Dem Reiz des Abenteuers auf der Spur

Eine nüchterne Betrachtung dessen, was das Leben aufregend macht

Von Anna Zimmermann

Alltagsabenteurer

Titelfotos: Daniel Hofmann

Im Duell, mit dem Rücken zum Kontrahenten, den letzten Schritt machen, bevor es sich umzudrehen und zu schießen gilt. Die letzten fünf Sekunden Countdown herunterzählen, bevor man samt Rakete ins Weltall geschossen wird. Auf dem Mast eines Schiffes stehen und das ersehnte Land als Erster erspähen.

Dies sind Bilder prototypischer Abenteuer. Was sie ausmacht, ist Großartiges zu erleben, Furchterregendes zu überstehen und gestählt, als Held, zurückzukehren. Retrospektiv und nüchtern betrachtet bedeuten diese Kinderphantasien allerdings nichts als schmalzige Verklärung. Forscher sind bei ihren waghalsigen Expeditionen im Eis erfroren, Entdecker an Typhus oder Ruhr gestorben. Der Weltraum ist voller Schrott. Hinter klassischen Abenteuern stecken oft tragische Geschichten: Odysseus fand zwar zu Penelope zurück, doch vergeudete er sein ganzes Leben mit Herumirren. Vernünftig betrachtet wirken Abenteuer – genauso wie überhaupt jedes kleinste Erlebnis – enttäuschend reizlos.

Chemie zerstört den letzten Zauber

Aus psychologischer Sicht haben Abenteuer erst recht nichts Verträumtes mehr: „Es hat eine starke biologische Basis“, erklärt Dr. Karina Weichhold, Entwicklungspsychologin an der Uni Jena. Es gebe spezielle Botenstoffe, Verschaltungen und Areale im Gehirn, die besonders auf Nervenkitzelmomente reagieren würden. Daraufhin springe das Belohnungssystem an und Glücksgefühle würden ausgelöst. Nach Weichholds Erläuterungen wird auch vollkommen nachvollziehbar, warum Eltern abgeklärt und ihre Kinder Draufgänger sind: „Im Jugendalter finden bestimmte Hirnumstrukturierungen statt, die auch das Belohnungssystem betreffen. Es laufen weniger Botenstoffe entlang, weil es weniger Synapsen gibt, die diese übertragen. Deswegen brauchen Jugendliche mehr Input, um diesen Nervenkitzel dann auch zu erleben.“ Das Risiko könnten sie dabei oft nicht richtig einschätzen. Gerade dann nicht, wenn sie in einer positiven Stimmung und unter Freunden seien.Diese Freunde – die sogenannte Peergroup – und damit der soziale Vergleich spielen eine große Rolle. „Dass wir alle kein langweiliges Leben wollen, ist ja klar“, bestätigt Weichhold. Mit Facebook ist die Peergroup größer geworden. Wer glaube, durch Aufregendes seinen Status verbessert zu haben, der kommuniziere das auch – mit Facebookmeldungen wie „Bolivien!“ und „In Neuseeland ist der Himmel viel blauer als in Deutschland“. Was erlebt wurde, wird zum Indikator für den Wert der eigenen Persönlichkeit. Und Daheimgebliebene hadern: „Alle anderen haben so ein tolles Leben, nur ich sitz‘ hier und sitz‘ hier, mit meiner alten Freundin auf der Couch.“ Damit ist der Druck ungemein gewachsen, Dinge zu erleben, meint Weichhold.

Abenteuer als Konsumgut

Zum Angeben eignen sich verschiedene Erlebnisse: Paragliding, Drogenexperimente, U-Bahn-Surfen, Auslandsaufenthalte. Profilieren kann man sich auch vor sich selbst, zum Beispiel beim Küssen des Freundes der Freundin. Gemein sei diesen Situationen laut Weichhold, dass sie neu, aufregend und riskant sind – Abenteuer per definitionem. Im Alltag erscheinen sie weniger als glorreiche Heldentaten. Doch die individuelle Wahrnehmung bestimmt, was aufregend ist. Hauptsache, der Kick tritt ein, der Nervenkitzel, die Ausschüttung der Glücksgefühle. Der Körper übernimmt die Herrschaft über den Geist. Laut Definition der „emerging adulthood“ beschränkt sich diese Phase der Risikobereitschaft auch nicht auf die Jugendzeit – bis zum 30. Lebensjahr etwa probieren sich Jugendliche der westlichen Industrienationen aus, testen Beziehungsmodelle und sind risikobereiter. Weil sie es sich leisten können. Geld spielt auch – oder gerade – eine Rolle, wenn es um Auslandsaufenthalte geht. Hinzu kommen die vielfältigen Möglichkeiten und persönliche Einstellungen. Wer offen ist, erlebt auch mehr. Im Ausland bieten sich zusätzliche Freiheit, die Möglichkeit über die Stränge zu schlagen. Man wird zum Entdecker von unbekanntem Terrain. „Die Kontrolle ist geringer und es gibt weniger Konventionen“, sagt die Psychologin. Ein leerer Raum tut sich auf und will gefüllt werden. Aus dieser Suche nach dem Erlebnis ist eine ganze Industrie geworden; Abenteuer werden massenkompatibel funktionalisiert. Abenteuertourismus, Erlebnisführungen in Museen, Abenteuer- und Extremsport, Outdoorgeschäfte mit dem Namen „Adventure“ und zahllose Publikationen mit den Titeln „Abenteuer Gesundheit“ oder „Abenteuer Hausbau“ sprechen darauf an, was jeder von sich selbst erwartet: Abenteuerlust. Werbeexperten nutzen diesen Druck geschickt für ihre Zwecke: „Bereit für ein Abenteuer? Dann sind Sie bereit für BE WILD BE MINI“, versendet O2 momentan per SMS an seine Kunden. In der Erlebnisgesellschaft, wie sie der Soziologe Gerhard Schulze umreißt, ist die Frage nach der Gestaltung des eigenen Lebensweges größer geworden. Weil Menschen stärker reflektieren, was sie tun und wie sie sich ihr Leben gestalten, wächst die Verunsicherung. Damit wird der Einfluss dessen, was kollektiv vorgegeben wird, größer. Jedem wird bewusst gemacht, dass Abenteuer gut sind: Etwas aus der Kindheit; etwas, das man nutzen kann, um sich von anderen abzuheben, das einen besonders macht. Wer aus seiner eigenen Rolle nicht herauskommt, der kann Erlebnisse immer noch in Onlinespielen finden. Dort kann jeder zum Helden werden.

