Einer gegen alle

Florian Rappen ist seit 2012 Vorsitzender des FSR Wirtschaftswissenschaften. Zuletzt sorgte er mit dem Verdacht illegaler Wahlwerbung auf dem Frietival für Aufregung. Porträt eines skurrilen Studenten und Versuch, seine Ambitionen zu verstehen.

Von Tim Große


An einem lauen Morgen, der einen fast schon unangenehm heißen Junitag erwarten lässt, sitzt Florian Rappen auf einer leicht bemoosten Betonmauer an der Kunitzer Hausbrücke. Gestern Nacht habe er nicht viel Schlaf gefunden, sondern noch kurzfristig das Banner für sein neuestes Lieblingsprojekt in Auftrag gegeben: das Frietival. „Ob es ein guter Tag wird, entscheidet sich heute Abend“, sagt er und greift zum Telefon, um seinem FSR-Wiwi-Team in einer Sprachmemo einen guten Morgen zu wünschen. Heute Abend soll sich entscheiden, ob die FSR-Kom, ein Zusammenschluss aller Fachschaften, Mittel für das Frietival freigibt, ein fünftägiges Festival mit Filmen, Konzerten und Public Viewing. „Mein Event“, wie Florian allzu gern sagt, nur um direkt darauf angesprochen zu betonen, dass ein großes Team daran beteiligt ist. Nachdem etliche Telegram-Chats mit Anweisungen versorgt sind, steht ein Anruf beim Bühnenverleiher an. Acht mal drei Meter müssen es schon sein, doch noch ist der Preis zu hoch. Er schlägt vor, das Angebot zu halbieren und legt auf.

Florian Rappen an der Kunitzer Hausbrücke bei der Planung des Frietival
Foto: Tim Große


Die Verschnaufpause seiner morgendlichen Radrunde ist vorbei und er fährt auf dem Radweg entlang der Saale nach Hause. Eine halbe Stunde später kommt Florian im vierten Stock am Campus an. Sporthose und das Trikot vom Karstadt Marathon 2007 hat er gegen eine Business-Garderobe getauscht: Hilfiger-Polo, Anzughose, weiße Lacoste-Sneaker. Sein Fahrrad nimmt er mit vor das FSR-Büro: „Ich lass das doch nicht klauen.“ Drinnen sitzt bereits seine Stellvertreterin vor einem Curved-Monitor. Sie wird sich dort bis 23 Uhr kaum wegbewegen. Der Raum ähnelt einer spießigen Marketing-Agentur mit etlichen groß gewachsenen Pflanzen, auf die Florian sehr stolz ist, und Einrichtung aus dem Ikea-Katalog. Auf dem Schreibtisch liegen zwei Bücher: Posen, Posen, Posen und Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Er checkt zunächst Tagesschau und Bild.de. Spiegel Online hat er nach dem Aufstehen schon durch. Frühstück gab es keins, dafür habe er generell keine Zeit und Kaffee sei auch nicht sein Getränk.

Die Taktik

Um zehn steht die Besprechung für das Festival an. Unter der handvoll Teilnehmer verteilt Florian fleißig Anweisungen: „Ich brauche mindestens 3000 Brötchen“, „Ich brauche mindestens 8000 Liter Wasser für die Bühne“, „Ich brauche den Lageplan“, „Das ist mir scheißegal, wie du das abrechnest. Machen!“ Florian redet in bester Stromberg-Manier, nur, dass er es ernst meint. Ein nicht anwesendes FSR-Mitglied bezeichnet er als Pfeife, einem weiblichen Mitglied schlägt Florian vor, sie solle sich um die Würste kümmern, da sie sich damit gut auskenne. Niemand lacht. Er mahnt, heute noch möglichst viel zu schaffen, um ein gutes Signal für den 18-Uhr-Termin zu setzen. Da steht die entscheidende FSR-Kom-Sitzung an, die die fehlenden 7000 Euro liefern soll.
Was kommt als Nächstes? Seine Geschäftsführerin schaut in ihrer Handykalender-App nach, in der seine Termine aufgelistet sind. Um 11 Uhr ist eine Nachbesprechung der Semestereinführungstage vermerkt. „Die Damen haben extra einen ruhigen Tag für das Porträt ausgewählt“, sagt Florian. Mit „Damen” meint er das ehrenamtliche FSR-Mitglied, das sich als FSR-Geschäftsführerin bezeichnet und unbezahlt seinen Kalender auf dem Handy hat. Ohne sie könne er die ganzen Termine nicht schaffen.

