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“Die Universität ist ein Beziehungslabor”

Initiale Attraktion und Authentizität – was beeinflusst eigentlich unser Datingleben und wie hat sich dieses durch Tinder & Co verändert? Ein Gespräch mit Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der FSU.

Das Gespräch führten Pauline Schiller und Götz Wagner

Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie. Foto: Pauline Schiller

Herr Neyer, gibt es die wahre Liebe auf den ersten Blick? 
Nein, sie ist eine Illusion der Alltagspsychologie. Es gibt aber eine initiale Attraktion. Man denkt: „Die Person finde ich interessant, die würde ich gerne kennenlernen, ich könnte mir dies und jenes vorstellen.“ Ich würde das aber nicht überhöhen. 

Welche Faktoren sind für die initiale Attraktion wichtig? 
Da spielt natürlich, wie der Name schon sagt, die Attraktivität eine große Rolle und zumindest die wahrgenommene Ähnlichkeit: die Lebenseinstellung, der intellektuelle Hintergrund, Alter und auch Oberflächenmerkmale der Persönlichkeit. Der erste Eindruck beruht aber auf ganz anderen Faktoren als denen, die für langfristige Partnerschaften eine Rolle spielen. Dann geht es um die Persönlichkeit in ihrer Tiefendimension. 

Was ist wichtiger: Aussehen oder Persönlichkeit?
Das Aussehen ist Teil der Persönlichkeit. Man sollte das nicht unbedingt voneinander trennen. Die Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller individuellen Unterschiede im Verhalten und Erleben, aber auch in der äußeren Erscheinung, also so, wie man auf andere wirkt. Da spielt der Attraktivitätseindruck auch eine Rolle. 

Gibt es Persönlichkeitstypen, die etwas Bestimmtes suchen? 
Das kann man so allgemein nicht sagen – aber es gibt eine Faustregel. 

Gegensätze ziehen sich an? 
Gleich und Gleich gesellt sich gern – stimmt eher, als dass sich Gegensätze anziehen. Die Partnerwahl funktioniert nach dem Ähnlichkeitsprinzip und selektiv. Zum einen gibt es das Phänomen der sozialen Homogamie. Menschen begeben sich in Kontexte, wo sie unter ihresgleichen sind. Die Universität ist zum Beispiel in gewisser Weise auch ein Beziehungslabor. Sie treffen hier Leute, die ähnlich drauf sind, die einen ähnlichen Hintergrund und gleiche Interessen haben. Das macht Menschen attraktiv füreinander. Andererseits suchen Menschen unterschiedliche Dinge in der Partnerschaft: enge, sichere Bindungen, etwas Lockeres, das große Abenteuer – da gibt es keine Norm.

Kann man denn mit jedem Menschen zusammen sein? Also was ist wichtiger: Kommunikation oder Ähnlichkeit? 
Das lässt sich nicht so leicht beantworten. Man kann durchaus vorhersagen, welche Merkmale der oder die Partner:in vielleicht haben wird. Die Ähnlichkeit kann mittelstark vorhergesagt werden. Aber man kann nie genau wissen, wer das sein wird. Also es lässt sich nicht vorab beurteilen, ob die Chemie am Ende stimmt. Sonst wäre Partnervermittlung auch viel erfolgreicher. 

Wie groß ist dann der situative Einfluss? 
Der situative Einfluss ist mindestens genauso groß wie der Persönlichkeitseinfluss. Bei der professionellen Partnervermittlung geht es deswegen darum, die nicht passenden Partner:innen auszuschließen. Das wären ungefähr 50 Prozent. Die Auswahl zwischen den verbleibenden potentiellen Partner:innen wäre dann mehr oder weniger zufällig. 

Sie haben selbst auch schon bei der Entwicklung einer Dating-App mitgewirkt. Wie funktioniert der Algorithmus von Dating-Apps wie Tinder? 
Bei Tinder und Co. kenne ich mich nicht gut aus und da würde ich mich auch nicht gerne mit befassen. Aber es geht vor allem um physische Attraktivität und demographische Variablen wie Alter oder Wohnort. Nach diesen Merkmalen werden dann Kandidaten vorgeschlagen. Das ist ziemlich unaufwändig.

Neyer gibt Datingtipps. Foto: Pauline Schiller

Wie funktioniert das denn bei einer seriösen Partner:innenvermittlung?  
Es gibt einige Grundprinzipien und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die initial eine Rolle spielen. Wir erstellten damals Persönlichkeitsprofile, die mit standardisierten Fragebögen gemessen werden. Zusätzlich müssen methodische Standards berücksichtigt werden, um die Profile miteinander vergleichen zu können: Die Ähnlichkeit wurde mithilfe einer Profilkorrelation operationalisiert, die Niveau- und Streuungsunterschiede in den Profilen sowie stereotype Antworten berücksichtigt. Das Niveau und die Streuung werden nämlich durch die individuellen Antworttendenzen beeinflusst. Manche Menschen tendieren beispielsweise dazu, Fragen immer im extremen Bereich zu beantworten, andere eher im mittleren Bereich. Das erzeugt Artefakte, die statistisch kontrolliert werden müssen. Diese erzeugten Profilkorrelationen werden dann in Vorschläge oder Matches umgewandelt. Es gibt allerdings keine Garantie, dass der Funke dann auch wirklich überspringt.

