Show oder Bedrohung
Neonazis haben in Gera angekündigt, mit Hunden und Baseballschlägern durch
die Stadt zu ziehen. Sie wollen die Stadt wieder sicher machen. Dahinter versteckt
sich eine überforderte Stadt und Sicherheitsbehörden, die immer wieder
die Gefahr von rechts unterschätzen.
Christian Klar stellt sich in einem Rewe-Eingangsbereich vor die Kamera. Der Mann im mittleren Alter hat die Statur eines Ochsen, seine Hände in den Taschen seiner Winterjacke und eine Cap auf. Klar spricht ruhig, nuschelnd, beinahe scheu: “Wir haben heute unseren ersten Sicherheitsspaziergang gemacht.” Der Ton der Ansprache täuscht fast darüber hinweg, dass Christian Klar ein bekannter Neonazi aus Gera ist; ein Neonazi, der soeben eine weitere Grenze überschritten hat: “Wir waren zwei mal zehn Leute mit einem Hund, haben anderthalb Stunden in der Stadt verbracht und sind Patrouillen gelaufen.” Das Ziel sei gewesen, einigen Bürgern wieder das Gefühl der Sicherheit zu geben. Laut Klar sei das gut angekommen.
Die sogenannten Sicherheitsspaziergänge hatte Klar vor dem Abend des 14. Oktobers schon öfter bei seinen Versammlungen angekündigt, aber erst jetzt hat er sie aber in die Tat umgesetzt. Er habe eine Notrufnummer und an verschiedenen Tagen einen Bereitschaftsdienst mit Auto eingerichtet. Bei einer Kundgebung schreit Klar ins Mikro: “Wenn so ein Notruf reinkommt, wird die Polizei darüber informiert, dass wir losfahren mit Baseballschlägern. Dann haben sie die Chance schneller zu sein als wir, um unsere Frauen und Kinder zu schützen!”
Man muss nicht sehr weit denken können, um zu sehen, wer im Ernstfall Opfer dieser Schlägertruppe wird: Migrantische Menschen. In Gera scheint der Schrecken wahr geworden zu sein. Eine rechtsextreme Gruppe agiert in der Öffentlichkeit und droht mit rassistischer Selbstjustiz. Aber warum passiert so etwas gerade hier?
Ein Kind der 90er
Klar ist ein Kind der 90er Jahre. Schon als Jugendlicher bewegte er sich in der rechten Szene. In einem Interview mit den Freien Sachsen erzählt er die Geschichte so: “Wir sind zu Fußballspielen gefahren, haben in Jugendzentren abgehangen und ein Bierchen getrunken. Wir haben ja nichts Böses gemacht.” Lange sei er aber recht unpolitisch gewesen. Dafür hat Klar ein sehr langes Vorstrafenregister: Körperverletzung, Drogenhandel, Betrug, Diebstahl. Er ist bekannt für Gewalttaten. Laut eigenen Angaben verbrachte er schon zwei Jahre im Gefängnis. Für einige Zeit war Klar auch Mitglied der AfD. Mittlerweile ist er laut eigenen Angaben wieder ausgetreten. ,Er ist aus der Partei ausgetreten, nachdem er eigenen Angaben zufolge von einigen Mitgliedern der AfD indirekte Aufforderungen erhalten hatte, die Partei zu verlassen. Vermutlich war Klar der Bundespartei zu rechts, aus dem Thüringer Landesverband sei nie ein solcher Vorstoß nie gekommen. Höcke und Klar kennen sich von mehreren gemeinsamen Veranstaltungen.
Unter dem Banner der Querdenkerbewegung “Miteinanderstadt Gera” organisiert Klar seit 2020 Montagsdemonstrationen. Was sich wie der Name eines linken Stadtteilprojekts anhört, entpuppt sich als Vernetzungsgruppe für Rechtsextreme. Zum Kern der Gruppe gehören etwa 300 bis 400 Menschen, überwiegend älter als 40. In der Initiative gibt es eine Symbiose zwischen den Aktiven, die wie Klar kriminell aufgefallen sind und einem Teil, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. So werden die Fahrzeuge und das Equipment für die Bewegung gewährleistet.
Miteinanderstadt Gera
In Hochzeiten konnte die Bewegung regelmäßig tausende Menschen auf die Straße locken – und das in einer Stadt mit nicht mal hunderttausend Einwohner:innen.
Aktuell sind es weniger Teilnehmende als bei den “Coronaspaziergängen”. Nur der harte Kern kommt verlässlich jeden Montag. Was gleich geblieben ist: Klar meldet die Versammlungen mal beim Geraer Ordnungsamt an oder auch häufiger nicht, wie es ihm gefällt.