Florian redet in bester Stromberg-Manier, nur, dass er es ernst meint.

Zur Mittagszeit geht es in den Sitzungssaal der Wiwi-Fakultät. Ohne Zustimmung des Gremiums wurde in der vergangenen Nacht bereits ein Werbebanner für den Campus in Auftrag gegeben, jetzt wird besprochen, mit welcher Strategie die FSRe zur Zustimmung gebracht werden können. Zwei Dinge werden als kritisch angesehen: das Hygienekonzept und AEM. AEM ist die Abkürzung für die Liste Aktiv, engagiert und motiviert, die eine Gruppe um Florian 2013 für eine Veranstaltung in Auseinandersetzung mit dem Stura ins Leben rief und seitdem bei den Gremienwahlen antritt. Die Auseinandersetzung mit anderen Gremien und Listen ist bis heute geblieben. Florians Vorschläge sind bei vielen FSR- und Stura-Mitgliedern aus Prinzip nicht sonderlich beliebt, und das ist ihm bewusst.

Einer, der polarisiert

Florian polarisiert und hat über das Stura-Umfeld hinaus eine gewisse Bekanntheit erlangt. Es gebe, wie er sagt, einen grundsätzlich negativen Ruf, der ihm vorauseile. „Das ist so, weil viele sich nicht trauen, zu sagen: Eigentlich ist der supernett und macht ganz viel.“ Mit Letzterem hat Florian durchaus recht. Seit er 2011 mit seiner damaligen Lebensabschnittsgefährtin, wie er sie bezeichnet, aus dem Ruhrgebiet nach Jena kam, engagiert er sich sowohl allgemein- als auch hochschulpolitisch. Aufgewachsen in einer Familie, in der Politik kaum Thema am Küchentisch war, und in einer Region, in der man lieber nicht in die CDU eintritt, fand er in Jena in die Jugendorganisation eben jener Partei, die Junge Union. Die ehemalige Vorsitzende des EAH-Stura, eine Freundin und Nachbarin, habe ihn damals zum Eintritt überredet. Lange Zeit habe er sich auch für die Grünen interessiert und stand auf einer Mailingliste der Partei, aber die CDU sei dann doch eher sein Ding gewesen. Er unterstützt als freier Grafikdesigner und Fotograf mit eigener Agentur den CDU-Wahlkampf, konzentriert sich aber sonst weitgehend auf die Hochschulpolitik. „Mich zieht es nicht in die große Politik, da verdient man zu wenig“, sagt Florian. Irgendwo in der vierten Reihe im Bundestag wolle er nicht sitzen.
Durch die Agentur könne er sich sein nun mittlerweile zehnjähriges Studium selbst finanzieren. Seit Beginn seines Masterstudiums in Betriebswirtschaftslehre komme er ohne Unterstützung der Eltern aus, und müsse durch seine lange Gremientätigkeit auch keine Langzeitstudiengebühren bezahlen. Bafög habe der erste von drei Söhnen eines Geschäftsführers einer Anlagenbaufirma und einer Kita-Leiterin nie erhalten. Zum Ende seines Studiums möchte er sich partout genauso wenig äußern wie zum Namen seiner Agentur. „Ich will kein Datum vorgeben, dann organisieren vielleicht manche Partys, andere Trauerfeiern.“ Mit den Klausuren sei er größtenteils durch, sein Studium nehme im Vergleich zur Gremienarbeit weniger Zeit ein. Heute wird er keine Minute des Tages seinem Studium widmen.

Der Showdown

Es ist mittlerweile kurz vor 18 Uhr, kurz vor der großen Entscheidung, von der alles abhängen wird, zumindest geht Florian jetzt noch davon aus. Die Hitze drückt durch die Panoramafenster mit Blick auf das Bachstraßenareal und den Landgrafen hinein in das im FSR-Corporate Design verzierte Büro. Gegessen hat er bis dahin ein selbst belegtes Brötchen. Das war es. Nach der Sitzung soll es aber Spaghetti geben. Zur Feier des Tages. Es wird anders kommen.
Von Anfang an läuft es nicht gut. Einzelne Vertreter der 19 Fachschaftsräte hinterfragen die Kurzfristigkeit und das Übergangenwerden bei der Veranstaltunsplanung. Florian klingelt bei seinen verbündeten FSRen und dem Stura-Vorstand durch, dass sie etwas sagen sollen. Er selbst bleibt zunächst relativ still, lässt die anderen sprechen, niemand soll auf den Gedanken kommen, dass alles auf seinem Mist gewachsen ist.

