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Der Fall Dietze

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Die Jenaer Geschichtsprofessorin Dietze wird entlassen. Ihr Institut wirft ihr Machtmissbrauch vor. Ein Blick hinter die Kulissen der Universität und ihre Machtstrukturen.
Von Johannes Vogt und Sandro Belkania

Von rund 400 Professor:innen an der FSU ist nur jede:r vierte:r eine Frau. Ab Januar wird es eine weniger sein: Eine Professorin am Geschichtsinstitut wird entlassen. Das Institut wirft ihr Machtmissbrauch vor.
Carola Dietze bekam 2017 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte, allerdings auf sechs Jahre befristet. Danach muss das Institut in einem Entfristungsverfahren prüfen, ob die Stelle auf Lebenszeit verlängert wird. Diese sechs Jahre sind nun um, und das Institut hat entschieden, den Vertrag nicht zu verlängern. Sie habe „schwerwiegende Formen des Fehlverhaltens“ gezeigt, heißt es in einem Gutachten des Institutsleiters.
Dieses und andere Gutachten sind die Grundlage des Entfristungsverfahrens. Sie sollen die persönliche, wissenschaftliche und pädagogische Eignung der Professorin einschätzen. Der Institutsrat und der Fakultätsrat stimmen auf ihrer Basis über die Entfristung ab. Eigentlich eine rein formale Sache, erzählen viele der beteiligten Fakultätsmitglieder. Die wenigsten Entfristungen würden negativ ausfallen. Bei Dietze war das anders. Die Abstimmung ist nicht nur äußerst knapp ausgegangen, sondern musste aufgrund eines Gerichtsbeschlusses wiederholt werden.

Eine gute Wissenschaftlerin

Ende Juni 2023 musste sich Dietze dem Entfristungsverfahren stellen. Da ihr wissenschaftliches Arbeiten breit gefächert ist und sie ein gutes internationales Ansehen genießt, ist sie einstimmig als wissenschaftlich geeignet eingestuft worden. Auch gegen ihre pädagogische Arbeit gab es nur geringe Einwände. Problematisch war ihre persönliche Eignung. Der Institutsleiter formulierte in seinem Gutachten eine Reihe von Vorwürfen: Sie habe Ideen von Mitarbeiter:innen geklaut, ihre Angestellten unter Druck gesetzt, er spricht sogar von Machtmissbrauch. Außerdem habe sie gegen die gute wissenschaftliche Praxis verstoßen und störe die Zusammenarbeit am Institut.
Die Vorwürfe sind keineswegs neu, teilweise sogar schon jahrealt. Sie betreffen Dietze und ihre Kolleg:innen persönlich. Solche Vorwürfe sind um einiges schwerer nachzuvollziehen. Sie basieren auf Erzählungen von Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen. Sie lassen sich deshalb kaum von persönlichen Konflikten trennen. Wer sie verstehen will, muss mit dutzenden Professor:innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen sprechen. Dabei kommt keine einstimmige Erzählung raus. Viele Aussagen widersprechen sich oder sind von persönlichen Wertungen durchzogen. Es bleiben aber ein paar belegbare Fakten, die ein anderes Licht auf Dietze und das historische Institut werfen.

Schwierige Arbeitsverhältnisse

Anstellungsverhältnisse an Universitäten sind strukturell prekär. Die meisten Verträge sind befristet. Angestellte sind deshalb früher oder später von der Gunst ihrer Vorgesetzten abhängig. So geht es Dietze mit ihrem Institut. Dieses entscheidet nach sechs Jahren über ihre Entfristung. So geht es aber auch anderen Angestellten an ihrem Lehrstuhl, die sie unter Druck gesetzt haben soll. Diese Verhältnisse sind anfällig für Machtmissbrauch, weil sie persönliche Nähe und professionelle Ungleichheit vermischen.
Wenn sich in diesen Strukturen eine Angestellte über ihre Vorgesetzte beschwert, ist es wichtig, dem nachzugehen. Das passierte im Jahr 2020 mit einer kanadischen Mitarbeiterin an Dietzes Lehrstuhl. Sie schickte eine Beschwerde an den Personalrat. Im Anhang: über 60 Seiten Mailverlauf zwischen Dietze und ihr. Der Mailverlauf liegt dem Akrützel vor. Darin finden sich eine Menge Empörung, Missverständnisse und schlechte Kommunikation. Es geht um Verabredungen, die einseitig abgelehnt wurden, schlechte wissenschaftliche Arbeiten und vermeintlich falsche Sitzungsprotokolle. In Gesprächen mit Institutsmitgliedern und im Gutachten des Institutsleiters wird dieser Konflikt immer wieder als Machtmissbrauch bezeichnet.
Hinter befristeten Verträgen steht ein ungleiches Machtverhältnis. Nach Ende der Frist kann die Vorgesetzte den Vertrag beenden. In dieser Zeit muss man sie von sich überzeugen. Eine Bitte der Vorgesetzten kann man umso schwerer ablehnen. Das habe zu einem enormen Druck geführt, erzählt die Angestellte. Dietze habe ein Sitzungsprotokoll zu ihren Gunsten verändern wollen. Eine klare Verdrehung der Tatsachen, sagt die Angestellte. Dietz hingegen sagt, es sei ihr hauptsächlich um formale Vorgaben gegangen.
Es gab zwar Uneinigkeiten über Protokolle, das belegt der Mailverkehr zwischen beiden. Welche Variante aber die richtige ist, die der Angestellten oder die veränderte von Dietze, lässt sich im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen. Infolge der Vorwürfe hat Dietze Fortbildungen zur besseren Personalführung absolviert.