Mitverantwortlich für den großen Erfolg von Miteinanderstadt ist sicherlich auch der Werbeanzeiger Neues Gera. Die Zeitung gehört dem AfD- und Stadtratsmitglied Harald Franke. Ihm wird immer wieder vorgeworfen, das Blatt zu lokalpolitischen Zwecken zu missbrauchen. In der Rubrik ‘’Aus fremden Federn’’ werden Beiträge von neurechten Publizist:innen gedruckt.
Als das Logistikunternehmen Funke Logistik GmbH den Vertrag mit Franke auflöste, fing Klar an, die Zeitung selbst auszuteilen und warf 15.000 Miteinanderstadt-Flyer in Briefkästen. Daraufhin kamen am 1. Oktober 2022 bis zu 8.000 Menschen zu seiner Demo.
Die letzten Monate meldete Klar diese überhaupt nicht mehr an. Aber nicht nur das: Auf den Demos liefen Pferde mit und es wurde öfter Feuerwerk gezündet. Regelmäßig rufen Teilnehmer:innen an Volksverhetzung grenzende Beleidigungen. Die CSD-Demonstrant:innen bezeichnete er als Viehzeug. Erst letztens rief Christian Klar die SA-Parole “Alles für Deutschland”. Teile der Menge stimmen mit ein. Inzwischen wird deshalb gegen Klar ermittelt. Für die Organisation Miteinanderstadt selber gab es bisher keine Konsequenzen.
Antifaschistische Aktivist:innen meldeten mehrere Wochen im Voraus einen Gegenprotest bei der Stadt an. Sie wollten eine Route nehmen, von der sie wussten, dass dort die Versammlungen der Miteinanderstadt stattfanden. Bevor sich die Versammlungsbehörde aber überhaupt bei den Aktivist:innen zurückgemeldet hatte, erzählte Klar auf einer Kundgebung, dass er vom Amt darüber informiert wurde, dass seine Route besetzt worden sei. Das lässt folgenden Schluss zu: Die Behörden standen in Kontakt mit Klar, obwohl er seine Versammlungen in dieser Zeit nicht angemeldet hatte.
Das Ordnungsamt arbeitet wohl nicht mit den Nazis zusammen. Aus linken Kreisen hört man eher, dass die Leute im Ordnungsamt einfach ihre Ruhe haben wollen. Sie seien überfordert. Vermutlich habe man aus gutem Glauben angerufen. Nach dem Motto: Hauptsache es passiert nichts.
“Mit unserer Versammlungsbehörde können wir alles andere als glücklich sein”, sagt Schubert, Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat Gera. Die Behörde hätte zwar ein Neutralitätsgebot, doch das Mindeste sei es, die rechtlichen Vorgaben zu prüfen und Vergehen zu ahnden. “Das ist auch meine Erwartungshaltung.” Aber wenn man Kritik äußere, werde man auf die Vorgaben des Versammlungsrechts oder des Grundgesetzes verwiesen. Man könne nichts machen.
„Die Versammlungsbehörde der Stadt Gera leistet ihre Arbeit gesetzeskonform und nimmt ihre Aufgabe stets ernst, über alle Versammlungen informiert zu sein”, sagt Oberbürgermeister Kurt Dannenberg in einer Stellungnahme. Bis jetzt gebe es keine Lösungen, wie man dem überbordenden Hass entgegentreten könne. Das sei eben die Herausforderung einer offenen Gesellschaft, der man sich stellen muss. Aufgabe der Versammlungsbehörde sei es dabei nicht, über die politischen Inhalte einer Versammlung zu urteilen.
Nur ein Imageschaden
In der Stellungnahme beschwert sich der Oberbürgermeister darüber, dass Gera in der Berichterstattung negativ in den Fokus genommen wird. „Die Heimat von knapp 100.000 Menschen wird als Lebens- und Wirtschaftsstandort nachhaltig durch den anhaltenden Imageschaden geschwächt.”
„Dieser Imageschaden ist hausgemacht“. Man hätte von Anfang an viel stärker mit der Situation umgehen sollen”, so Schubert. Andere Kommunen, die die gleichen rechtlichen Bedingungen haben, würden ganz anders mit ähnlichen Situationen umgehen. Michael Brenner, Jura-Professor und Experte für Versammlungsrecht an der Uni Jena, betont gegenüber dem Akrützel die Verantwortlichkeit der Versammlungsbehörde. Unangemeldete Versammlungen, die keine Spontanversammlungen sind, gelten als rechtswidrig. Hier sei es Aufgabe der Behörde, einzugreifen. Andernfalls werde ,,die Versammlungsbehörde ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht gerecht’’. Zumindest sinke die Eingriffsschwelle. So stehen Versammlungen als kollektive Art der Meinungskundgabe zwar unter besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, dennoch müssten diese angemeldet sein.
