„Nicht bereit abzudrücken“

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Allgemein
  • Beitrags-Kommentare:2 Kommentare

Interview mit einem ehemaligen Bausoldaten der DDR

Das Gespräch führte Jan-Henrik Wiebe



Foto: Jan-Henrik Wiebe

Vor 21 Jahren verließ der letzte Bausoldat die Kaserne in Prora. Die DDR-Regierung hatte am 1. März 1990 beschlossen die Bausoldaten-Verordnung von 1964 zu ersetzen. Bausoldaten waren die Wehrdienstverweigerer in der DDR, welche zwar keine Waffen bedienen mussten, aber eine ähnliche Ausbildung wie normale Soldaten bekamen und teilweise auch militärische Gebäude bauen mussten. Zu erkennen waren sie an einem Spaten auf den Schulterklappen ihrer Uniform. Im Jenaer Rathaus zeigt eine Ausstellung mit dem Titel „Briefe von der waffenlosen Front“ seit dem 21.5. Briefe der Spatensoldaten. Noch bis zum 30.6. kann die Ausstellung besucht werden. Akrützel traf den Initiator Andreas Ilse, der früher selbst Bausoldat war. Heute ist er Regionalbetreuer beim Bundesamt für Zivildienst in Thüringen.

Die Ausstellung zeigt auf 25 Tafeln Briefe von Bausoldaten an ihre Familien und Freunde, in denen es insbesondere um ihre Gewissenskonflikte mit dem militarisierten Zwangssystem geht. Haben Sie auch viele Briefe geschrieben?

Ja, ich war schon verheiratet, hatte eine Tochter und die war schon ein dreiviertel Jahr alt und das war die einzige Kontaktmöglichkeit. Telefon gab es nur ein einziges in der Kaserne, eine Telefonzelle. Aber zu Hause gab es keins. Deswegen Briefe. Täglich.

Und Sie haben auch täglich welche zurückbekommen?

Genau. Wenn man mal einen Tag keinen Brief bekam, wunderte man sich schon. Oft kamen dann gleich drei Briefe auf einmal, nach einer Woche oder so.

Wurden die Briefe von der Armee oder der Stasi kontrolliert?

Wir vermuteten das damals, denn alle Briefe hatten merkwürdigerweise an einer Seite einen Einriss. Im Nachhinein wissen wir, es wurde kontrolliert. Es wurden immer die Anschriften aufgeschrieben. Und bei bestimmten – ich sag mal im Stasijargon – „Zielpersonen“ wurden die auch geöffnet und gelesen. Aber wir waren in unserer Zeit von 1983 bis ’85 ca. 360 Bausoldaten. Das will mir mal einer weismachen, 360 Bausoldaten, jeder hat vermutlich täglich einen geschrieben und einen bekommen, dass die durchsucht wurden. Da müssten die viel Personal gehabt haben.

Was waren damals Ihre Beweggründe zu verweigern?

Ich bin 1978 erstmals in Kontakt mit Uniform und Waffen gekommen. Ich habe kein Abitur machen können. Nach der 10. Klasse begann ich eine Ausbildung in den Buna-Werken in Schkopau, einem großen Chemieunternehmen. Bevor die Ausbildung begonnen hatte, das war mir vorher überhaupt nicht klar, durfte ich erst mal in das so genannte Gesellschaftliche Sport- und Technik-Lager für eine vormilitärische Ausbildung, mit Übungen an der Kalaschnikow. Da waren Scheiben, die wie Personen aussahen, auf die wir schießen sollten. Ich hatte die Waffe in der Hand und aus einer ganz spontanen Eingebung war ich nicht bereit abzudrücken. Das war das erste Mal, dass ich mich damit auseinander setzen musste.

Was waren die Konsequenzen?

Ich musste gleich am nächsten Tag zum Gespräch beim Betriebsschuldirektor. Der sagte mir, dass ich einen Lehrvertrag unterschrieben habe und dass ich gegen dessen Bedingungen verstoße. Dies könne dazu führen, dass mir gekündigt werde. Ich habe ihm geantwortet, dass es legitim sei, einen Wehrersatzdienst zu leisten. Dann müsse es auch in der Lehrausbildung eine Alternative geben. Dann hieß es, dass ich dafür keine Reklame machen dürfe, aber die GST-Ausbildung weitermachen könne, ohne schießen zu müssen. Das war dann der Startschuss dafür, mich damit inhaltlich auseinanderzusetzen. Einem anderen Menschen – egal, aus welchen Gründen – das Leben zu rauben, das kann ich als christlich geprägter Mensch nicht verantworten. Zweiter Punkt war 1978 die Ost-West-Konfrontation. Mir war klar: Wenn es zu irgendwelchen kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, dann werden schlimmstenfalls die Atomraketen gezündet und Mitteleuropa vernichtet. Das war dann auch die politische Begründung meiner Verweigerung.

