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Keinmalzahlung – ein bürokratisches Trauerspiel

Das lange Warten hat endlich ein Ende – trotzdem stehen wir noch am Fuße des Bürokratie-Berges. Seit der Ankündigung der dritten Energiepreispauschale sind rund sechs Monate vergangen, doch auf die versprochenen 200 Euro warten Studierende und Fachschüler:innen noch immer. Ein Trauerspiel der deutschen Verwaltung.

Ein Kommentar von Canel Sahverdioglu

Illustration: Veronika Vonderlind

Nachdem die Regierung Bafög-Geförderten bereits zwei Heizkostenzuschüsse gewährte und die restlichen Studierenden sehen mussten, wo sie blieben, entschied der Bund im September letzten Jahres, auch den Nicht-Bezieher:innen unter die Arme zu greifen. Über eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 200 Euro dürfen sich alle Studierenden und Fachschüler:innen mit Wohnsitz in Deutschland freuen, die zum 01.12.2022 an einer deutschen Hochschule immatrikuliert waren.

Zuvor erntete die Regierung zu Recht große Kritik, als sie sich damit brüstete, notdürftigen Studierenden zu helfen. Die ersten beiden Zuschüsse erhielten aber nur Bafög-Geförderte, die lediglich ca. 11 % aller Studierenden ausmachen. Umso größer war die Freude nach der Ankündigung einer dritten Bafög-unabhängigen Energiepreispauschale.

Damals war die Hoffnung auf eine Zahlung bis spätestens Ende 2022 noch groß, zumal die rapide steigenden Energiepreise zum neuen Jahr vor allem die Studierenden zum Schwitzen bzw. Frieren brachten. Noch im Winter 2022/2023 könne man auf die Zahlung hoffen, so die Regierung. Doch die ,,mit Hochdruck’’ daran arbeitenden Verantwortlichen ließen alle Hoffnung auf eine baldige Entlastung pünktlich zu den neuen Stromabschlägen im neuen Jahr platzen. Erst Mitte Februar 2023 kommt der erste Lichtblick, der allerdings doch nichts weiter ist als ein schwaches Glimmen. Die Gründe für diese enormen Verzögerungen sind – wie nicht anders zu erwarten – bürokratischer Natur.

Bürokratischer Jakobsweg

Es ist schon schlimm genug, dass der ganze Prozess um die Einmalzahlung wegen des ewigen bürokratischen Hin und Hers und der Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern derart viel Zeit in Anspruch genommen hat. Dann wird die eigentliche Antragstellung auf einmalzahlung200.de auch erst am 15. März freigeschaltet. Den Studierenden und Fachschüler:innen wird geraten, die nötigen Vorkehrungen schon mal vorab zu treffen, damit der Antrag bei der Freischaltung schneller gestellt werden kann. Natürlich wären wir nicht in Deutschland, wenn einem bei dem Prozess nicht der Kopf rauchen würde.

Als Erstes muss man sich für die Anmeldung natürlich ausweisen können: Dies geschieht mit einem BundID-Konto, wo man sich entweder mit einem Online-Ausweis oder mit dem ELSTER-Zertifikat anmelden kann. Für die Online-Ausweisfunktion benötigt man den Personalausweis, ein Smartphone mit NFC-Funktion und eine Ausweis-Identifizierungs-App. Der Personalausweis muss für diese Online-Ausweisfunktion allerdings erst mal aktiviert werden, falls das noch nicht geschehen ist. Dies erfolgt mit einer sogenannten Transport-PIN, die man zusammen mit dem Personalausweis bekommen hat. Wer seine Dokumente nicht sorgfältig aufbewahrt, darf diese u. a. über das Bürgeramt erneut anfordern. Wie lange es dann dauert, bis die PIN verschickt wird, vor allem, wenn viele Anfragen bearbeitet werden müssen, ist unklar.