Er gestikuliert bei Redebeiträgen mit dem Bleistift in der Hand, als stehe er in einem voll besetzten Olympiastadion

Nun wird der Punkt Wahlwerbung aufgemacht, die Gremienwahlen beginnen in derselben Woche wie das Festival, auf dessen bereits gedruckten Plakaten genau eine politische Liste prangt: seine. Er plustert sich auf und schüttelt den Kopf. Obwohl keine Kamera auf ihn gerichtet ist, gestikuliert er bei seinen Redebeiträgen mit dem Bleistift in der Hand, als stehe er in einem voll besetzten Olympiastadion. Er könne doch wegen der Gremienwahlen nicht die EM-Spiele verschieben. Hastig tippt er in allen möglichen Telegram-Chats. Da ist noch ein FSR auf seiner Seite, dort werden plötzlich noch 600 Euro klargemacht. Je später der Abend, desto mehr geht es mit ihm durch. Er wird sarkastisch und leicht stinkig zu denen, die gegen seinen Plan argumentieren. Ein Mitglied, das für ihren FSR die Ablehnung bekundet, fährt er in der öffentlichen Sitzung an: „Du warst doch gar nicht auf eurer Sitzung, sondern lieber betrunken im Para.“ Nach dem Protest mehrerer Mitglieder entschuldigt er sich für die Aussage, das sei nicht redlich gewesen. Was passiere, wenn die Mittelfreigabe über 7000 Euro abgelehnt werde: „Ich würde privat auf Geldern sitzen bleiben.“ Und so wird es an diesem Abend kommen.
Um 22:30 Uhr soll der Beschlusstext abgestimmt werden, Florian pocht auf namentliche Abstimmung, ein von ihm auch in Stura-Sitzungen gern genutztes Druckmittel. Auf dem Radiergummi seines Bleistifts kauend führt er Strichliste: sechs Ja-Stimmen, acht Nein-Stimmen, fünf Enthaltungen. „Tja, das ist schade“, sagt er verhältnismäßig leise und bedrückt, als habe er gerade ein Stück Kreide verschluckt. Nudeln gibt es heute keine mehr, Florian kauft bei Fritz Mitte eine halb gefüllte Pommesbox, die eigentlich für den Müll bestimmt war. Eines ist sicher, aufgeben wird er nicht, sein Spiel beginnt erst noch.

Meister der Spielchen

Das fünftägige Festival findet trotzdem statt. Man habe Sponsoren auftreiben können und Privatgelder seien geflossen. Auch er habe etwas dazu gegeben, wie viel genau, möchte er nicht sagen. Einzelne Kritiker, von Florian als Argumentationsführer gegen das Festival ausgemacht, bekommen am Folgetag sein Spiel zu spüren. Er fordert in einer Mail Einsicht in die laufenden Finanzen und die Jahresabschlüsse der betreffenden FSRe und droht, Fehler an die Innenrevision der Universität weiterzuleiten.
Ähnlichen Methoden sieht sich das Campusradio ausgesetzt, das im Zuge der Berichterstattung über das Festival zum „unerwünschten“ Gast wird und sich von Florian persönlich in der Pressefreiheit eingeschränkt fühlt. Vorausgegangen ist eine Instagram-Story vom gleichzeitig mit dem Frietival stattfindenden Public Viewing am Institut für Sportwissenschaft, bei dem der Organisator Markus Wolf interviewt wurde. Wer schon mal einer Stura-Sitzung beiwohnte, weiß, Markus vom Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und Florian diffamieren sich gegenseitig oft auf das Schärfste. Dass nun also gerade sein Erzfeind mitten im Wahlzeitraum Sendezeit beim Campusradio bekommen hat, er aber nicht, ist für ihn eine Verletzung der Neutralität. Die Folge: Das Campusradio bekommt die Mitteilung, eine Presseakkreditierung für schon verabredete Interviews mit den auftretenden Bands erst wieder zu erhalten, wenn sie die Berichterstattung diesbezüglich anpassen. Nach Aussage des Chefredakteurs Oliver Schulz kündigt Florian an, einen Antrag zu stellen, um das Campusradio zukünftig von allen Veranstaltungen des FSR Wiwi auszuschließen und fordert Olivers Dienstnachweise an. Im Nachhinein droht er dem Radio, eine Rechnung für Getränke im dreistelligen Bereich auszustellen. Die Redaktion bestreitet, Getränke im Wert dieser hohen Summe konsumiert zuhaben. Die Taktik ähnelt dem Umgang mit den kritischen FSRen.