Verändern Apps unser Dating-Leben? 
Ich würde es so sagen: Apps sind neue technische Möglichkeiten, einen Partner zu finden. Die Mechanismen sind aber wahrscheinlich dieselbe wie früher auf dem Partnermarkt. Es geht um Attraktivität im weitesten Sinne und um Eindruck; es geht darum, wie man sich interessant machen kann.

Wie real oder fake geben sich Menschen auf Dating-Apps? Also wie stark ist der Einfluss von stereotypischen Antworten oder Bildern, die gar nicht zu einem passen? 
Zur Selbstdarstellung im Internet gibt es relativ viel Forschung. Da zeigt sich, dass Menschen dazu tendieren, sich sozial erwünscht darzustellen; das tun sie ja sowieso immer. Dieser Effekt ist im Internet aber nicht unbedingt stärker als im wirklichen Leben. Es ist möglich, eine einigermaßen akkurate Einschätzung einer Persönlichkeit auf der Basis zum Beispiel von Facebook-Profilen zu treffen. Narzissten werden beispielsweise auch als solche wahrgenommen. Man kommt also nicht weit, wenn man sich künstlich oder verzerrt darstellt. 

Also ist dieser Spruch „Sei, wie du bist“ richtig? 
Ja. Natürlich tendieren wir alle ein bisschen dazu, uns zu überschätzen und positiv darzustellen. Das ist auch gesund. Eine gnadenlose Selbstunterschätzung wäre ein Problem. Neulich gab es einen interessanten Artikel von Kollegen: „Do the socially rich get richer?“ von Cecilia Chang et al. von der Universität Hong Kong. Sie haben sich mit der Frage beschäftigt, ob extravertierte und sozial gehemmte Personen sich in sozialen Medien unterschiedlich verhalten. Und sie haben herausgefunden, dass alle es auf ähnliche Art und Weise nutzen, nur mit unterschiedlichem Erfolg. Die Extravertierten kommen gut an, weil sie sich eben so darstellen, die Narzissten auch, zumindest auf den ersten Blick. Und diejenigen, die ein bisschen gehemmt und zurückhaltend sind, nutzen soziale Medien genauso häufig, aber sie schaffen es nicht, dasselbe Feedback zu bekommen. Hier funktioniert das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben.

Der Traumpartner oder die Traumpartnerin muss nicht der Schlüssel zum persönlichen Lebensglück sein.

Franz Neyer

Das heißt, dass sich eigentlich durch Apps gar nicht so viel an unserem Dating-Leben geändert hat? 
Die technischen Möglichkeiten haben sich geändert. Vielleicht haben wir auch heute alle die Illusion einer unbegrenzten Auswahl. Der Schein trügt aber. Früher hat man die Illusion der unbegrenzten Auswahl nicht so wahrgenommen, weil es das Swipen auf Tinder nicht gab.  

Würden Sie dann sagen, dass dadurch vielleicht die Hürde, eine verbindliche Beziehung einzugehen, größer geworden ist? Dass man eher dazu tendiert, nochmal nach jemandem Besserem zu suchen? 
Ich glaube nicht, dass sich das Bedürfnis nach engen Bindungen so verändert hat. Es ist vielleicht heute eher so, dass die Akzeptanz, Single zu sein, etwas höher ist als früher. Das sind aber keine grundlegenden Veränderungen. Die Soziologin Eva Illouz hat gut zum Ausdruck gebracht, dass der Partnermarkt wirklich ein nach ökonomischen Kriterien funktionierender Markt ist. Dafür ist nicht unbedingt das Internet verantwortlich. Es besteht aber die Illusion, man biete etwas an und bekomme etwas dafür. Durch die neuen Möglichkeiten könnte das durchaus verstärkt worden sein. Das ist jedoch eine Spekulation und lässt sich empirisch nicht verifizieren.

Vereinsamen wir durch Dating-Apps?
Nein, so einfach ist es nicht. Man sollte einfach akzeptieren, dass es da unterschiedliche Menschen gibt. Es hängt eben auch von der Persönlichkeit ab. Keinen Partner zu haben, macht nämlich kaum einen Unterschied in Bezug auf Einsamkeit oder Lebensqualität. Der Traumpartner oder die Traumpartnerin muss nicht der Schlüssel zum persönlichen Lebensglück sein, gerade nicht bei jungen Erwachsenen. Es gibt ja auch viele andere Beziehungen, die erfüllend und wichtig sind, beispielsweise Freundschaften.  

Schwierig wird es wahrscheinlich, wenn man, in Bezug auf das Beispiel Tinder, immer von Personen abgewiesen wird. Also wenn man nie zurück- geliked wird. 
Ja, das passiert natürlich und dann vielleicht auch häufiger als im wirklichen Leben, also auf der Straße. Dazu muss man wissen – das kenne ich nur aus der Forschung vom Speed-Dating –, dass reziproke Wahlen relativ selten auftreten. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Tinder eben auch so ist.

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