Die Kultur formt das Abenteuer

Im realen Leben bieten Medien eine ideale Plattform zum Kreieren von Helden. Gerade Youtube-Videos von Berghangfliegern oder Extremradfahrern haben beachtlich viele Klicks. Bleibt das Treiben von Individuen in der Gegenwartsgesellschaft häufig unbeachtet, so finden Einzelhelden hiermit ein Publikum. Nach dem Sportsoziologen Karl-Heinrich Bette ist Extremsport damit ein Weg der Individualisierung, des Ausbruchs aus einer Alltagswelt, die sich zunehmend vom menschlichen Körper entfremdet. Nicht umsonst stehen Körperlichkeit, das Ausloten von Grenzen und das Agieren am Limit im Zentrum eines jeden Abenteuersportprogramms. Gerade die Spannung zwischen Kosten und Nutzen kann zu immer Waghalsigerem herausfordern: Bei maximalem Einsatz – dem Leben – wird auch maximales Abenteuer erwartet. Interessant daran ist nur, wie inszeniert und künstlich herbeigeführt diese Nervenkitzel sind und wie auch hier wieder kommerzielle Strategien greifen: Seit Jahren schon sponsert Red Bull Veranstaltungen wie „Red Bull X-Fighters“, eine Freestyle Motocrosstour, um die Zielgruppe von der eigenen Coolness zu überzeugen und zum Konsum zu verführen. Beinahe absurd sind organisierte Pseudoabenteuerreisen, beispielsweise eine Safari in die afrikanische Steppe. Das Erlebnis des Schlafens unter freiem Savannenhimmel ist nur zu genießen, wenn man weiß, dass die Löwen auch wirklich erschossen werden, sollten sie sich dem Camp nähern. Bei dem Gedanken daran, dass möglicherweise doch einer durchschleicht, läuft einem ein wohliger Schauer über den Rücken. Wohlig – denn man kann sich ja eigentlich auf die vom Reiseveranstalter gekaufte Sicherheit verlassen. Auch wenn Schulze von einer Erlebnisgesellschaft spricht, so streben Menschen heute nicht nach mehr Abenteuer als früher; Botenstoffe im Gehirn gibt es schließlich schon immer. Weichhold ist keine Studie bekannt, die bestätigt, dass Abenteuerlust über die Zeit zugenommen hätte. Nur die Ausprägungen haben sich geändert: „Das Gegen-Konventionen-Streben hängt davon ab, was gerade neu und im Trend ist.“, so Weichhold. Die Kultur formt das Abenteuer, in Kinderköpfen und in denen der Erwachsenen. Ist es für die meisten Kinder hier ein Abenteuer, mit Pfeil und Bogen durch den Wald zu laufen, so wird dies für amerikanische Ureinwohner etwas anderes bedeuten.

Manchmal ist es besser, nicht über etwas nachzudenken

Abgesehen davon, dass jeglicher Zauber auf chemischen Verbindungen beruht, wachsen Menschen aus ihren eigenen Abenteuern heraus. Ist für ein Kind der Wald ein Territorium ungeahnter Erlebnisse, steht dem Erwachsenen zwar mehr offen, doch hat sich die Perspektive gleichzeitig eingeschränkt: Erfahrungen sind gemacht, vieles ist schon erlebt, man ist abgeklärter. Bauen sich Erwachsene eine Bude im Wald und übernachten darin, so ist das eine lustige Geschichte, doch wird ihr der Abenteuerstempel eher ironisch aufgedrückt. Man spielt Abenteurer dabei, ist aber keiner mehr. Die Nostalgie hängt eher an der Erinnerung an die Kindheit, als an der Hoffnung, tatsächlich einmal Abenteurer zu sein. Kindliche Unwissenheit ist verloren gegangen. Im Gehirn verringern sich die Konnektoren, eine starke Reduzierung von Verbundstellen findet statt. Dies führt dazu, dass Menschen lernen, in geordneteren Bahnen zu denken und beispielsweise effizienter zu studieren, anstatt von tausend verschiedenen Ideen abgelenkt zu werden. Nur wer bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mitbringt, kann sich seine Offenheit gegenüber Neuem erhalten und wird auf Abenteuersuche durch die Welt gondeln.

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