Niemand sagt: “Hallo, ich bin Nazi”

Interview mit dem neuen Referenten gegen rechts Berengar Lehr

Das Gespräch führte Jonas Janssen

Im Dezember 2008 beschloss der Stura die Einrichtung eines Referats gegen Rechtsextremismus. Vergangene Woche wurde Berengar Lehr zum Leiter des Referats gewählt; AKRÜTZEL sprach mit ihm über Rechtsextremismus an der Uni, Initiativen und das Verhalten der Studenten.

Berengar Lehr. Foto: Jonas Janssen

Gab es einen konkreten Anlass das Referat ins Leben zu rufen?

Nein, es war einfach an der Zeit. Das Menschenrechtsreferat, bei dem die Arbeit gegen Rechtsextremismus vorher angesiedelt war, hat nicht beides erledigen können und da kam der Wunsch auf, das Referat zu gründen. Sicher ist seit dem ersten „Fest der Völker“ auch zusätzlich Bewegung in die Stadt gekommen, aber eigentlich wäre es schon viel früher Zeit für ein Referat gegen Rechtsextremismus gewesen.

Und von wem ging die Initiative aus?

Die Idee hatten Sturaktiv und die Jusos, es waren auch schnell viele „Ungebundene“ von der Idee überzeugt.

Über den Namen des Referats wurde im Stura lange diskutiert, wieso?

Die eigentliche Idee war, es „Antifaschistisches Referat“ zu nennen. Da aber eine Gruppe (aus den Reihen des RCDS, Anm. d. Red.) im Stura ein Problem mit dem Wort Antifaschismus hatte, kam es zur Diskussion. Faschismus sei nicht auf Nazis begrenzt und eigentlich nur die Beschreibung einer italienischen Regierungsform, wurde da theoretisiert, außerdem würde es an die DDR mit ihrem staatlich verordneten Antifaschismus erinnern. Es wäre zudem genauso wichtig, sich auch gegen Linksextremisten zu engagieren. Ich halte diese Gleichsetzung von rechts und links, die auch von der Landesregierung gerne verwendet wird, für höllisch gefährlich.

Was sind die Aufgaben des Referats, gibt es konkrete Projekte?

Wir haben angefangen mit der Unterstützung der Kundgebung gegen Horst Mahlers Vortrag im „Braunen Haus“ – der übrigens prompt zwei Tage danach vor Gericht erneut die Shoa leugnete. Am 30. Januar wird es eine Mahnwache zum Gedenken an die Machtergreifung geben und wir mobilisieren gleichzeitig dafür, am 14. Februar nach Dresden zu fahren.

Wie beurteilst du den Umgang der Uni mit Rechtsextremismus innerhalb und außerhalb der FSU?

Innerhalb der Uni gibt es keinen offenen Rechtsextremismus. Eher so etwas wie einen bürokratischen Rassismus. Vor einem Jahr hat die Universität zum Beispiel einen Asylbewerber, der sich immatrikuliert hatte, wieder exmatrikuliert. Und zwar, weil ihm sein Landkreis aufgrund der rassistischen Praxis der Residenzpflicht nicht erlaubte, nach Jena zu fahren. Anstatt sich mit dem Studenten zu solidarisieren, buckelt die Uni: Pech gehabt, im falschen Land geboren.

…und was ist mit Neofaschisten, die an der Uni studieren, und der Nazi-Szene in Jena?

Was den Umgang mit „den Nazis“ angeht, erinnere mich sehr genau, wie jemand, der in der Universität eine Menge zu sagen hat, mir bei einem Empfang folgendes erklärte: Man solle den Nazis einfach nicht so viel Aufmerksamkeit schenken, denn das wäre genau das, was sie wollen. Diese Sichtweise hat sich aber inzwischen gewandelt, öffentlich gibt sich die Uni weltoffen, protestiert auf ihrer Internetseite gegen das „Fest der Völker“. Aktive und offensive Arbeit der Universität gegen Rechtsextremismus habe ich dagegen noch nicht wahrgenommen. Persönlichen Einsatz gibt es aber sehr wohl: Einige Angestellte, Professoren und Professorinnen engagieren sich stark. Spontan fällt mir da stellvertretend Professor Klaus Dörre aus der Soziologie ein.

Wie sollten studentische Initiativen mit dem Thema umgehen?

Sie sollten das Thema ernst nehmen, es nicht verschweigen oder ignorieren. Das heißt, sich zu überlegen, was zu tun ist, wenn jemand rechtsextreme Parolen von sich gibt. Sensibel zu sein für das, was nicht so auffällig, aber trotzdem rassistisch oder antisemitisch ist. Es stellt sich ja normalerweise niemand hin und sagt „Hallo, ich bin Nazi, darf ich mitmachen?“. Wir haben gelernt, dass ein guter Demokrat zu sein bedeutet, alle teilhaben und zu Wort kommen zu lassen. Aber Nazis stellen sich bewusst gegen die Gesellschaft, greifen Teile der Gesellschaft an, die sich gegen sie wehren, und wollen kein Teil von ihr sein. Also ist es auch unser gutes Recht sie auszuschließen. Wie auch immer sich eine Gruppe entscheidet mit so einem Fall umzugehen, mein Appell ist, auf keinen Fall die Augen zuzumachen, das hat in den 30er-Jahren auch nicht geholfen. Wer sich Gedanken macht und mit dem Thema beschäftigt, kann auch besser reagieren. Es gibt vielleicht mehrere Wege im Umgang mit Nazis, aber der wichtigste ist, überhaupt mit ihnen umgehen zu können.

Was hältst du vom Interview des Magazins „Unique“ mit einem bekennenden Nazi?

Es war unglaublich schlecht gemacht. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass sich auch Journalisten auf ihre Art mit Nazis auseinandersetzen. Aber sich die Fragen diktieren zu lassen – ich weiß, dass das so war – und nicht kritisch nachzufragen, das ist schlechte journalistische Arbeit. Wenn ich einen Nazi frage: „Für was kämpfst du?“, dann darf ich mich nicht wundern, wenn er mir eine romantische Antwort von einer besseren Welt liefert und nicht sagt, wen er aus dieser Welt ausschließen will. In meinen Augen hätte das Interview so nie veröffentlicht werden dürfen. Nazis sind heutzutage gut geschult und nicht nur glatzköpfige Prolls mit Alkoholproblem. Wenn man es da nicht schafft, denen irgendwelche Aussagen zu entlocken, die hinter ihr Biedermeier-Image blicken lassen, dann hat man keine Story. Und wenn man keine Story hat, druckt man nicht ersatzweise Nazi-Propaganda. Ich bin traurig, dass niemand aus der Redaktion der „Unique“ sich quergestellt hat.

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