Akrützel deckt auf

Die Irrfahrten eines Fotoautomaten

von Uli Sauer

FOTO:aus dem Fotoautomaten

Bis vor kurzem sah man vom frühen bis zum späten Abend kichernde Mädchen, händchenhaltende Pärchen und Partygänger vor ihm: dem orangefarbenen, großen Kasten mit dem schwarzen Vorhang, der roten Aufschrift „Photoautomat“ und dem Charme längst vergangener Tage. Jeder fragte sich, woher der Automat plötzlich kam und warum er auf dem Abbe-Platz stand. Erst konnte man ihn in der Nähe des „Museums auf Achse“ betrachten, später neben der Mensa. Und so schnell und heimlich, wie er auftauchte, verschwand er auch wieder. Sein vorerst letztes Asyl fand er nun am Café Wagner.

Zum ersten Mal wurde er im Juli aus München abgeschoben, weil er sich dort nicht mehr rentierte. Deshalb holte Therese Koppe den Automat nach Jena und rettete ihn so vor seiner Verbannung nach Berlin. Seitdem kümmert sie sich mit drei Freunden um den Fotoautomaten. Sie selbst ist Soziologie- und Kunstgeschichtestudentin an der Uni und stammt aus Berlin. Aus dieser Stadt kommt auch der Initiator Asger Doenst. Der Kameramann hatte die Idee, Fotoautomaten aus den 50er- und 60er-Jahren aufzustellen. Er kümmerte sich um die Beschaffung der alten Automaten, die vorwiegend aus den USA stammen, und ließ sie restaurieren. Mittlerweile finden sich, ausgehend von Berlin, in fast allen großen Städten Deutschlands solche Fotoautomaten. Sogar bis Paris hat sich dieser Trend durchgesetzt und er erhält immer mehr Anhänger.
In Jena bekam Therese eine zeitlich begrenzte Aufstellgenehmigung von der Universität Jena für den alten Neuling, die Anfang Oktober endete. Die Raumverwaltung verlängerte den Vertrag nicht, obwohl das Kulturreferat des Sturas Teile der Einnahmen aus der Campuszeit des Automaten erhält und er hoch frequentiert wurde, vor allem während des Festivals „Four Days in Paradise“. So musste Therese für den ihr anvertrauten Automaten ein neues Obdach suchen. Die Stadt Jena und JenaKultur lehnten die Aufstellung des Fotoautomaten in öffentlichen Bereichen ab, weil der Automat nicht ins Stadtbild passe.

Jetzt steht er seit einigen Wochen am Café Wagner. Der Mischkultur e.V. nahm ihn in seine Obhut. Die Einnahmen fließen nun zu Teilen an den Verein, das Café Wagner und zu zehn Prozent an den Vermieter der alten Fotoautomaten in Berlin. Therese und ihre drei Freunde erhalten eine Aufwandsentschädigung. Um die Technik, das Fotopapier und die Chemie müssen sich die Betreuer selbst kümmern. Das Material dazu kommt aus Berlin.
Da der Fotoautomat noch aus den 60er- Jahren stammt und liebevoll restauriert wurde, ist die Technik und Entwicklung der Fotos etwas kompliziert. So dauert es einige Minuten, bis der Fotografierwillige endlich seinen Streifen Schwarz-Weiß-Bilder für zwei Euro in der Hand halten kann. Besorgte Porträtierte haben Therese auch schon nachts um vier auf die Mailbox gesprochen, dass die Bilder im Automaten stecken bleiben würden, sagt sie lachend. Doch bis jetzt hat jeder seine Aufnahme bekommen. Bilder, die liegen bleiben, werden nicht von einer verträumten Amélie aufgesammelt, sondern ordentlich von den nächsten Nutzern an die Wand geklemmt.
Dank der altmodischen Technik brauchen sich die Nutzer auch nicht vor Datenspeicherung zu fürchten. Was sie in den Händen halten ist der einzige Beweis für ihren Besuch des Fotoautomaten. In einem komplizierten Verfahren wird mithilfe der Entwicklerchemie das Positiv ohne Negativ entwickelt. So gibt es keine Überreste außer vergessenen oder steckengebliebenen Bildern.
Solange sich der Fotoautomat noch trägt, bleibt er in Jena. Erst wenn das Fotopapier und die Chemie zu teuer werden und sich Partygänger nachts nicht mehr fotografieren lassen wollen, wird ihn sein endgültiges Schicksal ereilen und er muss seinen Weg zurück nach Berlin antreten.

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