Jesse in Jena

Der Extremismusforscher über das NPD-Verbot

Von Kay Abendroth

Prof. Eckhard Jesse

Prof. Eckhard Jesse schätzt die NPD als unbedeutend ein.
Foto: Maximilian Gertler

Er war maßgeblich daran beteiligt, für die von der Bundesregierung mittlerweile eingeführte Extremismusklausel den wissenschaftlichen Grundstein zu legen. Diese Klausel ist ebenso umstritten wie die Extremismustheorie, für die der Chemnitzer Politikwissenschaftler Prof.Eckhard Jesse steht. Er wurde nach Jena eingeladen, um im Rahmen des Tages der Politikwissenschaft am 7. Juni 2012 über die Frage zu sprechen, ob die NPD verboten werden soll. Die von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte Veranstaltung wurde vom Jenaer Prof. Torsten Oppelland eröffnet und moderiert.

Der Domaschk-Hörsaal in der August-Bebel-Straße 4 war bis zum letzten Platz gefüllt, als Oppelland das Wort an Eckhard Jesse übergab. Seinen Vortrag begann er mit einer kurzen Vorstellung des Konzeptes der streitbaren Demokratie, gab einen Abriss über die Geschichte und Entwicklung der NPD, bevor er eine Zusammenfassung des ersten Verbotsverfahrens schilderte. Dieses wurde im Jahr 2001 eingeleitet und scheiterte schließlich zwei Jahre später kläglich. Ein Urteil in der Sache wurde vom Bundesverfassungsgericht damals jedoch nicht gefällt, weil das Verfahren wegen eines „nicht behebbaren Hindernisses“ – zahlreiche V-Leute in den Führungsgremien der Partei – eingestellt wurde.

„Die Partei ist offenkundig antidemokratisch“

Im vierten Teil des Vortrages ging Jesse auf die wichtigsten Argumente pro und kontra NPD-Verbot ein. Als ersten von vier wesentlichen Punkten der Befürworter nannte er die Selbstachtung: „Die Partei ist offenkundig antidemokratisch, deswegen soll die streitbare Demokratie durch ein Verbot geschützt werden.“ Zur Selbstachtung gehöre es auch, eine solche Partei nicht noch über die Parteienfinanzierung zu unterstützen. Außerdem solle ein Verbot erwirkt werden, weil die Partei gefährlich sei und durch sie fremdenfeindliche „Aktivitäten“ angeregt würden. Auch breche eine wichtige Finanzierungsquelle weg. Und nicht zuletzt: „Gerade durch die leidvolle deutsche Geschichte ist ein Handeln notwendig.“Gegen ein Verbot nannte er drei Argumente. „Erst, wenn nachweislich Gewalt angewendet wird – und nicht schon im Vorfeld – darf eine Partei verboten werden.“ Zweitens: Ein Verbot sei nicht effizient. Fremdenfeindliche Gewalttaten beispielsweise würden dadurch nicht weniger. Und drittens: Eine offene Gesellschaft wie eine streitbare Demokratie muss auch Liberalität zeigen. Es dürfe nicht heißen: „Keine Freiheit den Feinden“, sondern: „Keine Freiheit zur Abschaffung der Freiheit.“

„NPD-Verbot ist möglich, aber nicht nötig“

Nachdem Prof. Jesse die Pro- und Kontraargumente genannt hatte, erläuterte er seine eigene Position. „Vereinfacht ausgedrückt: Für mich ist ein NPD-Verbot möglich, aber nicht nötig.“ Er sieht keinen Grund die Partei zu verbieten, wenn sie im Bund nur „mit Ach und Krach“ über ein Prozent kommt; die NPD ist für ihn unbedeutend. Eine offene Gesellschaft solle sich in der Sache gerade mit „den Extremisten“ auseinandersetzen und ein Verbot könne nur „ultima ratio“ sein. Auch schätzt Jesse ein Verbot als „weitgehend wirkungslos“ ein.Schon im Vorfeld wurde Kritik an der Veranstaltung und der Extremismustheorie geäußert, zum Beispiel von Sandro Witt, dem Kreisverbandsvorsitzenden des DGB. Aber auch Studenten blieben nicht stumm. Maria* wollte das Motto des gesamten Tages (Politischer Extremismus) und die Einladung von Eckhard Jesse nicht unkommentiert lassen. Gemeinsam mit anderen FSU-Studenten der Soziologie und Gesellschaftstheorie brachte sie einen Flyer heraus, der vor dem Domaschk-Hörsaal verteilt wurde, und übte auch während der Veranstaltung Kritik.Die Extremismustheorie „verharmlost vor allem die Tatsache, dass es menschenverachtende Einstellungen eben nicht nur am ,Rand‘ der Gesellschaft gibt, sondern dass die weit verbreitet sind“, sagt Maria und fügt hinzu: „Weiter verbreitet als man mit dem Modell fassen kann.“Jesses Auffassung, die NPD sei unbedeutend, teilt Maria nicht. „Seine Perspektive ist total verschoben.“ Zum einen hält sie es für problematisch, vor allem die Wahlergebnisse in den Fokus zu rücken. Zum anderen „konzentriert er sich lediglich auf die NPD als Partei und sieht nicht das Zusammenspiel zwischen NPD, Kameradschaften und freien Kräften“.Im Laufe des Fragenteils gab es zahlreiche Wortmeldungen, die Jesse alle beantwortete. Anmerkungen, dass antisemitische, homophobe und rassistische Einstellungen weiter in der Gesellschaft verbreitet sind als nur bei NPD-Wählern, wertete Jesse als ein Argument gegen ein NPD-Verbot. Dieses hätte keine Auswirkungen auf die Verbreitung solcher Einstellungen. Im Hinblick auf die Extremismustheorie ging er aber nicht weiter darauf ein.Wirklich laut oder hitzig wurde es während der gesamten Veranstaltung nicht. Nur hin und wieder gab es Zwischenrufe. Als ein Teilnehmer bei seiner Wortmeldung auf eine „emotional aufgeladene Stimmung“ hinwies, kommentierte Professor Oppelland gelassen: „So furchtbar aufgeregt ist das doch alles gar nicht. Da haben wir in den 70er Jahren schon andere Sachen erlebt.“

* Nachnamen ist der Redaktion bekannt.

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