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Zuhören auf Augenhöhe

Niedrigschwellige und zeitnahe Angebote für Studierende mit mentaler Belastung sind rar.
Die CampusCouch möchte dagegen ansteuern.

von Elisabeth Bergmann und Johanna Heym

Couch-Campus. Illustration: Veronika Vonderlind

„Das Leben ist zu kurz, um Angst zu haben“ steht mit Edding in den Toiletten der Thulb geschrieben. Der darunterstehende Kommentar „zu wenig Therapieplätze, um keine Angst zu haben“ wird munter von einer weiteren Kritzelei aufgenommen: „Komm in der Zwischenzeit zur Campuscouch“. Was leistet die Hochschulgruppe und was tut sich im Hintergrund?

Ende 2021 erhält die Psychologiestudentin Freya eine E-Mail mit der Frage, ob sie Interesse daran hätte, die während des ersten Corona-Lockdowns eingeschlafene CampusCouch wieder zum Leben zu erwecken. Kurz darauf schließt sich eine kleine Gruppe zusammen, um das ursprünglich im Jahr 2011 entstandene Konzept zurück an den Campus der FSU zu bringen – eine Erweiterung ihrer Präsenz an der EAH ist in Planung.

Die mittlerweile 20 Mitglieder bieten die Möglichkeit an, sich in einem Gespräch unter vier Augen über die Krisen und Probleme des Lebens und Studiums zu öffnen und Entlastung zu erfahren. Die Gruppe besteht hauptsächlich aus Psychologiestudierenden im Bachelor und Master, aber auch Humanmediziner:innen und Sozialwissenschaftler:innen seien schon Teil des Teams gewesen. Freya betont, dass es sich hierbei nicht um eine professionelle Beratung handelt, sondern um „ein offenes Ohr von und für Studierende“. In vielen Fällen brauchen diese einfach jemanden, der ihnen zuhört und ihre Probleme ernst nimmt. Manchmal empfiehlt die CampusCouch aber auch ein Gespräch mit eine:r ausgebildeten Psycholog:in oder hilft, die Situation einzuschätzen. Auch bei der Suche nach Therapieplätzen können die Mitglieder des studentischen Zuhörangebots Hilfe leisten.

Paradies statt Couch

Der Anspruch der Hochschulgruppe ist es, niedrigschwellig und zeitnah zur Verfügung zu stehen. Jede Woche erhalten sie etwa 1-2 Gesprächsanfragen per Mail. Die physische CampusCouch ist zwar vorhanden, lagert allerdings bis auf weiteres im Gerümpel des Frei(t)raums – aufgrund von Raummangel muss der Großteil der Gespräche während Spaziergängen im Paradies abgehalten werden. Wo genau das Treffen stattfinden soll, dürfen die Hilfesuchenden letztendlich aber selbst entscheiden.

Neben der Motivation, einen Beitrag für die Studierenden zu leisten und Entlastung zu bieten, spielt auch eine persönliche Komponente für die Psychologiestudierenden eine Rolle. Die Möglichkeit, sich in Gesprächsführung zu üben und praktische Erfahrungen neben dem sehr theoretischen Studium zu sammeln, wird als sehr bereichernd angesehen. Mittlerweile ist das Interesse an der Mitarbeit bei der CampusCouch so hoch, dass das Team zu Organisationszwecken eine Mitgliedergrenze von ca. 20 Personen einführen musste. Einmal im Semester findet dann eine Eingliederung der neuen Mitglieder statt, bei der sie in die Strukturen der Gruppe eingeführt und in der Gesprächsführung geschult werden. Nach einem halben Jahr des Einlebens und regelmäßigen Simulationen übernehmen die neuen Mitglieder schließlich selbst Gespräche. „Durch die Pandemie sind einige Themen mehr an die Oberfläche gekommen. Zum Beispiel Isolation oder fehlende Strukturen im Studium“, berichtet Freya. Besonders das Thema der Einsamkeit habe ihrer Erfahrung nach die Gespräche in der Zeit während der Pandemie dominiert. Insgesamt umfassen die Themen, mit denen die Studierenden an die CampusCouch herantreten, eine sehr große Bandbreite: von Liebeskummer, Prüfungsangst bis hin zu Depressionen und traumatischen Erfahrungen sei alles dabei.

