Wenn Ackermann & Co das Studium finanzieren

Zwei Prozent aller Studenten nehmen mittlerweile einen Kredit auf – und starten mit hohen Schulden ins Berufsleben

Von Anna-Lena Roth

Ehe man sich versieht, steckt man in der Schuldenfalle.Zeichnung: beetlebum

Was erwarten wohl die 9.729 Erstis, die seit diesem Wintersemester an den Thüringer Universitäten eingeschrieben sind, von ihrem Studium? Überfüllte Hörsäle, klar. Genervte Dozenten, sicher. Aber zum typischen Studentenleben gehören genauso das Kaffeetrinken und der Kinobesuch mit Freunden oder die WG-Party und Kneipentour mit den Kumpels.
Doch so ein Studium will finanziert werden. Im Idealfall sind diese Kosten durch Mama und Papa, Kindergeld und Bafög gedeckt. Dieser Idealfall wird nur leider immer seltener.
Philipp Ebert, 20, zählt nicht zu diesen „Idealfällen“. Er gehört vielmehr zu den zwei Prozent der Studenten, die in Deutschland einen Kredit aufnehmen müssen, um ihr Studium zu finanzieren.
An der FSU studiert Philipp im ersten Semester Geschichte und Politikwissenschaft. Für das Arbeiten nebenher hat er keine Zeit. „Auch eine Ausbildung stand nie zur Debatte. Für mich war immer schon klar, dass ich studieren werde.“ Klar war aber auch, dass Philipps Eltern ihn dabei nicht unterstützen, schließlich haben sie sich erst vor Kurzem ein Haus gekauft. Somit ist Philipp aber auch nicht Bafög-berechtigt – und er musste sich vor Studienbeginn ernsthafte Gedanken um Finanzierungsmöglichkeiten machen.

„Selbst wenn ich einen großen Berg Schulden anhäufen muss, ist mir das meine Ausbildung auf jeden Fall wert“, sagt er. Also hat er sich in Zeitungen und im Internet über Studienkredite informiert. Anders als bei normalen Krediten bekommen Studenten hier monatliche Raten und nicht einmalig eine große Summe ausbezahlt. Das Angebot ist dabei ebenso vielfältig wie unübersichtlich. Unterschieden wird beispielsweise danach, ob es sich um öffentliche oder private Kreditinstitute handelt, ob die Gelder ausschließlich der Finanzierung von Studiengebühren dienen oder auch des Lebensunterhaltes. Unterschiede gibt es auch in der Bezugsdauer: Manche Studenten brauchen gleich zu Beginn ihres Studiums einen Kredit, wieder andere nutzen ihn nur als eine Art Überbrückung, wenn sich nach der Regelstudienzeit das Bafög, nicht aber das Studium dem Ende zuneigt. Außerdem gibt es neben den bundesweit einheitlichen Angeboten je nach Region zusätzliche Anbieter.

