Es geschah am helllichten Tag

Jedes vierte Fahrrad ist nicht oder nur schlecht gesichert

Von Norbert Krause

Eine Flex für alle Fälle. Foto: Jonas Janssen

“In jedem Jahr eins.“ So lautet die traurige Bilanz, die Gloria Ballhause zieht. Vier Fahrräder wurden der Philosophiestudentin in Jena bereits geklaut: erst ein altes Rad mit Stempelbremse, dann ein günstiges Baumarktbike, danach nur noch gebrauchte. Dabei hatte sie die Fahrräder meist nur einmal über Nacht am Campus durch ein einfaches Schloss gesichert stehen lassen. „Aber“, relativiert sie, „das waren alles auch nur billige Fahrräder“.

Anders als bei Maximillian Bräu. Über 1000 Euro hatte der Chemiestudent für sein Rad bezahlt. Einmal in sieben Jahren hatte er sich ein ordentliches Fahrrad gekauft. Nach drei Monaten wurde es ihm am helllichten Tag vor der Uni gestohlen: „Nach zwei Vorlesungen war es komplett weg, nicht einmal das Schloss war mehr da.“ Er hatte es mit einem dicken Seilschloss fest an den Fahrradständer angeschlossen.


Jena liegt mit 498 gestohlenen Fahrrädern pro 100.000 Einwohnern im Jahr 2007 nur leicht über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 452 Fahrrädern. In Leipzig werden nahezu doppelt so viele gestohlen, in der Studentenstadt Münster fünfmal so viele. Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Fälle liegt fünf- bis achtmal so hoch. „Insgesamt nimmt die Zahl der Fahrraddiebstähle aber bundesweit ab“, sagt André Gläser vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Dafür sorgten bessere Schlösser, mehr Fahrradständer und ein stärkeres Anschließ-Bewusstsein. Dennoch sei noch immer jedes vierte Fahrrad nicht oder nur schlecht gesichert. Wenn Gläser das Schloßöffnen für Fernsehsendungen demonstriert, braucht er für ein einfaches Schloss mit einer Büroklammer zwischen 4 und 10 Sekunden. Bei Spiralschlössern geht es, nach einer Untersuchung der Stiftung Warentest, mit einem Bolzenschneider ähnlich schnell. Lediglich Panzerkabel und Bügelschlösser halten den Dieben länger stand. Wenn man Polizeioberkommissar Michael Glaß glaubt, sind aber Fälle des professionellen Fahrraddiebstahls in Jena eher selten: „Ein Bruchteil ist organisierter Diebstahl, der größte Teil dieser Kriminalität ist Alltagskriminalität.“ Beispielsweise wenn jemand von der „Disko nach Hause“ wolle und dafür einfach mal ein unangeschlossenes Fahrrad nehme. Zu Hause angekommen werfe er das Fahrrad in den nächsten Busch. „Die Zeit der organisierten Banden ist beim Fahrraddiebstahl vorbei“, bestätigt auch Gläser. „Transportertouren“, also ganze Wagenladungen voll von Fahrrädern, gebe es kaum noch, es rentiere sich schlicht nicht mehr. Stattdessen seien sehr viele Einzeltäter unterwegs. Die Täter seien in den meisten Fällen männliche Deutsche, die sogar im näheren Umkreis des Tatorts leben. Aber dass es sich hauptsächlich um Gelegenheitsdiebe handle, kann Gläser nicht bestätigen.

Zwei weitere Diebestypen gibt es nach einer Studie des ADFC außerdem: den einfachen und den professionellen Dieb. Der einfache Dieb hat meist einen kleinen Bolzenschneider dabei und sucht nach alten und schlecht gesicherten Fahrrädern. Er ist meist nachts in wenig bewohnten Gegenden unterwegs, zum Beispiel am Bahnhof oder am Campus. In Großstädten nutzen beispielsweise Drogenabhängige oft solche Diebstähle als Einnahmequelle. Die einfachen Räder werden dann zu einem Stückpreis von 10 bis 20 Euro an einen „Großhändler“ verscherbelt, der sie wiederum in anderen Städten verkauft.

3, 2, 1… meins!

Professionelle Diebe hingegen spezialisieren sich auf neue, lukrative Fahrräder. Da die Besitzer meist nur am Tage mit ihren wertvollen Rädern unterwegs sind, arbeiten die Diebe tagsüber und suchen gezielt nach einer Kombination aus gutem Fahrrad und einem in seinen Schwächen bekannten Schloss. Pro Fahrrad geben sie sich maximal drei Minuten Zeit; wenn das Schloss dann nicht geknackt ist, gehen sie weiter. Ein auffälliges Einladen in einen Transporter gibt es nicht mehr, stattdessen fahren sie wie normale Radfahrer weg. Da neue Fahrräder meist durch eine im Rahmen eingestanzte Nummer registriert sind, wird der „bekannte“ Rahmen einfach weggeworfen und die „anonymen“ Teile (Schaltung, Bremsen, Räder etc.) dann bei Ebay verkauft. So lässt sich aus einem 1000 Euro teuren Rad wie von Maximillian Bräu noch mindestens ein Gewinn von 600 Euro ziehen. Diese Auktions-Geschäftsmodelle können laut Gläser nur schwer beendet werden, da die Polizei in der Beweispflicht sei und es zudem keinen Kläger gebe, der eindeutig nachweisen kann, dass ein bestimmtes Teil ihm gehört.

Dies ist auch für Polizeioberkommissar Glaß ein grundlegendes Problem beim Fahrraddiebstahl: Fahrräder können nicht eindeutig zugeordnet werden. Jeder könne jedes Rad als sein Eigentum deklarieren, solange das Fahrrad nicht registriert sei. Das ist bei neuen Fahrrädern anhand der Rahmennummer und eines Fahrradpasses möglich. Jährlich werden aber etwa 50 alte Fahrräder gefunden, die niemandem zugerechnet werden können. Noch sicherer sei es, wenn man sein Fahrrad kostenlos bei der Polizei registrieren lässt. Dabei wird eine Nummer in den Rahmen gestanzt und dieser danach mit einem auffälligen Aufkleber versehen. „Eine solche Registrierung schreckt viele Diebe ab.“ Sein Wunsch wäre es, wenn die Polizei eine solche Codierungs-Aktion gemeinsam mit der Universität veranstaltete. Auf diese Weise und durch ein verstärktes Sicherungsbewusstsein könnte die lokale Diebstahlrate deutlich gesenkt werden: „Von den codierten Fahrrädern ist bisher nur ein einziges weggekommen – und das nicht einmal in Jena.“

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