Der Bedarf, sich Belastungen von der Seele zu reden, sei über das gesamte Semester hinweg verteilt vorhanden. Doch häufig kämen Studierende kurz vor einer Prüfungssituation wie dem Physikum oder Staatsexamen auf das Zuhörangebot zu. Auch gegen Ende des ersten Semesters kämpfen viele Studierende mit Enttäuschungen im Studium oder dem Gefühl, nicht angekommen zu sein. Freya bedauert natürlich, dass viele Studierende Belastungen im Alltag erleben, freut sich aber auch darüber, dass das Angebot der CampusCouch so gut angenommen wird.  Zwar gibt es an der Uni auch andere psychologische Beratungsstellen, doch sind diese mitunter mit langen Wartezeiten oder anderen Hürden verbunden. Wer sich etwa an die Psychosoziale Beratung des Thüringer Studierendenwerks wendet, muss sich schon mal sechs bis acht Wochen bis zum ersten Beratungsgespräch gedulden. „Dadurch, dass die Wartezeiten so lang sind, habe ich schon den Eindruck, dass der Bedarf nach solchen Angeboten da ist“, meint Freya.

Ein ähnliches Konzept wie die CampusCouch stellt das Mental-Health-First-Aid-Team der Uni dar. Auch hier handelt es sich um ein unkompliziertes Gesprächsangebot mit geschulten Mitarbeiter:innen in verschiedenen Einrichtungen der Universität. Das deutschlandweite Netzwerk dieser Ersthelfer:innen ist jedoch im Gegensatz zur CampusCouch hauptsächlich zur Unterstützung und Beratung von Promovierenden und Postdocs im Einsatz. 

In den letzten Jahren hat auch das studentische Gesundheitsmanagement einen vermehrten Fokus auf die mentale Gesundheit der Studierenden gelegt. In Kooperation mit dem Unisport und auch der CampusCouch gibt es regelmäßig Angebote, wie den Workshop „Progressive Muskelrelaxation“ in der Thulb im letzten Wintersemester.

Ein Raum der Stille

Insgesamt fühlen sich die Mitglieder der CampusCouch gut von der Uni unterstützt. Sie erhalten Fördergeld zu Marketingzwecken und die Möglichkeit, Workshops zu Themen anzubieten, die im Psychologiestudium zu kurz kommen.

Gleichzeitig besteht der Wunsch nach mehr Räumen und einem größeren Verständnis für schwierige Lebensphasen. Konkret hofft die CampusCouch darauf, einen dauerhaften Raum zur Verfügung gestellt zu bekommen, in den auch die im Frei(t)raum verstaubende Couch ein neues Zuhause finden kann, sowie die Bereitstellung eines „Raums der Stille” für Entspannung und Meditation auf dem Campus.

“Unser Fokus ist es, Linderung zu verschaffen.”

Psychologiestudentin Freya

Darüber hinaus schlägt Freya vor, Ansprechpersonen an den einzelnen Fakultäten zu bestimmen. „Je niedrigschwelliger die Angebote und je mehr auf die Studierenden zugegangen wird, desto einfacher wird es, sich zu öffnen“.

Das größte Problem sei leider der Mangel an Therapieplätzen, was laut Freya ein sehr komplexes und auch politisches Thema sei. Doch politisch sei die CampusCouch nicht engagiert, „unser Fokus ist es, Linderung zu verschaffen“, betont sie. 

Das System beruht noch auf einem Gesetz aus den 1990er Jahren und wurde 2020 zwar neu verfasst, passt sich aber trotzdem noch nicht an die derzeitige Bedarfslage an. Bis sich das ändert, hofft Freya auf den Ausbau präventiver Angebote an Schulen und öffentlichen Einrichtungen sowie eine gesellschaftliche Minderung der Hemmschwelle, sich Hilfe auch bei Dozierenden oder Vorgesetzten zu suchen.
Freya appelliert an die Studierenden, das Gespräch mit Freund:innen, Dozierenden, Mitbewohner:innen oder auch der CampusCouch zu suchen. Sie möchte den Betroffenen die Angst nehmen, sich mitzuteilen, weil psychische Probleme nur dann angegangen werden können, wenn sie geäußert werden.

Wenn du auch Bedarf nach einem Gespräch hast oder mit der Suche nach einem Therapieplatz überfordert bist, kannst du dich jederzeit unter Campus.couch@uni-jena.de bei der CampusCouch melden.

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