Studenten im Visier

Dass Studenten vermehrt ins Visier privater und öffentlicher Kreditinstitute rücken, liegt nicht zuletzt daran, dass 2005 Studiengebühren für zulässig befunden wurden. Seit April 2001 bietet die Bundesregierung Studenten höherer Semester mit dem „Bildungskredit“ zwar schon zinsgünstige Darlehen an; aber erst ab Oktober 2005 entdeckte dann als erstes größeres Kreditinstitut die Deutsche Bank Studenten als Zielgruppe – und viele andere sind diesem Beispiel seitdem gefolgt.
Eines der wichtigsten Institute ist dabei die öffentlich-rechtliche Förderbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Seit April 2006 bietet sie finanzschwachen Studenten im Erststudium die Möglichkeit, für maximal 14 Semester einen Studienkredit aufzunehmen – und bis zum Juli dieses Jahres haben rund 37.000 Studenten in Deutschland das Angebot genutzt. Einer von ihnen ist Philipp Ebert. Warum hat er sich aber nun für die KfW entschieden? „Weil der Kredit weder abhängig vom Gehalt meiner Eltern noch von irgendwelchen Sicherheiten war und die Zinsen wirklich niedrig sind“, antwortet Philipp.
Das Beantragen ging dann schnell: Online die Formulare ausgefüllt und ab damit zum nächstgelegenen KfW-Vertriebspartner. Eigene Filialen betreibt die Kreditanstalt nicht, Partner sind unter anderem die Studentenwerke und einige Sparkassen. Die Höhe der monatlichen Auszahlung richtet sich nach dem Bedarf der Studenten, zwischen 100 und 650 Euro sind möglich. Philipp hat sich erst mal für den Höchstsatz entschieden, jedes halbe Jahr kann er den Betrag aber verringern.
Mit der Rückzahlung des Kredits beginnt man – je nach Bezugsdauer – sechs bis 23 Monate nach Ende seines Studiums; spätestens nach 25 Jahren muss die Tilgungsphase dann abgeschlossen und das gesamte Geld zurückgezahlt sein.
Der KfW-Zinssatz liegt momentan bei 6,5 Prozent, ist allerdings variabel und wird halbjährlich an die Kapitalmarktentwicklung angepasst. Seit der Einführung ist er bereits um fast 1,5 Prozent gestiegen. Bei Vertragsabschluss wird den Studenten 15 Jahre lang ein maximaler Zinssatz garantiert, momentan liegt er bei 9,2 Prozent. Im Vergleich zu anderen Anbietern ist das dennoch recht günstig.
Der Schuldenberg, der sich im Laufe des Studiums anhäuft, ist hingegen gigantisch. „Je nachdem, ob ich den Betrag in den kommenden Monaten verringere, werde ich nach meinem Studium zwischen 30.000 und 80.000 Euro zurückzahlen müssen“, sagt Philipp. „Es ist schon ein komisches Gefühl, so viele Schulden zu haben. Außerdem wird so ein Kredit ja noch nicht wirklich als normal angesehen“, meint er. Andererseits mache es ihn aber auch stolz, dass er sein Studium ganz alleine stemmt.
Finanziell auf sich allein gestellt ist auch die 26-jährige Anne (Name geändert). Bis zum 10. Semester ihres Biologiestudiums lief eigentlich alles nach Plan. Auch wenn ihre Eltern sie finanziell nicht unterstützen konnten, kam sie mit der Summe aus Kindergeld und Bafög gut über die Runden. Doch als dann das Bafög eingestellt wurde, blieb Anne keine andere Möglichkeit als einen Kredit aufzunehmen.
Über das Studentenwerk beantragte sie ein so genanntes Bafög-Bankdarlehen, das sich speziell an diejenigen richtet, die kurz vor ihrem Abschluss stehen. Man bekommt dabei ein KfW-Darlehen zu günstigen Zinskonditionen, ohne Sicherheiten bieten zu müssen. „Der Schritt dazu fiel mir leicht, es gab ja keine Alternative“, sagt sie. „Außerdem hat es sich nahtlos ans Bafög angeschlossen, da fiel der Unterschied kaum auf.“
Ein Jahr lang bekam Anne nun 400 Euro monatlich – doch nach Ablauf dieser Zeit war ihre Diplomarbeit immer noch nicht fertig. Mit der Rückzahlung musste sie dennoch nach einer sechsmonatigen Frist beginnen, „und das, obwohl ich das Geld dringend gebraucht hätte“. Seitdem zahlt sie monatlich 105 Euro zurück, insgesamt wird es 54 Monate dauern, bis sie ihre Kreditschulden beglichen hat, viereinhalb Jahre.
Hinzu werden noch die 10.000 Euro  für die Rückzahlung des Bafög kommen. Angesichts dieser Schuldenlast fühlt sich Anne oft wie erdrückt. „Das sind so große Zahlen, das kann man gar nicht richtig begreifen“, sagt sie und kann die Tränen kaum zurückhalten. „Jedes Monatsende freue ich mich, dass ich nun ein bisschen weniger Schulden habe“, sagt sie. Heute, am 5. des Monats, hat sie noch 46 Euro auf ihrem Konto.
Mittlerweile hält Anne sich mit Nebenjobs und der Hilfe guter Freunde über Wasser – und ist im 15. Semester. Dass dies ihre letzte Chance ist, mit der Abschlussarbeit fertig zu werden, ist ihr nur allzu bewusst. „Ich hatte großes Glück, dass mir die Langzeitstudiengebühren für dieses Semester erlassen wurden“, sagt sie. „Noch einmal geht das nicht.“
Auch wenn ihr die Entscheidung für einen Studienkredit mangels Alternativen damals leicht gefallen ist, würde sie es mit ihrem heutigen Wissen nicht noch einmal machen, da ist sich Anne sicher. „Ich denke einfach immer daran. Immer.“
Ein Schicksal wie das von Anne bestätigt Mike Niederstraßer, Sozialreferent im Stura, in seiner Meinung über Studienkredite. Es sei eine Notlösung für den allerschlimmsten Fall, wenn wirklich gar nichts mehr gehe. „Wenn jemand Wundbrand hat und man ihm deshalb den Arm amputieren muss, ist das eine Notlösung. Deshalb ist die Amputation aber noch lange nicht gut. Das kann man ruhig so drastisch sagen.“ Bevor man einen Kredit aufnehme, solle man sich lieber über alle anderen Möglichkeiten genauestens informieren: Stipendien, Jobangebote, alternative Sozialleistungen. „Die Banken vergeben solche Kredite ja nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit, die wollen Profit mit Leuten machen, die bedürftig sind.“

