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Freier Markt für Migration

Debatten um Migration gehen vor allem in eine Richtung: mehr Regeln. Dabei ist die Verwaltung jetzt schon überfordert. Zeit, umzudenken. Ein Kommentar von Johannes Vogt

Ohne Rassisten wären Asyldebatten vor allem eines: langweilig. Denn wenn man Menschlichkeit und Solidarität einfach voraussetzt, anstatt sie immer wieder in Frage zu stellen, werden Flüchtlingskrisen zu Verwaltungskrisen, der Ruf nach dem starken Staat zum Bürokratiefetisch und Liberale zu Staatsgläubigen.

Eigentlich ist es überraschend, dass nicht nur im Jenaer Stadtrat, sondern auch bundesweit FDP und CDU von Rechtspopulisten getrieben nach strafferen Regeln und härteren Strafen für Geflüchtete rufen, vergessen sie damit doch einen ihrer grundlegendsten Glaubenssätze: Komplexe soziale Systeme lassen sich nicht von einem einzelnen Akteur regeln. Wenn es um andere soziale Probleme geht, nutzen sie das immer als Ausrede dafür, dass der Staat nichts machen könne. Wenn es aber nicht um Profit für Unternehmen, sondern Rechte für Geflüchtete geht, dreht man den Spieß um und fordert stärkere Eingriffe. Das Problem: Für staatliches Handeln muss man den Überblick behalten. Man braucht Ministerien, Dezernenten und Beamte, die das, was man sich in Berlin ausdenkt, umsetzen. Daran scheitert Deutschland gerade.In Jena ist die Auslastungsquote der Gemeinschaftsunterkünfte bei über 90 Prozent, das Erstaufnahmelager in Suhl ist überbelegt, und Anfang November verlor die Migrationsministerin Thüringens nach heftiger Kritik ihre Zuständigkeit in Migrationsfragen. Und das, obwohl dieses Jahr überhaupt nicht überraschend viele Geflüchtete in Deutschland ankamen. Die Zahlen steigen zwar im Vergleich zu den letzten Jahren, aber verglichen mit 2022 oder 2015 sind sie immer noch auf einem niedrigen Niveau.

Fragt man Menschen, die keine Politiker sind, sondern sich irgendwie damit beschäftigen, wie man die Menschen unterbekommt, hört man selten, dass es einfach zu viele geworden sind. Was man aber hört: Das Land Thüringen hat sich zu wenig vorbereitet, den Kommunen zu wenig Geld zur Verfügung gestellt und nicht genug Erstaufnahmeeinrichtungen gebaut. Kurz: Die Verwaltung funktioniert nicht.

Ein Vergleich mit dem Frühjahr 2022 ist dabei besonders interessant, damals sind knapp eine Million Ukrainer:innen in Deutschland angekommen, ohne eine rechtspopulistisch angetrieben Abschiebungsdebatte. Damals hat man den Menschen nämlich mehr Freiheiten gewährt. Ukrainer:innen haben ohne großes Verfahren einen Aufenthaltstitel bekommen. Statt sie mehrere Wochen in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen, durften sie sich eine eigene Wohnung und Arbeit suchen. Die Mehrheit von ihnen ist deshalb privat untergekommen. Das verkürzt natürlich den Aufwand der Behörden.

Statt aber darüber nachzudenken, wie man solche Strukturen schafft, in denen sich Menschen um sich selbst kümmern können, versucht man, den Überblick zu behalten, alles zu regeln, und wenn man damit überfordert ist, sind es eben zu viele Flüchtlinge. Das ist nicht nur feige, sondern auch unmenschlich. Würde man nicht bei jedem kleinen Problem seinen moralischen Kompass über Bord werfen und anfangen, über „irreguläre Migration“ und konsequente Abschiebungen zu reden, könnte man vielleicht anfangen, die Probleme zu lösen.

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