Florian läuft rot an, lacht gekünstelt und spricht von „linksradikalen Spinnern in der letzten Reihe”. Wieder einmal sind alle gegen ihn.

Zur Stura-Wahl wird Florian erneut ins Gremium gewählt, doch er ist nicht zufrieden, der RCDS habe zu viele Stimmen abbekommen. Auf der folgenden Sitzung gibt es einen Tagesordnungspunkt unter dem Titel „Verdacht des Verstoßes gegen die Neutralität bei Wahlen auf Frietival”. Die Wahlen seien durch Florian manipuliert worden, heißt es vor allem aus der linken Ecke. Fotos dokumentieren, dass zwischen Filmen oder Konzerten auf der Leinwand unter anderem ein Banner mit dem Spruch „AEM – Für eine Universität, in der wir gut und gerne studieren” gezeigt worde, an Gerüsten waren Banner angebracht, die für seine Liste warben. Auch wenn das Festival nur zum kleinen Teil durch Studierendengelder finanziert wurde, Florian spricht von 4000 Euro bei Gesamtkosten von 51.000 Euro, prüft der Wahlvorstand die illegale Verwendung für Wahlwerbung. Beim Vor-Ort-Termin sei diesem aber kein Verstoß aufgefallen, es sei zu vermuten, dass Plakate angebracht wurden, nachdem die Prüfung vorbei war. Florian läuft rot an, lacht gekünstelt und spricht von „linksradikalen Spinnern in der letzten Reihe”. Wieder einmal sind alle gegen ihn. Bis auf dem Stura-Vorstand, der hält sich bedeckt.

Was bleibt?

Man fragt sich oft, warum das alles? Warum müssen es immer riesige Events wie Friedrich tanzt sein, bei dem Florian den ganzen Campus zur Tanzfläche machte? Warum nicht ein entspanntes Ehrenamt, sondern ein auf seine Person zugespitzter FSR, der über die Jahre zu einem bürokratischen Apparat mit Referenten, Jour Fixe-Treffen und Geschäftsführern mutiert? Statt mal hier und da ein Treffen oder eine kleine Party zu organisieren, schläft Florian nach einem 12-Stunden-Tag nicht selten im Büro. Bettzeug, frische blaue Hemden und etliche Paar Schuhe stehen ganz selbstverständlich im Raum. „Es geht mir gut“, sagt er wiederholt. Vielleicht dreimal zu viel, um es ihm mühelos abkaufen zu können. Er habe sehr viel Spaß im Stura und den ganzen Tag tolle Leute um sich herum. Wenn er nach Hause komme, sei er froh, alleine zu wohnen und seine Ruhe zu haben.
Die Mitglieder folgen dem gebürtigen Rheinländer, geben sich seiner Art hin und haben scheinbar Freude dabei. Er posiert bei Gruppenbildern immer in der Mitte. „Ich bin ja auch immer wichtig.“ Und ja, das ist der Punkt. FSR und AEM sind auf seine Person fixiert. Aktuelle Teammitglieder arbeiten freiwillig und ehrenamtlich in seinem Apparat mit, und nehmen ihn bei kritischen Nachfragen in Schutz. Spricht man mit ehemaligen Mitgliedern, sieht es ein wenig anders aus. Wer nicht mehr Teil der Gruppe sein will, wird auch schnell mal auf Telegram blockiert. Er gehe nicht davon aus, dass alles zerbricht, sollte er sein Studium in nächster Zeit beenden: „Früher hätte ich gesagt, ich will mehr, aber heute sage ich, ich klebe an nichts, es kann auch gern jemand anderes machen.“ Über den selbst geschaffenen Förderverein wird er dem FSR erhalten bleiben, als bemerkenswerte Person alle mal, das kann ihm wirklich niemand abstreiten.

Eine Antwort auf Einer gegen alle

  • Geniale Berichterstattung! Gerne noch mehr zu dem Thema. Rappen hat sich auch bei den Wiwi Einführungstagen 21 teilweise ordentlich daneben benommen.

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