„Moodle hat gehustet“

Das Rechenzentrum gehört im Corona-Semester wohl zur wichtigsten Infrastruktur der Universität. Ein Besuch im Reich der Serverschränke.

von Tim Große

Es ist der Montag nach dem großen Peak im Universitätsrechenzentrum am Johannesfriedhof, einem rostigen, mit türkisblauem Wellblech verkleideten Bau aus den 70er Jahren. Vor einer Woche zum coronabedingt verschobenen Semesterstart kam es hier zur höchsten bisher gemessenen Serverauslastung, 30 Aufrufe gab es pro Sekunde allein auf Moodle. Drinnen teilen sich die Mitarbeiter, wobei die meisten zurzeit von zuhause aus arbeiten, das Gebäude mit drei Räumen voller unentwegt blinkender Serverschränke, jeder einzelne im Wert von mehreren hunderttausend Euro und einer enormen Wärmeausstrahlung.
Im Raum nebenan sitzt Carlo Schäfer über Diagrammen mit Abrufzahlen. Sein Büro ist eher schlicht eingerichtet: Gymnastikball, Ventilator, Zimmerpflanze. „Moodle hat gehustet“, sagt er mit Blick auf die Diagramme. Fast 23000 Besuche gab es zum Semesterstart, normalerweise sind es in der regulären Vorlesungszeit maximal 9000. Die damit verbundene Last auf die Prozessoren, fast das tausendfache des normalen Betriebszustandes, machte sich auch auf der Lernplattform bemerkbar. Zeitweise war kein Zugriff möglich. „Wir können natürlich nicht einfach zu Saturn gehen, denn für die Serverteile gibt es Lieferzeiten von drei bis sechs Monaten“, erklärt Schäfer nüchtern. Die meisten Server seien aber sowieso nicht mehr aus Blech, sondern laufen als virtuelle Maschine. Dadurch sei es möglich, auf bestehenden Blechservern bei Bedarf, und diesen gibt es jetzt, zusätzlich virtuelle Server zu installieren, um somit die Prozessor-Ressourcen zu erhöhen. Genau das haben Schäfer und sein Team, zumindest in der IT-Technik noch fast ausschließlich Männer, auch getan. Seitdem laufe es trotz hoher Aufrufzahlen wieder rund auf Moodle.
Aus dem Nachbarbüro tönt es derweil lautstark, ein Dekan ist am Telefon, der mit seinem Mailprogramm nicht zurecht kommt. Die Gespräche sind auch im Nebenzimmer gut zu hören. „Das sind Glaswände weiß angemalt, ein bisschen Verdünnung und man kann durchgucken“, lacht Schäfer. Also, vielleicht lacht er, vielleicht auch nicht, so richtig ist das bei Unterhaltungen mit Mund-Nasen-Schutz nicht zu erkennen. Dann klopft es an der Tür, es ist der Kollege von nebenan. Er heißt Volker Große, ein Zeitzeuge, wie Schäfer ihn nennt. Seit Beginn seiner Lehre 1987 arbeitet er im Rechenzentrum. Zu anfangs kümmerte er sich in der Gemeinschaftsrechenstation von Jenapharm, den Porzellanwerken Kahla und der Akademie der Wissenschaften der DDR unter anderem um die Bearbeitung von Lohnzetteln, die auf Lochkarten und Magnetbändern gespeichert waren. Etliche Computergenerationen später gehört Große zu den wenigen der 40-köpfigen Mannschaft, die auch während einer Pandemie noch vor Ort arbeiten. Als IT-Techniker kümmert er sich um die Dinge, die mit Blech zu tun haben oder beantwortet etwa Fragen von Uni-Mitarbeitern mit PC-Problemen.
Beim Dekan von gerade eben ging es um Spammails, auch so ein Aufgabengebiet von Carlo Schäfer, das sich in diesen Tagen verändert hat. Phishing-Mails, bis zu 200 landen am Tag auf Uni-Mailservern, hätten mittlerweile oft irgendetwas mit Corona zu tun. Aber ansonsten sieht er die Veränderungen gelassen: „Gleich habe ich das nächste Videotelefonat, daran habe ich mich schnell gewöhnt“. Das läuft über Zoom und damit wie Moodle, Friedolin, Thulb und Co. über die Server im blechernen Gebäude am Johannesfriedhof, das dieses Jahr fünfzig Jahre alt wird. Fünfzig Jahre, die innen wie außen ihre Spuren hinterlassen haben. 2023, so der Plan, soll es abgerissen werden und einem neuen Uni-Gebäude weichen. Das Rechenzentrum soll derweil an den neuen Campus am Inselplatz ziehen. Ob sich Schäfer darüber freue? „Die Freude hält sich in Grenzen, weil ich ich die Person bin, die das alles organisiert“, sagt er. Auf jeden Fall sollte man dann nochmal eine Moodle-Störung einplanen.

Fotos: Dominik Itzigehl

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