Was nicht passt, wird passend gemacht

Das neue Jenaer Modell der Lehrerbildung kämpft immer noch mit seinen Kinderkrankheiten

Von Felix Reinhardt

Vor Kurzem meldete sich am Telefon von Christine Tirsch, Mitarbeiterin des Prorektorats für Lehre und Struktur, eine Schülerin. Sie wollte wissen, ob man an der Universität Jena das Lehramtstudium noch sicher absolvieren könne. Aufgeschreckt wurde die Schülerin durch einen Artikel in der TLZ, dessen Grundtenor war: In der Lehrerausbildung an der FSU herrscht das blanke Chaos. Man konnte dort von massenhaften drohenden Exmatrikulationen und Schlampereien lesen. Fehlende Rechtsnormen und schlechte Beratung stünden auf der Tagesordnung. Wie man sieht, eine Aussage mit erheblichen Folgen für das öffentliche Bild der Uni. Doch was ist dran an den Vorwürfen?

Das Jenaer Modell der Lehrerbildung ist ein Unikat in der deutschen Hochschullandschaft. Drei Jahre wurde an einer Umsetzung gebastelt, bei der man den Bologna-Prozess berücksichtigen musste und gleichzeitig mehr Praxisanteile in das Studium integrieren wollte. So entstand ein dreiphasiges modularisiertes Studiensystem, das ein halbjähriges Praxissemester enthält. Koordiniert und forschend begleitet wird es vom Zentrum für Lehrerbildung und Didaktikforschung. Im letzten Wintersemester begann die Uni mit der Umstellung und jeder Erstsemester musste in dem neuen System anfangen. Doch wie es bei einer Neueinführung so ist, wurden schnell „Macken“ und Probleme sichtbar.

Keine Prüfungsordnung

Eines davon scheint essentiell zu sein. So beklagt das Referat für Lehramt, dass es keine aktuelle Staatsprüfungsordnung gibt, die auf das neue Modell abgestimmt ist. Folglich seien sämtliche Prüfungen anfechtbar. Die Uniseite bestätigt, dass diese Ordnung noch aussteht. „Das hat aber keinerlei praktische Bedeutung“, sagt Christine Tirsch. Denn am wichtigsten für die Studenten seien die Modulkataloge. Was in denen steht, gelte. Somit seien auch erbrachte Prüfungsleistungen bindend. Die Staatsprüfungsordnung regle lediglich die Wertigkeit von Modulleistungen und Staatsprüfung in der Gesamtnote. Zudem wird die fehlende Verordnung durch einen so genannten Vertrauensschutz abgesichert. Das heißt, man tut so, als gäbe es die Verordnung bereits. Sollten sich jedoch bei deren tatsächlichen Inkrafttreten Wertungen der Module maßgeblich verändert haben, blieben die Bedingungen, unter denen die Studenten begonnen haben zu studieren, bestehen. Dass es überhaupt zu solchen Änderungen kommt, sei zudem eher unwahrscheinlich, denn die Ordnung wurde in erster Linie von der Uni selbst entworfen und an das Jenaer Modell angepasst. „Nur konnten die Moduleinführung und die neue Verordnung nicht synchron in Kraft treten“, sagt der Erziehungswissenschaftler Professor Will Lütgert. Letztere durchläuft gerade die Ministerien. Würde die Universität nun warten, bis das Gesetz im Landtag durch ist, kämen zwei wenig wünschenswerte Alternativen zum Tragen. Entweder müsste das Lehramtstudium so lange ausgesetzt werden oder die Durchlässigkeit zu den Bachelorstudiengängen wäre nicht gegeben. Um das zu verhindern, wurde die jetzige Lösung vom Kultusministerium abgesegnet.
„Diese Rechtslage war den Studenten aber nicht hinreichend bekannt. Die Uni brauchte erst einen Schuss vor den Bug, darum auch der Zeitungsartikel in der TLZ“, erläutert Jürgen Röhreich, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Mit Blick auf die Umsetzung des Modells wird allerdings noch ein Problem deutlich: die vielen Überschneidungen zwischen den Fächern. Eine Tatsache, von der auch viele Bachelorstudenten betroffen sind. Da man im Lehramtsstudium eine annähernd freie Fächerwahl hat, ergeben sich mehr als 900 Kombinationsmöglichkeiten. Folglich ist es unmöglich Überschneidungen auszuschließen. Doch sowohl die Studentenvertreter als auch die Uni lehnen es ab, bestimmte Fächerkombinationen vorzuschreiben. Professor Tilman Rhode-Jüchtern, Direktor des Zentrums für Lehrerbildung, erläutert die alternative Strategie: „Wir wollen die betroffenen Einzelfälle sichtbar machen und abarbeiten.“ Zur Umsetzung wurde vom Prorektorat ein Maßnahmenkatalog entworfen, man versucht individuelle Stundenpläne auszuarbeiten und alternative Veranstaltungen zu finden. Da ein Überschneidungsproblem oft mehrere betrifft, wurden auch die Fachberater involviert. Eva Schmitt-Rodermund, die im Dezernat 1 für akademische und studentische Angelegenheiten bei prinzipiellen Problemen mit dem Studium Anlaufpunkt ist, hebt zudem die positive Zusammenarbeit mit dem Referat für Lehramt hervor. Vielen Erstsemestern konnte geholfen werden, indem Yvette Hummel und Marcel Helwig vom Referat sie an die richtigen Stellen weiterleiteten. All das scheint Früchte zu tragen. In einer Belastungsstudie geben mehr als 80 Prozent der befragten Lehramtsstudenten an, trotz spürbarem Druck dem Studium optimistisch gegenüberzustehen.