Noch ist Carola Dieze nicht weg.
Bild: Pauline Schiller

Kein Einzelfall

Dieser Fall ist nicht die einzige Beschwerde von Mitarbeiter:innen gegenüber Dietze. Drei weitere haben sich über schlechte Arbeitsbedingungen beschwert. Auch hier sind die Vorwürfe im Nachhinein schwer nachvollziehbar, weil es nur vage Erzählungen von Misskommunikation, Druck am Arbeitsplatz und impulsiven Entscheidungen, aber keine eindeutigen Anschuldigungen gibt. Der Vorwurf „Machtmissbrauch“ verwandelt sich in interne Konflikte, die man aufarbeiten müsste, bei denen man sich aber kaum auf eine Seite stellen kann. Stattdessen nutzt sie das Institut als Grund, Dietze zu entlassen.

Plagiatsvorwürfe

ereits nach Dietzes Berufung 2017 tauchten die ersten Vorwürfe gegen sie auf. Sie habe eine Forschungsidee von ihrem Vorgänger gestohlen. Er vertrat vor Dietze den Lehrstuhl für Neuere Geschichte und sollte von ihr abgelöst werden. Er warf ihr vor, zuerst die Veröffentlichung seines Artikels verhindert und dann eine Idee daraus in ihrer Antrittsvorlesung benutzt zu haben, ohne ihn als Quelle zu nennen. Die Vorwürfe wurden damals geprüft und von einer Kommission als „zweifelsfrei haltlos“ eingeschätzt.
Dasselbe passierte nochmal drei Jahre später, als ein Angestellter an Dietzes Lehrstuhl ihr vorwarf, einen Antrag von ihm als ihren eigenen ausgegeben zu haben. Auch hier war der Vorwurf: Diebstahl geistigen Eigentums. Und auch hier wurden die Vorwürfe von der uniinternen Kommission für die Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis geprüft und zurückgewiesen.
Beide Zurückweisungen erfolgten in einem internen Verfahren , die Schlusserklärungen liegen dem Akrützel vor. Im Entfristungsverfahren tauchen die Vorwürfe trotzdem wieder auf – ohne Belege.
Beide Konflikte lassen sich allerdings nicht auf wissenschaftliche Vergehen reduzieren. Im Hintergrund stehen unzählige Uneinigkeiten zwischen Dietze und ihren Kolleg:innen. Einer der Angestellten, der Dietze Diebstahl geistigen Eigentums vorwirft, wird sich später auch über ihre persönliche Eignung beschweren.
Außerdem liegen dem Akrützel einige Mailverläufe vor, die bestätigen, dass es hier viel aufzuarbeiten gibt. Konflikte über Doktoranden, denen Dietze Nähe zum Rechtsextremismus vorwarf, vermeintlich falsche Professorentitel auf der Website des Instituts und Aufträge, die wochenlang nicht bearbeitet wurden. Uneinigkeiten, die keineswegs unerheblich sind, die man im Nachhinein aber nicht vollständig nachvollziehen kann. Und vor allem handelt es sich höchstens um schlechte Personalführung, nicht um Machtmissbrauch.
Die Plagiats- und Machtmissbrauchsfälle sind nicht die einzigen Vorwürfe gegen Dietze. Sie sind aber bei weitem die schwerwiegendsten. Und sie zeigen: Hinter prägnanten Schlagwörtern stehen vage Behauptungen. Das findet sich im gesamten Entfristungsverfahren immer wieder. Es werden gravierenden Vorwürfe in den Raum gestellt: Mobbing, Machtmissbrauch, Plagiat. Schaut man aber genauer hin, sind sie nicht belegbar.
Für diese Art von Vorwürfen gibt es Richtlinien. Auf einer Tagung im Frühjahr 2023 haben mehrere Hochschulvereine eine Erklärung abgegeben: die Wuppertaler Erklärung zur vertrauenswürdigen Wissenschaftsgovernance. Daran beteiligt waren unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Deutsche Hochschulverband (DHV) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die Erklärung soll Richtlinien für Verfahren geben, bei denen es um nicht-wissenschaftliche Vergehen geht. Das Entfristungsverfahren hält sich in mehreren Punkten nicht daran.
In der Erklärung heißt es: „Bei der Bewertung, ob Fehlverhalten vorliegt, darf die subjektive Wahrnehmung betroffener oder beobachtender Personen nicht allein ausschlaggebend sein.“ Es brauche „beobachter-unabhängige Kriterien“. In Dietzes Entfristungsverfahren gibt es die nicht. Alle Vorwürfe basieren auf den Aussagen einzelner Angestellter, zu denen es außerdem Gegendarstellungen gibt. Neben den vier Beschwerden gibt es Stellungnahmen von 25 Mitarbeiter:innen, die sich für ihre Entfristung aussprechen.
Außerdem hatte Dietze während des gesamten Verfahrens nicht einmal die Möglichkeit, auf einer Sitzung persönlich Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Nur in einem Selbstbericht konnte sie ihre Position schriftlich verteidigen.
Ein Entfristungsverfahren ist nicht darauf ausgelegt, diese Art von Vorwürfen zu prüfen. Dafür bräuchte es Anlaufstellen für beide Seiten, persönliche Gespräche und vor allem die Möglichkeit, sich mündlich zu den Vorwürfen zu äußern. Die FSU scheint in ihrem Umgang mit den Konflikten am historischen Institut in erster Linie überfordert zu sein, weil es keine Strukturen gibt, die solche Missverhältnisse auffangen könnten. Das Entfristungsverfahren versucht es trotzdem und liefert passend zu seiner eigenen Unterkomplexität ein unterkomplexes Ergebnis: Eine Seite ist alleine schuld. Solche Konflikte sollten von dazu ausgelegten Institutionen bearbeitet werden. Die gibt es aber an der FSU nicht.
Im Juli wurde erstmalig über die Entfristung im Fakultätsrat abgestimmt. Eigentlich gab es damals eine Mehrheit für die Entfristung. Zehn stimmten dafür und sechs dagegen. Allerdings braucht es für die Entfristung eine absolute Mehrheit. Weil sich vier Fakultätsratsmitglieder enthielten stand es zehn zu zehn. Dietzes Entfristung wurde abgelehnt.
Diversitäts- und Gleichstellungsbeauftragte der FSU baten damals den Präsidenten, das Verfahren noch einmal zu prüfen. Und bei Unstimmigkeiten einzugreifen. Nach einer Prüfung fand er allerdings keine Mängel und akzeptierte die Entscheidung. Im November klagte Dietze gegen das Verfahren und das Verwaltungsgericht Gera gab ihr Recht. Allerdings nur in einer formalen Kleinigkeit. Der Institutsdirektor hatte sowohl ein Gutachten geschrieben als auch selbst abgestimmt, was laut Gericht rechtswidrig ist. Die Abstimmung wurde daraufhin wiederholt und Dietzes Entfristung erneut abgelehnt.