Wie sind Sie damals Bausoldat geworden?

Da gab es an sich überhaupt keine Regelung. Gemustert wurde ich wie alle anderen mit 18. Ich hatte gleich gesagt, dass ich verweigern und stattdessen die Möglichkeit nutzen will Bausoldat zu werden. Die haben mir dann einen Stift und einen Zettel gegeben und gesagt, dass ich das einfach mal erklären sollte. Auf einer halben Seite habe ich das begründet. Ich wurde für tauglich befunden, aber die haben mir dann nicht gesagt: „Ja, Sie werden Bausoldat.“ Wenige Wochen später bekam ich dann einen Anruf: „Wir haben Sie vorgesehen zum Militärkraftfahrer und die Voraussetzung dafür ist, dass Sie den Führerschein machen und den bezahlen wir Ihnen auch.“ Ja, Führerschein, das ist ein Angebot, da will man nicht nein sagen. Da hab ich dann gesagt: „Das würde ich gerne machen, selbstverständlich, aber Sie wissen ja: Ich werde dann Militärkraftfahrer ohne Waffe.“ – „Äh was wie – ohne Waffe? Nein nein, Sie sollen hier Führerschein machen als Militärkraftfahrer. Natürlich ist dies ein Waffendienst.“ Ich antwortete dann, dass dies wahrscheinlich nichts wird, da ich mich als Bausoldat habe mustern lassen.

Ein letzter Versuch Sie zum Dienst an der Waffe zu motivieren?

Meine Vermutung war, dass sie nochmal versucht haben mich über diesen Weg zu locken. Ich hab dann noch an der Abendschule mein Abitur in Halle gemacht. Vom Wehrkreiskommando hab ich nichts mehr gehört. Hat mich aber auch nicht interessiert. Kurz vor dem Abschluss wollte ich mich dann an der Fachhochschule in Köthen bewerben, aber die wollten, dass ich vorher den Wehrdienst absolviert habe. Dann bin ich selber zum Wehrkreiskommando hin und hab gesagt, dass ich ein Befreiungsschreiben brauche oder meinen waffenlosen Wehrersatzdienst absolvieren müsse. Ich teilte den Herren mit, dass ich schon verheiratet sei und eine kleine Tochter hätte. Meine Einberufung nach Prora kam dann im September. Aber da stand nichts von Bausoldat. Einfach nur Prora. Ich musste mich am 2. November 1983 um 14 oder 15 Uhr in der Kaserne melden. Im Zug stellte ich fest, dass es immer leerer wurde. Dabei war die Endstation Binz: ein Ostseebad. Da dachte ich, „das muss ja sehr romantisch sein. Das kann ja gar nicht so schlimm sein.“

Und wie sah die Wirklichkeit aus?

Naja, dann stieg ich am Bahnhof Prora aus und stellte fest: nur Uniformierte. Und dann die ganzen Pickelträger, die alle, die mit dem Zug ankamen, in Empfang nahmen und in Marschkolonne auf ein großes Kasernengelände führten. Die Ostsee hat man überhaupt nicht gesehen. Und rundum Stacheldrahtzaun. Nur Militär. Wir sind dann reingeführt worden in die Kaserne und man hat schon in der Turnhalle, in der wir empfangen wurden, gesehen, dass viele Langhaarige dabei waren. Ich hatte damals auch noch Bart und lange Haare. In der Unterhaltung mit anderen kam dann heraus, dass diese sich auch als Bausoldaten gemeldet hatten. Dann wurden wir eingekleidet mit der Besonderheit, einen Spaten auf der Schulter zu haben und am nächsten Tag kamen die Haare ab.

Was mussten Sie dann als Bausoldat arbeiten?

Nach der zweiwöchigen Grundausbildung haben wir erfahren, dass unser Einsatzort hauptsächlich auf der Baustelle in Mukran ist, ein Fährhafen, der den gesamten Güterverkehr zwischen der DDR und der Sowjetunion abwickeln sollte. Ganz „romantisch“ im Novembermatsch der Insel Rügen haben wir dann Gräben gebuddelt.

Wie haben Ihre Familie und Ihr Freundeskreis auf die Verweigerung reagiert?

