Ein Hoch auf die Demokratie

Wie weit ist ein Mensch bereit für seine politischen Ideologien zu gehen? Und was passiert, wenn
dadurch die Demokratie aus den Angeln gehoben wird? Das Theaterstück „Ein Volksfeind“ im
Deutschen Nationaltheater in Weimar (DNT) zeigt es ganz wunderbar.

von Henriette Lahrmann

Foto: Candy Welz

Nanu, doch im Kino gelandet? Der Gedanke liegt nicht fern, als zu Beginn ein Haufen Bilder von Thermen in der Form von Instaposts und unzähligen Likes jagen. Das Ganze erinnert an einen Werbespot vor der Vorführung eines Hauptfilms im Kino. Stattdessen ist der Screen oberhalb der Bühne ein stilistisches Mittel, das das Gesellschaftsdrama Ein Volksfeind von Henrik Ibsen in unsere heutige Zeit holt.


Neben einem Thermalbad, dem Herzstück einer Kleinstadt, geht es im Stück vielmehr um die politische Gestaltung der Gesellschaft. Was passiert, wenn ein Fehler im System gefunden wird, der die wirtschaftliche Lage der dort lebenden Bevölkerung existenziell bedroht? Genau das passiert Thomas Stockmann, leitender Gesundheitsarzt des Thermalorts. Seine Befunde bestätigen eine längst vermutete These: Das Wasser im Bad ist vergiftet. Für ihn, einen Idealisten, der schon lange auf die große Gesellschaftswende wartet, ist das eine willkommene Gelegenheit ,seiner Schwester noch einmal in Beschuss zu nehmen. Bei Rinderbraten, Rotwein und einer Zigarette in bürgerlicher Einrichtung träumt er auf der rechten Bühnenhälfte von jungen Idealisten, die die Zukunft aufmischen.


Auf der anderen Seite der Bühne sitzt Petra Stockmann, die Bürgermeisterin der Stadt und seine Schwester. Sie verkörpert alles, was man als knallharte Businessfrau bezeichnen würde, nur dass sie sich zusätzlich noch sehr woke gibt: In strengem Hosenanzug isst sie auf ihrem Designersofa Sushi mit Stäbchen und regt sich bei ihrem Lebensgefährten und Sohn darüber auf, dass sie sich weiterhin weigern wird, in einfacher Sprache mit ihrer Bevölkerung zu sprechen. Sollen sie sich doch ein Lexikon kaufen – und natürlich gendert sie. Obwohl die beiden Geschwister räumlich als auch politisch klar voneinander getrennt sind, gibt es einzelne Personen, die Argumente abwiegen und die Dinge auch aus dem anderen Blickwinkel betrachten. Damit können sie schon von Anfang an die Grenze überschreiten. Thomas erwartet von seiner Schwester, dass sie auf den Skandal des verdorbenen Wassers direkt öffentlich reagiert. Petra will von alldem nichts wissen. Mehr noch: Sie verbietet es ihm mit einer beachtlichen Ansage. Ebenfalls in Rage versetzt, kündigt er ihr an, dass sie dennoch handeln werden. Richtig, Plural, denn damit meint er niemand geringeren als das Volk und sich selbst.


Der Streit zwischen den beiden Geschwistern spitzt sich zu und die hiesige Zeitung Die Wahrheit biedert sich bei beiden Seiten an – nicht gerade demokratisch. Alles an ihrem Logo erinnert an Die Bild und auch sonst wird in dem Stück kein gutes Haar an der Presse gelassen.

Demokratie am Rande des Abgrunds

Um Punkt 19 Uhr in Echt- und Stückzeit kommt es zu einer Bürger*innenstunde. Dabei spielt das Theater gekonnt mit den zusehenden Gästen, indem es die Szene so ausrichtet, dass man als Zuschauerin nun nicht mehr nur im Publikum des Stücks sitzt ,sondern auch in der der Bürgerstunde. So erfährt man am eigenen Leib, wie sich der komplette Saal um einen herum aufheizt und der bis hierhin präzise aufgebaute Konflikt eskaliert. Es wird geschrien, gepfiffen und getanzt und am Ende auch handgreiflich. Schon lange geht es nicht mehr um den Streit mit dem verdorbenen Wasser. Wer darf das Volk hinter sich vereinen und damit seine Macht legitimieren? Es gelingt den Schauspielenden das fast Unmögliche: ein koordiniertes Chaos.


Die anfangs aufgebauten politischen Lager verschwimmen immer mehr, was auch räumlich deutlich wird. Es gibt kein Gut oder Böse für das Publikum, das Gespielte gibt keinen Identifizierungsbezug. Und das macht das Theaterstück so grandios. Obwohl einzelne Argumente der Charaktere in Teilen nachvollziehbar sind, sind die Rollen nur ansatzweise in die Wirklichkeit zu übersetzen. So kommen einem gerade zwei eingewobene Zitate von Merkel und Höcke sehr vertraut vor. Trotzdem baut man schon im ersten Akt eine Antipathie gegenüber der Figur auf, der man zuerst etwas abgewinnen konnte. Das ganze Stück verleitet dazu, sich das politische, hochemotionale Gebilde anzuschauen, ohne einen erzieherischen Anspruch zu fühlen. Dabei ist es unserem aktuellen Geschehen in der Politik auf der einen Seite beängstigend nahe, aber gleichzeitig erfrischend in einen neuen Rahmen geknüpft.

Weitere Vorstellungen finden jeweils um 19:30 Uhr
am 27. Dezember und am 9. März im DNT in Weimar statt.

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