Abschaffung des Bafög?

Einen weiteren Nachteil der Studienkredite nennt Karl Theile, Justitiar des Studentenwerkes: Er befürchtet, dass die zunehmende Konkurrenzsituation zwischen Bafög und Krediten langfristig zur Abschaffung des Bafög führen könnte.
„Aber so lange das Bafög bestehen bleibt, ist so ein Kredit eine gute Alternative.“ Diese Möglichkeit der Studienfinanzierung sei unter Studenten aber noch recht unbekannt – und die meisten schrecken erst einmal zurück, wenn er ihnen davon erzählt. „Die muss man dann schon fast überreden, einen Kredit aufzunehmen, bevor sie ihr Studium abbrechen“, sagt er. Auch wenn die Zahl der Studenten, die in den vergangenen Monaten einen Kredit aufgenommen hat, gestiegen sei, handle es sich noch immer um eine kleine Minderheit.
Zu dieser Minderheit gehört auch Marcus Günther. Der 27-jährige Jura-Student beschäftigte sich zum ersten Mal mit dem Thema Studienkredit, als sein Vater ankündigte, ihm ab März dieses Jahres keinen Unterhalt mehr zahlen zu können. Weil er für sein Examen lernen muss, kann er nebenher nicht arbeiten. Um dennoch weiterstudieren und seinen Lebensstandard halten zu können, bewarb er sich – anders als Philipp und Anne – bei der „Deutschen Bildung“ um einen Kredit. Seit Oktober 2007 vergibt dieses unabhängige Unternehmen Studienförderungen für maximal 36 Monate, bis zum Juni 2008 hatten 100 deutsche Studenten sie in Anspruch genommen.
Um dort einen Kredit zu bekommen, musste Marcus sich erstmal „komplett nackig machen“, wie er sagt: Geprüft wurden neben Lebenslauf und Noten auch seine Intelligenz, psychische Verfassung und voraussichtliches Einkommen. Denn im Gegensatz zu anderen Institutionen wie der KfW zahlt man seinen Kredit hier nicht zins-, sondern einkommensabhängig zurück. Das heißt, für jeden Bewerber wird je nach Testergebnissen individuell ein fester Prozentsatz seines späteren Bruttoeinkommens bestimmt, den er dann über einen festgelegten Zeitraum zurückzahlen muss. Das bedeutet im Extremfall, wenn man nichts verdient, zahlt man auch nichts zurück; verdient man aber überdurchschnittlich viel, zahlt man auch überdurchschnittlich viel zurück.
15 Monate lang bekommt Marcus nun 500 Euro und hat daneben die Möglichkeit, an dem „Guidance“-Programm des Unternehmens teilzunehmen. Dieses besteht aus einem Online-Portal, Vorträgen und Workshops, die den Berufseinstieg erleichtern sollen.
Also alles in allem eine tolle Sache? „Naja, der Gedanke an Schulden ist nicht gerade schön. Aber er hemmt mich nicht, im Gegenteil. Ich bin dadurch erst recht motiviert“, sagt Marcus.
Einzig seine Großeltern hatten ein Problem mit dem Gedanken an den verschuldeten Enkel: „Die dachten, ich tappe in eine Schuldenfalle und werde nie mehr glücklich.“ Da Marcus sich im Vorfeld aber gut informiert und den Vertrag genau geprüft hatte, konnte er sie beruhigen – und seine Großeltern können seitdem wieder beruhigt schlafen.

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