Ein ehemaliger Vorgesetzter, der auch in der Partei war, sprach mit mir darüber und war entsetzt, dass ich das Land nicht mit der Waffe verteidigen wolle. Das wurde dann auch ein bisschen als religiöse Spinnerei abgetan. In dem Freundeskreis, in dem ich mich später befand, wurde eher gesagt: „Was? Du gehst zu den Bausoldaten und verweigerst nicht total?“

Welche Auswirkungen hatte Ihre Entscheidung, Bausoldat zu werden?

Ich hatte mich danach für Psychologie an der Uni Jena beworben, aber eine Absage gekriegt, mit der Begründung, dass es nicht genügend Plätze gäbe. Ein Jahr später hab ich mich erneut beworben und bin wieder abgelehnt worden. Dieses Mal wollte ich eine genaue Begründung und wurde vom Prorektor eingeladen. Der sagte, dass hier nur Psychologie studieren könne, wer ein klares Bekenntnis zur DDR abgebe, was nur geht, wenn man 3 Jahre das Vaterland verteidigt hat. Man empfahl mir stattdessen den neuen Studiengang „Wissenschaftlicher Gerätebau“. Das war nicht, was ich wollte und deshalb überlegte ich eine kirchliche Ausbildung zu absolvieren. Meine Frau überzeugte mich dann aber doch an der Sektion Technologie zu studieren. Andere Bausoldaten hatten diese Möglichkeit nicht.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Schmidt

    Zum Wortlaut “Nicht bereit, abzudrücken”
    Auch viele hochrangige Angehörige der NVA hätten nicht abgedrückt. Ich denke gerade an die Oktobertage in Leipzig bzw. an die politische Wende in der DDR …

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ein neuer Zeitzeugenroman ist erschienen:
    “Im Auftrag des Großen Bruders“, Autobiografie, AAVAA-Verlag, Berlin, ISBN 9783862545513 und 978-3-86254-551-3.
    Inhalt: Gründe des Niedergangs der DDR-Wirtschaft.
    Die Republik ist mit militärischen Standorten übersät – Atombunker wachsen wie Trüffel – sie haben Priorität vor Wirtschaft. Dennoch wird bis 1990 investiert. Kaum einer weiß von den verbauten Milliarden. Die Anzahl der Bearbeiter für militärische Vorhaben wird so gering wie möglich gehalten – die Arbeit der Stasi kommt nicht zu kurz …

    Auszug aus dem Vorwort:

    Kein anderer Staat des ehemaligen Ostblocks ist so eng mit der Sowjetunion verbunden wie die DDR – sie steht vollständig unter dem Oberbefehl des Warschauer Vertrages. Zudem gilt es, vom Großen Bruder zu lernen …

    Das Leben der Menschen in der DDR wird veranschaulicht. Ohne die Grenze zur erzählerischen Fiktion zu überschreiten sind Fakten in Handlungen und Dialogen aufgezeigt . Der berufliche Werdegang des Autors ist nachgewiesen.

    Thomas Schmidt
    Zeitzeuge

    Rezensionen/Informationen zur Lektüre:
    Zeitzeugen-Roman über DDR | zeitzeugenberlin.de/zeitzeugen-roman-ddr/ sowie “Im Auftrag – Hauptnachrichtenzentrale der NVA der DDR“, Weltbild, Amazon

  2. Schmidt

    Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,

    hier Klappentext “Im Auftrag des Großen Bruders“:

    Schmidt wird neben der Industrie auch auf militärischen Vorhaben der DDR eingesetzt. Bedingung ist, dass keine Kontakte in die Bundesrepublik Deutschland bestehen. Von Abenteuerlust getrieben plant Schmidt, in die BRD auszuwandern. Er gerät in das Blickfeld der Staatssicherheit, doch sein häufiger Arbeitsstellenwechsel als hausgemachte Freiheit macht das Observieren fast unmöglich. Schmidt leistet seinen Grundwehrdienst und studiert Bauwesen. Die Marschrichtung für seine Tätigkeit als Bauleiter legt der Staat fest. Das erste Objekt ist eines der Landesverteidigung. Irgendwann erfolgt der Einsatz auf Vorhaben mit besonderer Geheimhaltung. Es handelt sich um die Führungs- und Atombunker der Nationalen Volksarmee. Was die Finanzierung dieser so bedeutsamen Spezialobjekte betrifft, ist sie für das Ende der DDR-Wirtschaft mitbestimmend – die vorhandenen Baukapazitäten werden zum großen Teil für militärische Vorhaben „verheizt“. Schmidt, Geheimnisträger, hängt seinen Job erneut an den Nagel. Somit greift die Staatssicherheit aktiv in sein Leben ein und der Wettlauf mit der Macht beginnt …

    Schmidt
    Zeitzeuge

Schreibe einen Kommentar

*