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Ausländische Studenten in Jena und ihre Probleme

Von Conrad Ziesch

Drei von Ihnen werden statistisch gesehen ihr Studium in Deutschland nicht abschließen.         Foto: Matthias Benkenstein

Sie wohnt in Weimar, hat vor wenigen Tagen ihre Masterarbeit an der FSU eingereicht und spricht fließend Deutsch: Ling mit ihrer schwarzen Lockenmähne, ihrem einnehmenden Lachen und den gelben Turnschuhen will so gar nicht in das Bild passen, das sich viele Jenaer Studenten von ihren ausländischen Kommilitonen machen. Wohnheimplatz in Lobeda, schlechte Deutschkenntnisse und unscheinbares Äußeres – die Liste der Vorurteile ist lang. Die Situation ausländischer Studenten lässt sich aber nicht auf Klischees reduzieren, findet Ling, die vor mehr als einem Jahr aus dem Norden Chinas zum Jurastudium nach Jena kam. „Das Leben kann man nicht schwarz oder weiß malen. Es liegt irgendwo dazwischen.“

Wie Ling leben etwa 1.200 internationale Studenten aus 94 Ländern in und um Jena. Ein Großteil von ihnen kommt aus China, Russland oder Bulgarien. Manche bleiben nur für ein oder zwei Semester. Andere absolvieren hier einen studienvorbereitenden Sprachkurs. Die meisten streben einen Abschluss an oder arbeiten an ihrer Promotion.Cornelia Dwars vom Internationalen Büro der Universität führt eine Strichliste über die Zahl der Studenten, die sich jeden Monat über das Internet bei ihr melden, 200 sind es im Schnitt. Für viele Bewerber im Wintersemester war Jena aber nur eine Alternative von vielen. Sie meldeten sich gleich bei mehreren Universitäten an, um sich später die beste herauszusuchen.
Ling hörte auf ihren Professor in China, der ihr den Rat gab, in Deutschland zu studieren. Der gute Ruf der deutschen Rechtswissenschaft lockte sie schließlich nach Jena. Die geringen Studien- und Lebenshaltungskosten sprachen ebenfalls für Thüringen und gegen andere Unistandorte in Deutschland und Europa.

Wer will schon nach Lobeda?

Nach ihrer erfolgreichen Immatrikulation erhalten ausländische Studenten neben einem handlichen Studienführer den Zugang zu der Internetplattform Intercampus. Hier können sie sich über Studium und Leben in Jena austauschen. Bei ihrer Ankunft in Deutschland bekommen sie einen Tutor zur Seite gestellt, der sie in ihrem neuen Studienalltag unterstützt. 120 dieser Helfer gibt es derzeit in Jena; zu wenige, wie Britta Salheiser vom Internationalen Büro findet. Das Büro im Unihauptgebäude ist die erste Anlaufstelle für Studenten, die administrative oder auch ganz private Anliegen haben. „Ich suche eine Hüpfburg für mein Kind“, war wohl der ungewöhnlichste Wunsch, den die Betreuerin in den letzten Wochen zu hören bekam.
Weitaus häufiger fragen ausländische Studenten bei ihr nach einer geeigneten Unterkunft.Laut einer Umfrage des Deutschen Studentenwerkes wohnt etwa die Hälfte von ihnen in einem Wohnheim. In Jena gibt es insgesamt 20 solcher Häuser.Eines davon befindet sich in der Stauffenbergstraße in Lobeda West. Im Eingangsbereich des elfstöckigen Plattenbaus hängen Informationen des Hausmeisters in chinesischen Schriftzeichen. Daneben klebt ein zweisprachiger Aushang von Miriam, der Wohnheimtutorin. Die 22-Jährige hat selbst ein Zimmer im ersten Stock. Sie schätzt, dass 40 Prozent ihrer Mitbewohner ausländischer Herkunft sind. Nicht verstehen kann Miriam vorschnelle Kritik an Lobeda: „Viele Studenten wohnen hier das erste Mal in ihrem Leben in einem Einzelzimmer und sind glücklich.“ Sie gibt aber auch zu, dass zahlreiche Bewohner nach einigen Monaten lieber in die Innenstadt ziehen wollen. Wider den schlechten Ruf organisiert die Wohntutorin regelmäßige Ausflüge in die Umgebung, holt Studenten bei ihrer Ankunft vom Bahnhof ab oder hilft ihnen bei alltäglichen Problemen. „Ein klassischer Fall sind die Waschmaschinen und wie sie funktionieren“, erzählt sie mit einem Grinsen.

