Gitarrengeschrubbe mit provinzieller Sehnsucht

 Ein Gespräch mit „The Notwist“ vor ihrem Konzert bei der Jenaer Kulturarena 2008

Das Gespräch führten Louisa Reichstetter und Lutz Thormann 

 Jena, 20. August 2008. In der letzten Woche der Kulturarena spielt die Band aus Weilheim auf dem Theatervorplatz. Vor dem Konzert treffen wir Markus Acher, Gitarrist und Sänger, im Garten des Café Grünowski. Mitten im Interview fallen zwei riesige Hornissen vom sonnigen Himmel auf die Picknickdecke. Sie kämpfen wie wild miteinander. Acher runzelt kurz die Stirn und spricht dann seelenruhig weiter über seine Schulzeit, das europäische Konzertpublikum und das Rauchverbot.

The Notwist

„The Notwist“ ­– was bedeutet euer Bandname?
Das bedeutet gar nichts. Es sollte ein total sinnloser Name sein. Vor fast 20 Jahren haben wir an einem Radiowettbewerb für Nachwuchsbands teilgenommen, „Demokassettentest“ hieß das. Damals haben wir ein Lied abgegeben, das wir eigentlich selbst ganz schrecklich fanden. Und dazu haben wir uns einen ganz schlimmen Bandnamen ausgedacht. Es sollte auf jeden Fall was mit „The“ vorneweg sein. Und „No“ kommt bei Jugendlichen immer gut.

Was war das damals für ein Lied?
Das hatte nix mit dem jetzigen Notwistsound zu tun. Es war ein schlechtes Punklied [fängt an zu singen]: „Freitagmittag, die Schule ist aus! Wir gehen nach Haus!“

Heute seid ihr berühmt und geltet doch als scheu, wie ward ihr als Schüler?
Eher Außenseiter. Alle aus der Band. Wir sind auch oft durchgefallen.
Für mich war das Abitur ziemlich schwer und mein Bruder hat gar keinen nennbaren Schulabschluss. Wir waren einfach zu still.

Jetzt liest man in den Feuilletons, The Notwist sei „Deutschlands bedeutendste Indieband“. Was verstehst du unter „Indie“?

Diese Kritiken finde ich total schlimm. Und doch: „Indie“ bedeutet uns immer noch viel, denn es steht für „independent“. Wir versuchen, so unabhängig wie möglich von Plattenfirmen und Geldgebern zu sein. Die alte Hardcore-Bewegung und ihre ganzen Ideen haben uns sehr beeindruckt. Außerdem ist „Indie“ etwas Musikalisches, also Gitarrengeschrubbe, und damit identifiziere ich mich gerne. Mit dem Label „bedeutendste Indieband“ kann ich hingegen wirklich wenig anfangen.

Ihr werdet auch gern als „hochintellektuelle“ Band angekündigt. Seht ihr das selbst auch so? Was habt ihr studiert?
Ich habe alles mögliche auf Magister in München studiert: Amerikanistik, Literaturwissenschaften – alles, was man halt so macht, wenn man eigentlich nicht weiß, was man machen will. Als ich dann mit Kunstgeschichte anfing, brach ich ab. Ich habe schon damals fast nur Musik gemacht. Ehrlich gesagt wollte ich auch zu den Veranstaltungen gehen, aber irgendwie landete ich immer wieder in Plattenläden.
Mein Bruder hat eine Weile Musik studiert, aber auch kein Diplom. Unser neuer Gitarrist Max Punktezahl ist Chemiker.
Ich würde uns eher nicht als „intellektuell“ einschätzen. Andere Bands sind doch wesentlich diskurslastiger.

Seit Jahren wird behauptet, zwischen dem Notwist-Sound und eurer ländlichen Heimat bestünde ein Zusammenhang. Richten sich nicht aber gerade eure Texte eher an eine urbane Generation?
Ich denke schon, dass man merkt, dass da, wo wir aufgewachsen sind, einfach nichts los ist. Es hat uns nichts gegeben – vor allem nicht kulturell. Deswegen ist unsere Musik von einer provinziellen Sehnsucht geprägt. Ich wohne schon länger in München. Das ist zwar keine Großstadt, aber Musik, die wir mögen und die uns beeinflusst, ist von Großstädten geprägt.

Was ist das für Musik, die euch beeinflusst? Ladet ihr sie auch aus dem Internet herunter?
Das eher weniger! In dem kleinen Laden hier um die Ecke habe ich mir zum Beispiel eine Platte mit experimenteller Elektronik von Ekkehard Ehlers gekauft. Wir hören uns viele elektronische Sachen an, aber auch Popmusik, alte Musik – und viel Jazz.