Zur Neutralität verpflichtet
Brenner betont, dass die Behörden bei Beschränkungen und Auflagen einen erheblichen Ermessensspielraum hätten und Entscheidungen hierzu von regionalen Besonderheiten und der Beurteilung des Stadtbildes abhingen. Gleichzeitig stellt er klar, dass Behörden grundsätzlich zur Neutralität verpflichtet seien: ,,Wenn es natürlich erkennbar ist, dass in Gera eine Tendenz ans Tageslicht kommt, rechte Versammlungen eher großzügig zu behandeln, wirft das natürlich schon Fragen auf. Da muss man dann genauer hinschauen.’’
Die Verwendung der SA-Parole Alles für Deutschland schätzt Brenner als möglichen Grund ein, eine Versammlung aufzulösen. Hier käme es auf den Einzelfall an. Entscheidend für die Einschätzung sei auch, wie bekannt die Losung ist. Durch die Prozesse gegen den rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke kann allerdings davon ausgegangen werden, dass der Spruch im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen ist.
Klars Drohung, sogenannte Sicherheitspatrouillen durchzuführen, sieht der Jurist äußerst kritisch. Die Aufgabe der Wahrung der Sicherheit und Ordnung sei Aufgabe der Behörden und darf nicht von Privatpersonen angeeignet werden: ,,Er maßt sich da polizeiliche Aufgaben an, die ihm nicht zukommen.” Hier müsse die Stadt tätig werden und so etwas verhindern. Bis jetzt wurden die Patrouillen der Neonazis erst zwei Mal von Antifaschist:innen gesichtet und die Notrufnummer ist laut Medienberichten die Privatnummer Klars. So viele Menschen könnten sich deshalb nicht bei der selbsternannten Bürgerwehr melden. In Gera ist Klar dafür bekannt, rhetorisch über die Stränge zu schlagen. Sind die Patrouillen also doch nur einzelne Einschüchterungsversuche, gar nur eine Show? „Das ist wahrscheinlich die Intention der ganzen Geschichte”, sagt Schubert.
Klar muss nicht selbst zum Täter werden, er leistet einfach die öffentliche Vorarbeit. „Rassistische Positionen sind normalisiert und werden immer stärker entgrenzt. Der Schritt zu rassistischen Angriffen und Pogromen ist dann nicht mehr weit.” sagt Franz Zobel, Projektleiter von Ezra, einer Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus. Ezra musste erst im August die Zahlen zu rechter Gewalt und Bedrohungen in Thüringen im Jahr 2023, nachträglich nach oben korrigieren, weil nach der Erhebung noch deutlich mehr registriert wurden. Sie stieg von 147 auf 176, das ist die zweithöchste Zahl, seitdem 2011 die Aufzeichnung begonnen hat. „Sprache schlägt schnell in Gewalt um“, sagt auch Rippchen von der Bewegung Projekt Farbrausch aus Gera: „Wir haben sicher noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.” Und dass Christian Klar gewaltbereit ist, habe sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Noch bevor die Patrouillen angekündigt wurden, wurde Klar von einer Frau angerufen, die sich von zehn ihrer Meinung nach migrantischaussehenden Männern bedroht fühlte. Am Ende sei einer auf seinem Arsch gelandet, wie Klar es öffentlich bei einer Kundgebung ausdrückte.
Respektvolles Miteinander
Klar ist nicht in der Lage ein Schichtsystem für seine Bürgerwehr zu organisieren. Dennoch kann man seine Drohung, 20 bis 30 Gewaltbereite auf die Straße zu bringen, ernstnehmen. Die Stadt sagt dazu: „Die Androhung von Selbstjustiz ist nicht nur rechtlich problematisch, sondern gefährdet auch das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft.” „Ich glaube, die haben Angst, sich mit diesem Klientel richtig anzulegen. Die wollen das befrieden, eingrenzen und da den Deckel drauf haben“, sagt Rippchen und fordert von der Stadt im Gegenzug eine klare Positionierung der Stadt auf den Gegendemos. Von der Stadt heißt es, man sei weiterhin bestrebt, ein konstruktives und respektvolles Miteinander zu fördern und Rechtsverletzungen entschieden entgegenzutreten. Oberbürgermeister Dannenberg hat erst kürzlich angekündigt, mit Christian Klar ein Gespräch zu führen.