Gewürze aus der Heimat

Nach kurzer Untermiete in Jena hat auch Ling einen Wohnheimplatz gefunden, fünfzehn Minuten Fußweg vom Weimarer Hauptbahnhof entfernt. Jeden Tag pendelt sie nun zwischen den Städten. Für sie stellt das Wohnheim eine preisgünstige Alternative zu den teuren und schwer zu findenden WG-Zimmern im Stadtzentrum dar.
Die Finanzierung des Auslandsaufenthalts ist auch ein ständiges Problem anderer Studenten. Nur wenige haben das Glück ein Stipendium zu bekommen. Die so genannten „Free Mover“ hingegen müssen sich ihr Studium selbst organisieren und sind häufig auf die finanzielle Hilfe ihrer Familien angewiesen. Für Nichtmuttersprachler ist es zudem schwer, einen der begehrten Studentenjobs in Jena zu finden, mit dem sie sich etwa Bücher, ihre Wohnung oder die Krankenversicherung finanzieren können.
Nicht alle haben so viel Glück wie Kelly aus den USA, die als Sprachlehrerin arbeiten und dabei auch noch Kontakte knüpfen kann. Häufig scheitert der erste Kontakt zu deutschen Studenten bereits an den unterschiedlichen Kommunikationsformen beider Seiten. Ling hat die Erfahrung gemacht, dass einige ihrer Kommilitonen keine Lust hatten zuzuhören und sich Zeit für sie zu nehmen. „Lose Bekanntschaften zu knüpfen ist einfach, Freunde zu finden nicht“. Das Gefühl der eigenen sprachlichen Unzulänglichkeit führt dazu, dass sich manche Studenten abkapseln oder Halt bei anderen Austauschstudenten suchen. Sie versuchen, der Einsamkeit zu entfliehen, indem sie sich etwa wie Dora aus Ungarn ein Stück ihrer Heimat mit nach Jena bringen. Die Politikstudentin nahm sich Gewürze mit, um „sich ein bisschen so zu fühlen wie zu Hause“.
Studenteninitiativen wie das deutsch-polnische Interkulturprojekt Acoto setzen sich dafür ein, dass die Studenten auch in Jena schnell heimisch werden. André John ist Vorsitzender von Acoto. In seiner Brust schlagen gleich drei Herzen. Ein amerikanisches für seine Familie in Colorado, ein deutsches für seine jetzige Heimat Jena und ein polnisches für Acoto. Seit der Gründung vor drei Jahren hat sich die Zahl der Teilnehmer auf 22 erhöht. Erst vor wenigen Wochen sind neun polnische Erasmus-Studenten hinzugekommen. Sie gehören schon jetzt voll zur Gruppe. „Wenn wir abends etwas unternehmen wollen, sind es eben nicht die Polen, sondern Namen und Individuen, mit denen wir feiern gehen“, sagt André.

Die Angst vor dem Scheitern

Wie Acoto sind zahlreiche Studenteninitiativen seit kurzem im Haus auf der Mauer unweit des Johannistors untergebracht. Vertreten werden sie von Int.Ro, dem Ausländerreferat des Stura. Sylvia Gebhardt kümmert sich hier vor allem um die mittlerweile zwölf Sprachkurse, die von Int.Ro angeboten werden. Auch wenn die meisten ausländischen Studenten vor ihrem Studienbeginn deutsche Sprachkenntnisse vorweisen müssen, sind ihre Sprachniveaus sehr unterschiedlich. Erasmus-Studenten brauchen bei ihrer Bewerbung gar keine Deutschkenntnisse nachzuweisen. Im Haus auf der Mauer finden Deutschkurse in kleinen Gruppen von drei bis sechs Personen statt. Daneben können die ausländischen Studenten ihre Muttersprache unterrichten und sich so etwas dazuverdienen. Die Universität bietet über das Sprachenzentrum ebenfalls Deutschkurse an, die vom Anfängerkurs bis zur deutschen Geschäftssprache reichen und für die Teilnehmer kostenlos sind.
Dass Alltagssprache nicht mit Hochschulsprache gleichzusetzen ist, wissen aber auch Professoren wie Reinhard Hahn. Der Germanistikprofessor hat schon oft die Erfahrung gemacht, dass ausländische Studenten bei lernintensiven Themen besser abschnitten als ihre deutschen Mitstudenten. Die Fakultät für Deutsch als Fremdsprache hat sich bereits auf die unterschiedlichen Sprachvoraussetzungen ihrer Bewerber eingestellt. Rund 200 Austauschstudenten können jedes Semester an speziell auf ihr Sprachniveau zugeschnittenen Kursen (ATS) teilnehmen.
Für Nichtmuttersprachler ist das deutschsprachige Studium mit einem enormen Lernaufwand verbunden. Sie büffeln im Durchschnitt 34 Stunden pro Woche. Gerade Studenten aus ärmeren Ländern stehen dabei unter einem enormen Druck ihr Studium möglichst erfolgreich abzuschließen. Ein Studienabbruch oder -wechsel käme gerade für chinesische Studenten einem Gesichtsverlust gleich. Dennoch geht das Deutsche Studentenwerk davon aus, dass etwa die Hälfte der ausländischen Studenten ihr Studium abbricht. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich, wie es das Leben der ausländischen Studenten in Jena ist.
Ling steht bereits vor dem Abschluss ihres Studiums. Die Erfahrungen, die sie in Jena gemacht hat, haben nicht nur ihr Bild von Deutschland geprägt. „In Deutschland habe ich gelernt, China zu lieben“, sagt sie.

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