen…? Fakt ist, dass Nazis schlicht und einfach für alle in der Gesellschaft eine Gefahr darstellen und die obige Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus läßt relativ leicht erraten in welcher Ecke du anzutreffen bist. Daher erübrigt sich die weitere Diskussion bereits…
@S.
Du schreibst:
Schon einmal daran gedacht, dass das vielleicht daran liegen könnte, das Linke und Linksextreme nicht durch die Gegend laufen und Ausländer, Punks oder sonstige mißöiebige Personen zusammenschlagen…?
Wie gewaltlos Linksradikale agieren, konnte man doch gerade vergangenes Wochenende prima beaobachten. Durch einen Blick in die Lokalteile verschiedener Zeitungen erfährt man dann auch Sachen wie hier: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/1004/berlin/0152/index.html
Linksextreme mögen “Das Gute” im Sinn haben, die Methoden, die sie dafür anwenden, sind oft aber die gleichen wie die von denen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Deswegen halte ich die einseitige Konzentration auf die Gewalt von einer Seite für falsch. Im Artikel wurde ja recht gut festgestellt, daß die Gewalt nicht einseitig ist, aber leider wurde in den Strategien gegen Gewalt nur eine Seite erwähnt. Unbeteiligten ist es nämlich ziemlich egal, ob es Rechtsradikale, Linke oder Hooligans sind, die das Eiscafe überfallen, in dem sie gerade mit ihren Kindern sitzen.