Einzelfallhilfe

Wie man sieht, wird viel getan und man könnte sich die Frage stellen, wo die Gründe für die Beschuldigungen liegen. Diese ergeben sich erst auf den zweiten Blick. So konnte zwar in vielen Einzelfällen Hilfe angeboten werden, allerdings wurden gleichzeitig Grenzen deutlich. Gerade naturwissenschaftliche Fächer sind stringent aufgebaut. Dort Module zu tauschen, ist schlicht nicht möglich. Darum wäre eine engere Kooperation zwischen den Instituten wünschenswert. Marcel Helwig dazu: „Das Engagement bei den Studienfachberatern ist längst nicht überall gleich.“ Er hat die Erfahrung gemacht, dass viele Studenten immer wieder an andere Personen verwiesen werden. Diesen Eindruck kann Eva Schmitt-Rodermund vom Dezernat 1 teilweise bestätigen. „Die Kooperation der Fachberater ist unterschiedlich. Die Spanne reicht von sehr starker Kooperation bis hin zu einzelnen verweigernden Haltungen.“ Sie betont: „Es ist nicht akzeptabel, wenn Studenten über zehn Stationen rumgeschickt werden.“
Auch Steven, der Biologie und Wirtschaft/ Recht auf Lehramt studierte, erging es so. Bei seinen Überschneidungsproblemen fühlte er sich alles andere als gut beraten. Von allen Seiten bekam er zu hören, er solle sich bitte an das jeweils andere Fach wenden. Man könne ihm nicht helfen. Mehr noch, nicht mal die Probleme innerhalb von Wirtschaft/ Recht konnten gelöst werden. „Ich habe vom Fachberater einen Zettel bekommen, auf dem stand, welche Veranstaltungen alle zu belegen seien“, sagt Steven. „Am Ende stellte sich heraus: Das stimmte so gar nicht.“ Sein Stundenplan sollte 41 Semesterwochenstunden enthalten. Das hielt er nicht lange durch, letztlich gab er dem Rat des Beraters nach. Der legte ihm nahe, das Fach zu wechseln.
Der Fall von Steven ist sicher nicht die Regel. Auch gibt es keine generelle schlechte Beratung. Doch an dem Beispiel wird deutlich, dass alle formalen Hilfsstrukturen den Studenten wenig nützen, wenn diese nicht konsequent in allen Bereichen umgesetzt und koordiniert werden. Eine schlechte Beratung spricht sich viel schneller herum als eine gute. Hinzu kommt ein weiterer Punkt. Das Land fordert von der Uni, dass die Studenten möglichst schnell lernen. Überschreitet man die vorgegebene Semesteranzahl, kann es schnell teuer werden. Studienverlängernde Überschneidungen zu vermeiden ist somit nicht nur ein „Serviceangebot“ der Uni. Sie steht hier in der Verantwortung. Doch der Aufwand lohnt sich, schließlich – und da sind sich alle Beteiligten einig – ist das Jenaer Modell ein Schritt in die richtige Richtung.

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