Wir müssen reden

Zwischen Sauerkraut und Kassler geht es um Flüchtlingspolitik und freie Meinungsäußerung – Wie geht man damit um, wenn die eigene Familie rassistisch ist?

von Luise Vetter

Durch die Ferne wächst die Liebe oder zumindest die rosarote Brille, durch die man sieht. Immer wieder dann, wenn das Semester vorbei ist und es zurück in die Heimat geht, wo sich die ganze Familie um Omas großen Tisch versammelt, verblasst das Rosa und was übrigbleibt, ist oft ein erschreckendes Bild. Da ist der Onkel, der die AfD wählt, die Cousine, die ausländerfeindliche Beiträge postet, und der Opa, der sich weigert, sein rassistisches Vokabular zu überdenken. Der Mord an George Floyd und die daraufhin erstarkenden #BlackLivesMatter-Proteste der BIPoC-Community und Unterstützenden hat das Thema Rassismus bis auf den heimischen Esstisch gebracht. Dabei ist das Thema hier nicht fremd, es wird nur oftmals unter den Teppich gekehrt, geschickt umgangen oder ignoriert, um Streit und Unbequemlichkeiten zu vermeiden, schließlich gehört die Familie nun mal zusammen, unabhängig der politischen Einstellungen. Aber gerade in diesem engen Kreis fängt die Aufklärung an und kann ihre stärksten Wurzeln schlagen.
Dabei geht es an erster Stelle nicht darum, die Meinung des Gegenübers in ihren Grundzügen zu ändern, sondern ihm klarzumachen, dass seine Aussagen rassistisch sind und als solche nicht akzeptiert werden. Ziel ist es natürlich, zum Nachdenken und Hinterfragen anzuregen und der Person eine neue Sichtweise zu eröffnen. Aber das ist nicht immer einfach. Gegenseitiges Unterbrechen, persönliche Angriffe und unterschiedliches Wissen erschweren die Kommunikation, machen sie jedoch nicht unmöglich. Widersprechen, Argumentieren und Diskutieren sind Quintessenz, müssen jedoch unter gewissen Leitlinien geschehen, um wirksam zu sein.

Die Macht der Sprache

Sei es ein Witz, eine abwertende Bezeichnung oder ein „heute darf man auch gar nichts mehr sagen“, ein „das war nicht so gemeint“ ist keine Entschuldigung. Rassismus definiert sich nicht durch seine Intention, sondern seine Wirkung. Manchmal steckt dahinter aber auch einfaches Unwissen, das einer Erklärung, warum das Gesagte als rassistisch aufgefasst werden kann, bedarf. Durch die Bewusstmachung, weshalb bestimmte Aussagen rassistisch sind, das Diskutieren und die bewusste Distanzierung wird der Rassismus aufgedeckt und in die Schranken gewiesen. „Früher hat man das so gesagt“ ist dabei kein Freifahrtschein, sondern unterstreicht die Macht der Sprache, Rassismus zu reproduzieren. Nur durch die Reflexion und Veränderung der eigenen Sprache können auch die ihr zugrunde liegenden Vorurteile hinterfragt werden.

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“
Zeichnung: Jasmin Nestler

Fragen, Fragen, Fragen

Noch öfter offenbart sich Rassismus jedoch in Form von Vorurteilen und Verallgemeinerungen, die teilweise gesellschaftlich tief verwurzelt und schwer zu verändern sind, jedoch angesprochen, hinterfragt und widerlegt werden müssen. Oft liegt diesen ein persönliches Problem zugrunde, dessen angenommene Kausalität es aufzulösen gilt, das aber dennoch ernst genommen werden sollte. In einem „wir gegen sie“ fehlt es den Betroffenen oft an Empathie für die Anderen, das Hineinversetzen in deren Situation, Erzählen von Einzelschicksalen und Ziehen von Parallelen kann das Verständnis erleichtern und eine neue Perspektive auf ein Thema bieten. Auch das Reden über die eigenen Privilegien kann dazu positiv beitragen. Eine weitere Möglichkeit, Vorurteile und Verallgemeinerungen aufzulösen, ist das kontinuierliche Nachfragen und Nachhaken, um so einem Problem auf den Grund zu gehen. Vor allem im familiären Rahmen bietet sich auch die Möglichkeit, mit der eigenen persönlichen Einstellung zu argumentieren, auf gemeinsame Werte und Vergangenheit einzugehen, das Thema zu personalisieren und parallelisieren oder, genau umgekehrt, aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten. Grundsätzlich sollte sich dabei respektvoll und freundlich unterhalten werden, zugehört und ausgesprochen werden. Ich-Botschaften, das Wiederholen der Aussagen des Anderen und das Anerkennen von gemeinsamen Nennern sind Mittel, um dies zu erleichtern. Dabei sollte auch der anderen Person genügend Raum geboten werden, Fragen zu stellen und diese zu beantworten oder gar gemeinsam nach einer Lösung zu suchen und zu lernen.

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