Und jetzt?

Dietze werden viele Vergehen vorgeworfen. Einige davon sind widerlegbar. Andere basieren auf vagen Erzählungen, aus denen prägnante Schlagworte abgeleitet werden. Zumindest die scheinen überzogen zu sein. Andererseits kommen die Vorwürfe von vielen unabhängigen Seiten. Es ist also schwer vorstellbar, dass sie einfach frei erfunden sind.
Am 20. Dezember muss Dietze nun ihr Büro räumen. Dann endet ihre befristete Anstellung. Das letzte Wort bleibt nun beim kommissarischen Universitätspräsidenten. Der kann auch gegen die Abstimmung des Fakultätsrates eine Entfristung beanstanden, wenn er sich denn traut.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sir Dagonet

    Zunächst einmal vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Endlich werden ein paar der Vorwürfe, die seit langer Zeit im Umlauf sind, genauer beleuchtet und eingeordnet. Die Menge an Falschinformationen oder nicht überprüfbaren Gerüchten war wahrlich erdrückend. Offen gestanden hätte ich gedacht, dass solche wichtigen Entscheidungen eher unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten getroffen und beide Seiten angehört werden. Ich war erschüttert davon zu erfahren, dass sie nicht einmal angehört wurde, um sich zu rechtfertigen.

  2. Niels Clasen

    Als zufällig reingeschneiter völlig Außenstegender: Finde ich schlimm! Ganz übel. Da kann ich auch mit Sit Dagonets Kommentar gar nichts anfangen. Kein Inhalt worum es geht Hörensagen, niemand weiß nichts Geies nicht. Aber 3 Dinge fallen auf! Audiatur et altera patrs! Ja wie, weshalb das denn? Regeln einhalten Wieso denn. Ohne gehts doch viel schöner. Dann soll Frau Dietz Menschen Rechts verortet haben. Ein einziges Mal eine inhaltliche Andeutung!!!
    Dank 4 enthaltungen im Rat kommt die eigentlich vorhndene Mehrheit FÜR Frau Dietze ncigt zum Trage. Ich bin Metaller (IGMetall) Wer sich dort in Gremien bei wichtigen Entscgeidungen enthält, muss sich Fragen gefallen lassen Gut so!
    Und dann der schluss: Er spricht Bände! “Das letzte Wort bleibt nun beim kommissarischen Universitätspräsidenten. Der kann auch gegen die Abstimmung des Fakultätsrates eine Entfristung beanstanden, wenn er sich denn traut.” Wenn der sich traut?????? Was ist da los an der Jenaer Uni??

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