Ab in die Provinz

Studenten entscheiden über das Semesterticket Thüringen

von Matthias Benkenstein

Maria Mahler, 28, konnte es nicht fassen, was sie Ende Juli in der Zeitung las. Es hieß dort, dass Studieren in Thüringen ab dem nächsten Jahr noch attraktiver werden könnte – lediglich der Semesterbeitrag müsse um 10 Euro angehoben werden. Grund: ein neues Semesterticket für den Fernverkehr. Maria, die an der FSU Medienwissenschaft studiert, war so verärgert über „diese Dreistigkeit“, dass sie sich sofort in einem langen Leserbrief darüber beschwerte.

Die Bahn kommt. Ob das Ticket kommt, entscheiden die Studenten.FOTO:Kristin Haug

Zum Sommersemester 2009 könnte an allen Thüringer Unis das „Semesterticket Thüringen“ eingeführt werden, das in den letzten Monaten vom Studentenwerk, der Konferenz der Thüringer Studierendenschaften (KTS) und der Deutschen Bahn ausgehandelt wurde. Damit würde die Reichweite des Semestertickets, das momentan auf die Hauptstrecken Gotha – Gera und Großheringen – Saalfeld beschränkt ist, auf das gesamte Thüringer Streckennetz der DB Regio ausgeweitet werden.
Mit anderen Worten: Studenten, die aus den Thüringer Randgebieten kommen und oft nach Hause fahren, müssten sich in Zukunft keine zusätzlichen Fahrscheine mehr kaufen. Der anteilige Preis zum Semesterbeitrag würde für Jenaer Studenten von derzeitigen 34,40 Euro auf 44,90 steigen. Bis zum Wintersemester 2010/11 bliebe er stabil. Auch wäre im Gegensatz zum aktuellen Ticket die Fahrradmitnahme inbegriffen. Lediglich vier Strecken, auf denen Privatbahnen verkehren, würde das Modell nicht beinhalten: Eisenach – Gerstungen, Gera – Greiz, Nordhausen – Eisfelder Talmühle und die Schwarzatal-Bahn. Ob das „Semesterticket Thüringen“ letztlich eingeführt wird, hängt von den Studenten der einzelnen Thüringer Unis ab. An der FSU wird die entsprechende Urabstimmung in der Woche vom 27. bis 31. Oktober durchgeführt, an der FH am 5. und 6. November. Sie ist jedoch nur gültig, wenn sich mindestens zehn Prozent aller eingeschriebenen Studenten daran beteiligen. Wird diese Quote erreicht, entscheidet die einfache Mehrheit über das Abstimmungsergebnis. Stimmt dann auch noch der Verwaltungsrat des Studentenwerks zu, steht der Einführung im nächsten Jahr nichts mehr im Weg.

„Das ist doch unsinnig“

„Für Leute, die das nie nutzen, ist das doch unsinnig“, sagt Mewi-Studentin Maria, die aus Jena kommt. Es könne doch nicht die Aufgabe des Kollektivs sein, für andere die Heimfahrten zu bezahlen. Sie selber fährt in den sechs Monaten höchstens dreimal nach Erfurt. Mit dem Hopperticket würde sie die Fahrten für 18 Euro bekommen. Nicht attraktiver könne das Studium in Thüringen werden, verbessert sie die Zeitungsredakteurin in ihrem Leserbrief, sondern wieder einmal teurer.
Maria muss jeden Euro einzeln umdrehen. Weder erhält sie Bafög noch wird sie finanziell von den Eltern unterstützt. Nebenbei arbeitet sie als Hiwi und hält sich mit Promotionjobs über Wasser. „Ich zahle mittlerweile 183 Euro Semesterbeitrag, das sind fast 400 Euro pro Jahr“, gibt sie zu bedenken. „Ich weiß langsam nicht mehr, wo ich das Geld noch hernehmen soll.“
Einige Kommilitonen müssten eben in den sauren Apfel beißen, sagt Benjamin Heinrichs vom Ilmenauer Stura, der die Verhandlungen für die KTS maßgeblich mitgestaltet hat. Wie auch das Studentenwerk beruft sich die KTS auf den Solidaritätsgedanken des Thüringer Modells. „Es ist schwierig einen Ausgleich für alle zu finden“, sagt Heinrichs, „aber ich gehe davon aus, dass wir einen guten Kompromiss gefunden haben und hoffe auf die Solidarität der Kommilitonen.“
Auch der Ilmenauer KTS-Delegierte glaubt, mit dem „Semesterticket Thüringen“ einen Vorteil für den hiesigen Studienstandort erreichen zu können. Schließlich seien die Fahrpreise der Deutschen Bahn jetzt schon sehr hoch und würden bereits im Winter wieder um drei bis vier Prozent steigen. Da könnten Studenten mit dem neuen Semesterticket viel Geld sparen. Aber auch die Bahn profitiere von dem Ticket, so Heinrichs, weil ihr hohe Einnahmen sicher wären, sie zukünftige Kunden gewänne und die Fahrkartenkontrolle für Schaffner einfacher werde.
Studenten wie Maria fallen aus diesem grobmaschigen Raster an Pro-Argumenten heraus, ihnen wurde bei den Verhandlungen keine Beachtung geschenkt. In welchem Umfang das Semesterticket eigentlich genutzt wird, davon hatten KTS, Studentenwerk und Bahn keine Ahnung – Statistiken und Zahlen dazu sind so gut wie nicht vorhanden. „Es ist einfach sehr schwierig zu erheben, wer wie oft von wo nach wo fährt“, sagt die Verwaltungsleiterin des Studentenwerks Gabriele Heiderich. Aufgrund alter Umfragen geht sie aber davon aus, dass das Ticket von mehr als der Hälfte der Studenten regelmäßig genutzt wird.

