Der Geschichtenerzähler

AKRÜTZEL trifft Rainald Grebe

Das Gespräch führte Louisa Reichstetter

Rainald Grebe im Garten seiner alten Wohnung.
FOTO:Louisa Reichstetter

Grebe kommt nach Jena und geschätzte Tausend Menschen stapeln sich an Post und Parkplatz. Sie haben keine der 3000 Karten mehr bekommen. Und zwei Stunden vor dem Konzert klettert Grebe für das Interview in einen Privatgarten zwischen Arena und Neugasse. Auf einer Biertischgarnitur stehen dort unzählige Flaschen Sekt und Pils, zerflossene Kerzen stecken in Weinflaschen. Es kommt jemand mit Korb und Wischlappen. Er ist verwundert.
Grebe: Hallo Clemens! Habt ihr mal wieder gebechert?
Clemens: Ähm ja, gestern.
Zusammen räumen wir das morbide Am-biente in den Korb. Clemens nimmt es mit.
Rainald Grebe betrachtet still das marode Haus, in dem er bis 2003 in einer Künstlerkommune lebte, als er am Jenaer Theaterhaus arbeitete. Sein Blick ist traumverloren.

Habt ihr auch so viel gefeiert, hier?
Ja. Aber der Balkon war damals noch nicht durchgebrochen.

Als du weg bist und berühmt wurdest, sagtest du, dass Comedy und Tourneen nur ein Zwischenspiel seien und du eigentlich zum Theater gehörst…

…Ja, das stimmt.
Jetzt inszenierst du ab Herbst im Schauspielhaus Leipzig. Was ist das für ein Stück?
Das schreibe ich gerade erst. Ich versuche da auch irgendwie Regie zu führen. Und ich spiele auch mit. Noch ist es nicht fertig und im Grunde wird es auch wieder nur eine Show.Du sagst das so abwertend. Hast du denn das Theater vermisst?
Ja, schon. Aber es kamen einfach keine guten Angebote. Mal schauen, was sich jetzt in Leipzig ergibt. Ich habe Jena vermisst. Es ist so lauschig hier, so nah. Eigentlich habe ich vor allem das Jenaer Theater vermisst, die Leute.

Dein neues Programm heißt „1968“. Ist das 2008 gutes Timing oder vielleicht sogar ein bisschen abgedroschen?
1968 bedeutet eigentlich nichts, im Grunde interessiert es keinen.

Keinen? Die Historiker publizieren, Feuilletons explodieren…
… mag sein, aber die Studenten heute sind doch nicht mehr politisiert. Die jungen Leute finden das Thema abgestanden und durchgenudelt.
Und wie unterscheidet sich dein Programm von unserem „abgestandenen und durchgenudelten“ 68er-Verständnis?
Die Hauptfrage, die mich immer beschäftigt, ist: Was ist politisches Theater? Ich spiele mit dem Dogma, politisches Theater müsse aufbegehren, rütteln. Ich finde, Politisches darf auch einfach mal witzig sein. Ich bin ein Geschichtenerzähler. Weißt du, Rio Reiser damals, die haben erst das Konzert gegeben und dann das Haus besetzt. Von der Kunst zur Aktion. Mir fehlt der Mut, dass ich sowas könnte.

Eine deiner Zeilen sorgt oft für Szenenapplaus: „NPD – ohne Verfassungsschutz wärt ihr nur zu dritt“. Würdest du auch bei einem Benefizkonzert gegen das „Fest der Völker“ spielen?

Mit dem Spruch parodiere ich übrigens die Demo-Parolen der Linken! Was das Konzert betrifft: Wenn ich noch in Jena arbeiten würde, wäre das was anderes. Aber so würde ich spontan sagen: Nein. Ich werde so oft angerufen. Immer ist es für einen guten Zweck, ob es Blut spenden ist oder der G8-Gipfel. Aus Benefiz und Werbung halte ich mich aus Prinzip raus.

Werbung, Konsum – der Öko-Wahn ist ein weiteres Thema deiner neuen Lieder. Was kennzeichnet so einen Bionade-Biedermeier, was den Alt-68er?
Das Zweite sind zum Beispiel Leute, die dir immer gleich das Du anbieten, aber doch Macht haben. Das Antiautoritäre ist ein bisschen über‘s Ziel hinaus geschossen, finde ich. Andererseits: Dass Sachen aufgeweicht wurden wie „Kein Damenbesuch nach 20 Uhr, sonst kommst du als Vermieter in den Knast“, ist ihnen schon zugute zu halten… und nicht immer nur Volksmusik hören, Jeans anziehen, Haare bunt machen – das geht jetzt alles. [grinst]
Und Erstere, die Ökos?
Der Begriff Bionade-Biedermeier ist nicht von mir, sondern von einem Journalisten der ZEIT. Er beschreibt, knapp gesagt, Schwarz-Grün. Die neue Bürgerlichkeit. Ihre Hochburg ist Berlin, Prenzlauer Berg.

Wo auf dieser Skala ist Jena?
Noch nicht so hoch wie Freiburg. Auf der einen Seite ist da unten alles gut, die haben einen grünen Bürgermeister … aber trotzdem rufen sie gleich spießig die Bullen, wenn einer mal länger laut Musik macht. Wie hier manchmal, bei der Kulturarena.

Wie „öko“ bist du selbst? Ich habe gelesen, du hast den Fernseher abgeschafft…
…ja, aber nur, weil ich fernsehsüchtig bin. Eigentlich lebe ich auf Tour. Seit vier Jahren. Um es mal so zu beschreiben: Hotel, Hotel, Hotel. Mittelstreifen, Mittelstreifen, Mittelstreifen. ICE, ICE, ICE. Ich könnte mir zwar 1. Klasse leisten, mittlerweile, aber ich sitze lieber auf dem Gang beim Klo.

Das heißt, vier Jahre auf Tour haben sich gelohnt?
Finanziell ja.
Und in puncto Inspiration?
Läuft doch alles wunderbar…
Die eine Sache ist, ob‘s gut läuft und die andere, ob man sich gut fühlt.
Oft fühle ich mich etwas überhastet. Damals in Jena war ich nie weg. Ich war immer hier. Hier, in diesem einen Haus. Und jetzt das andere Extrem – jetzt bin ich nirgendwo. [Schweigen]
Das ist jetzt gerade die Diskussion: Kauft man sich ein schönes Haus im Wald? Eine Ranch, auf die man zurückkehrt? Adoptiere ich Kinder?
Hast du das vor?
Nö.


Und Tiere?

Nö. Wer soll die füttern?
[Die Platanen rascheln. Grebe raucht Kette.]
Ich bin aufgeregt.

Hast du schon jemals vor 3000 Leuten gespielt?
Ja, hab ich. Aber Jena ist was Besonderes.

Rainald Grebe spielte an diesem Abend bis nach 23 Uhr.
Niemand rief die Polizei.

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