Werdet ihr nur bewundert oder manchmal auch verstanden?
In Deutschland treten wir schon sehr lange auf. Es sind aber oft gerade die Leute in Frankreich oder Amerika, die von dem ganzen Diskurs nichts mitbekommen haben: Sie kennen uns nicht aus dem Feuilleton, sondern fühlen einfach die Musik. Ansonsten würde ich dazu sagen, dass es uns wahrscheinlich am meisten freut, wenn unsere Songs jemanden in einer bestimmten Phase seines Lebens begleiten.

Turin, Oslo, Saint-Malo, Jena… wie unterscheiden sich die Publikumsreaktionen in Europa?

Außerhalb Deutschlands gehen die Leute unverklemmter auf uns Musiker zu. Sehr schön war das „La Route du Rock“-Festival in Saint-Malo. Und Ferrara in Italien! Auch das Konzert in Zagreb fällt mir da ein: Die Fröhlichkeit der Menschen hat uns einfach mitgerissen; es war ein sehr intensives Konzert. Ich hoffe übrigens, dass wir mit „The Notwist“ noch mal nach Polen kommen. Das wäre mir sehr wichtig, denn wir haben mal mit „Lali Puna“, einer unserer anderen Bands, in Warschau gespielt. Die Leute waren so aufmerksam.

Wie wollt ihr das Konzert heute in Jena zu etwas Besonderem machen?

Das kommt schon ein bisschen auf das Publikum an. Hier ist es ja wirklich eine Arena, aber wenn dann viele sitzen, ist es tatsächlich etwas… gesetzter. Wir dürfen hier in Jena laut Vertrag auch nur bis halb zehn spielen und es gibt eine Lautstärkenbegrenzung. Das ist natürlich wortwörtlich ein Dämpfer.

Ihr könntet ein stadtpolitisches Statement wagen, indem ihr einfach länger macht – bis die Polizei kommt…
… Provozieren? [Grinst verschmitzt und sagt sehr bayrisch] Ja, schaun mer mal…

Wie werden eure komplexen Songstrukturen mit teilweise über 60 Tonspuren bühnentauglich?
Wir versuchen die Stücke so umzuarrangieren, dass wir tatsächlich alles spielen können. Orchestersachen zum Beispiel kommen nur einmal während des Abends vor, wofür wir eine spezielle Dubplate benutzen. Live ist unsere Musik minimaler. Aber sie hat manchmal mehr Energie. Manche Stücke hört man aber trotzdem besser zu Hause über Kopfhörer.

Dein Bruder Micha wippt beim Bass-Spielen immer autistisch mit dem Oberkörper vor und zurück. Hat das einen Grund?

Nein, das ist einfach seine Art der Konzentration. Als Kind hat er das noch nicht gemacht. Und er macht es auch nur am Bass. Mit der Trompete geht das nicht.

Wie passt der neue Drummer, Andi Haberl, zur Band und warum hat euch Mecki Messerschmidt verlassen?

Mit Mecki haben wir ewig zusammengespielt. Dann gab es Differenzen. Sie waren nicht aggressiv, aber wir haben uns musikalisch auseinander gelebt. Es gab den Punkt, an dem es günstig war, uns zu trennen, bevor es richtig kracht. Andi kannten wir von ein paar gemeinsamen Jazzsachen. Er passt menschlich sehr gut in die Band und trifft mit seinem Instrument immer das, was wir wollen. Er ist ein bisschen offener, beweglicher. Aber es ist nicht so, dass Mecki jetzt der Punkrocker und wir die Elektroniktypen wären… aber eigentlich möchte ich jetzt nicht weiter ins Detail gehen…

Obwohl ihr sechs Jahre – also noch mit Messerschmidt – an eurem neuen Album „The devil, you and me“ gearbeitet habt, wurde in der Woche vor der Veröffentlichung der Titel geändert. Wieso das?
Der Arbeitstitel war „On Planet Off“, doch das fanden wir plötzlich nicht mehr gut. So gerne ich das Coverbild mag, aber „Planet“ wird inflationär gebraucht – so heißt doch inzwischen jeder zweite Sportladen!

Ein anderes Gesellschaftsproblem: Als ihr vorhin angekommen seid, haben sich fast alle Bandmitglieder erstmal eine Zigarette angezündet. Ihr seid Bayern und dort ist das Rauchverbot ein großes Wahlkampfthema. Wie steht ihr dazu?

Ich bin der einzige Nichtraucher der Band! Aus diesem Grunde finde ich es jetzt schon angenehmer, wenn es in Clubs, wo ich auflege oder spiele, nicht mehr so verraucht ist. Aber an sich finde ich es abstrus, dass es überhaupt ein Rauchverbot geben muss, damit die Leute anderen kein Gift mehr ins Gesicht pusten.

Apropos feiern. Sag mal Markus, warum endet eigentlich jede Party in der Küche?

[lacht] Na, weil da der Weg zu den Getränken am kürzesten ist!

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