Wer diesen bürokratischen Jakobsweg umgehen möchte und die steuerliche Identifikationsnummer parat hat, kann sich damit auf elster.de anmelden, einer Software für das Abwickeln von Steuererklärungen. Dort kann man sich das ELSTER-Zertifikat ausstellen lassen, das als elektronische Signatur für die Abgabe von Steuerdaten genutzt wird. Auch hier benötigt man einige Tage Geduld, da zunächst ein Aktivierungscode per Post verschickt werden muss. Immerhin hat dann jeder, der unbedingt mal eine Steuererklärung machen wollte, endlich die Gelegenheit dazu. Wie praktisch.

Zum Schluss braucht man nur noch den individuellen Zugangscode, der von der Ausbildungsstätte zur Verfügung gestellt wird, und dann kann es ab dem 15. März auch schon losgehen. Auch hier ist noch ungewiss, wann und wie der Code verschickt wird.

Es geht auch anders

Was viele allerdings nicht wissen: Wer weder die Online-Ausweisfunktion noch das ELSTER-Zertifikat nutzen kann, hat alternativ die Möglichkeit, den Zugangscode und eine PIN zu verwenden, die ebenfalls von der Ausbildungsstätte verschickt wird – eine wichtige Information, die auf der Startseite von einmalzahlung200.de nicht erwähnt wird. Dass die Antragstellung auch einfacher geht, erfährt man nur, wenn man ganz unten auf die FAQ-Seite schaut. Am besten liest man sich diese bei einer Tasse Kaffee gründlich durch.

Dass dieser Berg an Mehraufwand für eine Ausweisung eigentlich nicht notwendig ist, zeigte sich schon an der Überbrückungshilfe im Jahr 2020, wo Studierende für drei Monate einen Zuschuss von bis zu je 500 Euro beantragen konnten. Damals musste man sich lediglich mit dem Ausweis neben dem Gesicht ablichten lassen und das Foto dann bequem auf der Website hochladen. Eine weitere, weitaus effizientere und unkomplizierte Lösung wäre es auch gewesen, die 200 Euro auf die Studierendenausweise zu laden oder an den Automaten auszahlen zu lassen, wie es letzten Sommer bei den Rückerstattungen für die 9-Euro-Tickets der Fall war. So einfach möchte uns das die Regierung dieses Mal aber nicht machen. Vielleicht, um ein paar potenzielle Antragstellende zu verschrecken? Schließlich reden wir hier von rund 3,4 Millionen Studierenden und Fachschüler:innen, die Anspruch auf das Geld haben. Man muss ja auch wirtschaftlich denken.

Endgegner Digitalisierung

Während sich Bund und Länder monatelang über einen möglichst ,,unkomplizierten und sicheren’’ Weg Gedanken gemacht haben, die Gelder an die Studierenden und Fachschüler:innen auszuzahlen, haben sich die Stromrechnungen beinahe verdoppelt. Mittlerweile kostet eine Gurke beim Discounter ganze zwei Euro und in den sozialen Medien sind Verbraucher:innen darüber entsetzt, wie ,,knuspriges Wasser’’ so teuer sein kann. Die steigenden Energiepreise sind nicht die einzige finanzielle Hürde, die es zu überwinden gilt, und die Hilfe ist zu wenig, zu spät. Selbst den ebenfalls im September beschlossenen zweiten Heizkostenzuschuss haben die Bafög-Geförderten bisher nicht erhalten. Dabei soll das Geld, genau wie die monatliche Bafög-Zahlung und der erste Zuschuss, einfach auf das bereits hinterlegte Konto überwiesen werden. Man könnte meinen, dass Deutschland im Zuge der dreijährigen Pandemie und der damit einhergehenden digitalisierten Strukturen einen großen Schritt Richtung 21. Jahrhundert getan hätte. Stattdessen zeigt es sich aber erneut als Paradebeispiel eines digital zurückgebliebenen Landes, das sich wiederholt selbst im Weg steht.

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