Jena entscheidet

Auch in aktuellen Umfragen, die an vielen der neun Thüringer Hochschulen im Sommer durchgeführt wurden, sprach sich jeweils eine knappe Mehrheit (zwischen 50 und 60 Prozent) für das „Semesterticket Thüringen“ aus, so auch an der FSU und FH. Diese Zahlen stimmen in etwa mit dem Anteil Thüringer Studenten an der FSU überein: Dieser liegt momentan bei rund 57 Prozent, vor zwei Jahren waren es noch 62 Prozent. Bei Umfragebeteiligungen von fünf bis zehn Prozent sind die aktuellen Zahlen jedoch nicht repräsentativ. Benjamin Heinrichs gibt zu, nicht zu wissen, wie die Mehrheit der Studenten eigentlich über das Thema denkt. Aber genau deshalb würden ja auch die Urabstimmungen stattfinden, bei denen wirklich jeder Student gefragt ist, so Heinrichs.
Die Abstimmung an der Friedrich-Schiller-Universität ist dabei besonders wichtig, weil hier über 20.000 und damit fast die Hälfte aller in Thüringen eingeschriebenen Studenten über das Ticket entscheiden. Falls dieses hier auf Ablehnung stößt, würde es auch insgesamt nicht eingeführt werden. Außerdem verlöre das momentane Semesterticket für 34,40 Euro ab April 2009 seine Gültigkeit und müsste neu ausgehandelt werden. Die Optionen gleichen einer Erpressung: Entweder man stimmt für das neue Ticket und zahlt ab 2009 zehn Euro mehr oder man lehnt es ab und bekommt im nächsten Jahr ein verteuertes Semesterticket aufgezwungen.
Maria, die verärgert den Leserbrief schrieb, würde eine abgespeckte Variante des bisherigen Modells begrüßen. In dieser solle der Nahverkehr sowie die Hauptstrecke nach Weimar und Erfurt enthalten sein. „Schließlich müssen viele Studenten früher oder später auch mal in die Erfurter Bibliothek fahren.“ Für alle weiteren Fahrten dürfe das Studentenkollektiv aber nicht in die Pflicht genommen werden. Dieses bezahle ja auch nicht für Einzelne die Fahrt nach Hamburg, gibt Maria zu bedenken. Sie überlegt, was wirklich gerecht wäre, und sagt mit einem Augenzwinkern: „Am gerechtesten wäre ein deutschlandweites Semesterticket – entweder ganz solidarisch oder gar nicht.“ Nach nochmaligem Überlegen räumt sie jedoch ein: „Obwohl, dann hätten die ausländischen Studenten ein Problem.“

2 Kommentare zu „Ab in die Provinz“

  1. das argument “da zahlen jene aus jena, die nicht öfter nach hause fahren” berücksichtigt nur eine seite. jene, die NICHT aus jena kommen zahlen ja auch dafür, daß man in jena bus und straßenbahn nutzen kann, ohne dies ausnutzen zu können.
    wir sollten endlich wieder dazu über gehen zu erkennen, daß wir eine gemeinschaft sind, die solche vorteile nur gemeinsam stemmen und eben nicht alles nutzen kann.
    seid doch dankbar für die möglichkeit, nach herzenslust in thüringen reisen zu können!

  2. Jene, die nicht aus Jena kommen, wohnen aber zum Großteil während des Semesters hier und nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel nicht zwingend seltener als die anderen.

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