Die neuen Landschaftsmaler

Die Geschichte der Graffiti von der Höhlenmalerei bis heute

Von Jana Felgenhauer



Foto: Katharina Schmidt

Graffiti sind urbane Bilderbücher. Sie erzählen Geschichten, kleiden Züge, geben kargen Mauern Gesichter und machen aus grauen Brücken bunte Regenbogen.
Sie sind die älteste Kommunikationsform der Menschheit. Von der Höhlenmalerei über ägyptische Grabinschriften bis hin zu Bildzyklen aus der Bibel an Decken und Wänden von Kirchen. In Stein geritzt mit Griffel und Kratzeisen, gemalt und gezeichnet mit Pinsel oder Kohlestift sind die Ornamente, Figuren und Inschriften die damaligen Vorreiter der heutigen Graffiti. Egal ob man Liebesschwüre in Baumstämme schnitzt oder sich mit Edding an Klowänden verewigt, man hinterlässt ein Zeichen. Sheena Wagstaff, Ausstellungsleiterin am Tate Modern in London, fasste dies folgendermaßen zusammen: „Der Name und der ,Tag´ sind eins. Genau das ist es, was Graffiti bedeuten. Es geht um Identifikation, um ein persönliches Symbol. Es ist ein Weg zu sagen: Hier bin ich.”

Ursprung in den USA

Schon um 1830 wurden in Frankreich Kritzeleien an Häuserwänden genutzt, um auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. Sie waren Markenzeichen der „Gamins“, der Pariser Straßenjungen. Heutzutage sind Graffiti weniger politisch motiviert. Für die meisten Writer sind sie Selbstidentifikation und Kampf um Anerkennung genauso wie Mutprobe und Gestaltungskunst.
Graffiti in der Form, wie wir sie heute kennen, hatten ihre Anfänge in den USA. Im Juni 1971 veröffentlichte die New York Times einen Bericht über „TAKI 183“. Der 17-jährige Grieche schrieb seinen Spitznamen „Taki“, eine Verniedlichung von Dimitrios, an Häuserwände, während er als Bote tätig war. Die 183 kam von seiner Adresse 183rd Street, Washington Heights, Manhattan. Durch die Erwähnung in den Medien wurde „Taki“ in ganz New York berühmt und fand viele Nachahmer. Für viele von ihnen lag der Reiz darin, berühmt zu werden. Vom Personenkult in den Massenmedien beeinflusst wollten sie der tristen Anonymität und Unpersönlichkeit ihrer Stadtviertel entfliehen.
„Man lebt unter Millionen von Menschen, ist eine kleine Nummer und hat keinen Bock mehr darauf… Man schafft sich eine neue Identität“, so „Odem“, ein deutscher Graffitikünstler der ersten Stunde.
In Deutschland bekannt wurden Graffiti durch Low-Budget-Filme wie „Wildstyle“ (1983), die Dokumentation „Stylewars“ (1984 und 1985) und Hollywoodstreifen wie „Beatstreet” (1984). Graffiti sind eng mit der Hip-Hop-Szene verknüpft.
Deshalb war auch der Breakdance-Trend entscheidend, der in zahlreichen Tanz- und Musikvideos über die Bildschirme ins Bewusstsein der Jugendlichen gelangte.
Die Breaker fingen an, es den New Yorker Writern gleichzutun, indem sie ihre Pseudonyme mit Markern und Sprühfarben in Unterführungen schrieben.
Die ersten Graffitiszenen Deutschlands entstanden in Dortmund, München, Hamburg und Westberlin.
In der DDR konnte sich keine „echte Szene“ etablieren. Dennoch versuchte der Staat Hip-Hopper einzubinden und begründete dies damit, dass die Jugendlichen ihre Solidarität mit den unterdrückten Schwarzen bekunden sollten. Der offizielle Sprachgebrauch der DDR bezeichnete Graffiti als „Rapschrift“ und Breakdancer als „akrobatische Volkstänzer“, deren Auftritte jedoch unterbunden wurden.
Ab 1986 wurden die verschiedenen Szenen der westdeutschen Großstädte aufeinander aufmerksam. Auf Jams, Hip- Hop-Partys, Treffpunkten von Rappern, Breakdancern, DJs und Graffiti-Writern bildete sich eine gesamtdeutsche Szene.
Es entstanden vor allem „Trainbombingcrews“ wie „Club of Rome” aus München, die mit ihren Whole-Train-Aktionen bekannt wurden.
Ein Zug aus Geltendorf, München, wurde 1985 als erster „End-to-End-Whole-Train“ in Deutschland auf einem Zugabstellplatz besprüht. Schon am nächsten Tag zierten Fotos der Sprühkunst die Seiten der bayerischen Zeitungen. Seitdem wollen zahlreiche Neulinge es ihren Vorbildern gleichtun und ihre Graffiti auf Zügen in andere Städte fahren sehen.

Härtere Strafen

1988 rief die Deutsche Bundesbahn die SOKO Graffiti ins Leben. Inzwischen werden gefasste Täter mehr und mehr selbst für die Beseitigung der Schäden zur Verantwortung gezogen und neben der Zahlung von hohen Geldstrafen zur Mitarbeit beim Entfernen der Farbe verpflichtet. Das soll dazu dienen, dass möglichst viele Täter zur Einsicht kommen und weitere Sachbeschädigungen dieser Art unterlassen. Doch selbst Gefängnisstrafen können manche Writer nicht stoppen.
„Du bleibst dabei, nenn es Sucht oder Liebe – es ist mächtig”, sagt Gjeli, Sprayer aus München.
Neben dem „Trainbombing“ etablierten sich „Murals”, bemalte Wände, auf denen sich meist die so genannten „Pieces“ wiederfinden. In Deutschland haben Murals eine viel größere Bedeutung als in New York, wo sich Graffiti fast ausschließlich auf Züge beschränken.
Das höchste Graffito der Welt „Zeichen der Zeit“ entstand als internationales Gemeinschaftsprojekt der Künstler Loomit, Darco, Hesh, Vaine und Daim an einer Hochhauswand in Hamburg und bekam einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde.
„Daim“ ist einer der bekanntesten deutschen Graffitikünstler. Seine Spezialität sind dreidimensionale Buchstaben.
Mehrmals organisierte Daim bereits die „Urban Discipline Ausstellung“, bei der die weltweite Graffitiszene in der Hansestadt präsentiert wird. Er gründete auch die Ateliergemeinschaft „getting-up“ in Hamburg. Daim meint, durch die nächtliche Arbeit lerne man Dinge, die man sonst als Künstler niemals erleben würde. Genau dies sei der Grund, warum „Urban-Art“ eine Kraft in sich trage, die nun langsam auch von Galeristen, Kuratoren und Sammlern erkannt werde. Ohne die Wurzeln in der Illegalität hätte seine Arbeit nicht den Ausdruck, den sie hat.
Graffiti sind also mehr als nur ein Makel an einer Hauswand. Jedes einzelne trägt die unverkennbare Handschrift seines Schöpfers und ist daher Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit. Wie Brotkrumen, die jemand gestreut hat, um den Weg zurückzufinden oder um gefunden zu werden.

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