Es geht aufwärts

Vor zehn Jahren zahlten Jenaer Studierende noch etwa 140 Euro für ihren Semesterbeitrag – heute sind es 230 Euro. Woher kommt dieser Anstieg und ist er gerechtfertigt? Wir haben den Semesterbeitrag unter die Lupe genommen.

von Mathis Brinkmann und Robert Gruhne

Der Semesterbeitrag am Standort Jena (bei Rückmeldung)

Gegen Ende des Semesters geht das Grübeln los. Woher bekomme ich das Geld für den Semesterbeitrag? Noch eine Extraschicht bei tegut oder doch lieber gleich Oma fragen? Er gehört zum Studium dazu und kommt doch immer wieder überraschend. 

Der Semesterbeitrag, den wir meist nur als endgültige Summe kennen, besteht im Wesentlichen aus drei Bestandteilen: verschiedenen Semestertickets, dem Grundbeitrag für das Studierendenwerk und einem Teil für die Studierendenschaft. Und bei vielen Bestandteilen stehen Erhöhungen unmittelbar bevor, sodass Jenaer Studierende schon im Wintersemester 2020 bei der Rückmeldung um die 240 Euro zahlen müssen. 

Der Beitrag wächst vielen mittlerweile über den Kopf, aber er bietet  auch Vieles: umsonst Bahnfahren, günstiges Essen, seit Kurzem sogar kostenlose Kultur. Wir werfen einen Blick zurück und zeigen, welche Erhöhungen geplant sind. 

Mehr für die Öffis

Mit 94 Prozent Zustimmung wollen die Uni-Studierenden das Semesterticket für den Jenaer Nahverkehr behalten. Die Ernst-Abbe-Hochschule hatte im Dezember ähnlich abgestimmt. Das Ergebnis zeigt, wie wichtig ein günstiger Nahverkehr für viele ist. Marcel Julian Paul beispielsweise ist darauf angewiesen, denn er wohnt in Cospeda. „Der Bus ist immer voll”, sagt der Lehramtsstudent, der täglich hinab zur Uni pendelt.

Statt 70,60 Euro pro Semester kostet das Ticket für Busse und Straßenbahnen ab Wintersemester 2020 nun 78,50 Euro – die höchste Steigerung seit Einführung. Die Schülermonatskarte kostet im Vergleich 40,50 Euro pro Monat, ist dafür aber freiwillig.

Außerdem wird der Preis nun jährlich nach einer neuen Formel angepasst. Bisher stieg er parallel zur Schülermonatskarte. Nun wird er zusätzlich je nach Nutzung der Studierenden erhöht oder gesenkt. Die Steigerung ist auf zehn Prozent pro Jahr begrenzt. Das hatte die studentische Verhandlungsgruppe durchgesetzt. Hintergrund sind laut Jenaer Nahverkehr steigende Kosten und eine vermehrte Nutzung durch die Studierenden. Wie sich diese entwickelt hat, wollte das Unternehmen während der Abstimmung allerdings nicht mitteilen.

Im Stura hätten sich viele ein knapperes Ergebnis gewünscht. Laura Strohschneider (Ring Christlich-Demokratischer Studenten, RCDS) ist froh, dass das Ticket weitergeführt wird, sieht aber einen Nachteil: „Ein hohes Ergebnis schwächt unsere Verhandlungsposition für die nächsten Jahre.” Die Unternehmen sehen: Wir können erhöhen und die Studierenden akzeptieren es. Auf taktische Überlegungen ließen sich aber die wenigsten ein. Zu hoch war das Risiko, am Ende ohne Ticket dazustehen, wie es vor einigen Jahren in Erfurt passierte.

Der Jenaer Nahverkehr ging beim Angebot aber auch auf die Forderungen der Studierenden ein. „Wir verhandeln immer mehr Leistungen hinein”, sagt Martin Schmidt, Vorstand im EAH-Stura. Zuletzt forderten die Studierenden beispielsweise bessere Nachtverbindungen zum Beutenberg oder nach Jena-Ost.

Auch der Bus, den Marcel täglich nimmt, um von Cospeda ins Zentrum zu fahren, fährt seit einem Jahr jede halbe Stunde und nicht nur stündlich. Voll ist er trotzdem.

Mehr für die Mensen

Bereits im kommenden Semester bekommt das Studierendenwerk fünf Euro mehr vom Semesterbeitrag. Nötig ist dieser Schritt, da sich Ende des vergangenen Jahres ein Haushaltsloch von rund 700.000 Euro auftat, das wegen gestiegener Personalkosten entstanden ist. Gut die Hälfte des fehlenden Betrags deckt nun die Beitragserhöhung, ein Kompromiss, den die studentischen Vertreter im Verwaltungsrat der Organisation akzeptiert haben. Bleibt allerdings die Frage: Woher kommt die andere Hälfte?

Die Gelder des Studierendenwerks stammen aus drei Quellen. Der größte Teil kommt aus eigenen Erträgen, wie Mensen und Cafeterien. Hinzu kommen Zuschüsse vom Land und Teile des Semesterbeitrags. Um das Haushaltsloch zu stopfen, kann nur auf diese Posten zugegriffen werden.

Während steigende Löhne an der Uni automatisch vom Land getragen würden, müsse das Studierendenwerk bei Mensamitarbeiterin und Wohnheimswart auf die Studierenden zukommen und die Beiträge erhöhen. So beschreibt Dr. Ralf Schmidt-Röh, Leiter des Studierendenwerks, die Finanzierungsproblematik. Dabei habe es mit der rot-rot-grünen Landesregierung bereits eine „Dynamisierung“ der Landeszahlungen gegeben. Die gegenwärtige Lücke könne diese aber nicht füllen.

In der aktuell noch gültigen Koalitionsvereinbarung der Landesregierung steht aber auch: Nicht alle Kosten sollen eins zu eins auf die Studierenden abgewälzt werden. Diese werden bei Verhandlungen von der Konferenz Thüringer Studierendenschaften (KTS) vertreten. Deren Sprecherin Donata Vogtschmidt fordert: „Das Land soll für die Haushaltslücke aufkommen.“ Sie begrüße zwar die Lohnerhöhung, diese dürfe aber nicht auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen werden.

In früheren Jahren konnten Steigerungen durch einen Zuwachs an Studierenden aufgefangen werden. Dies funktioniert nun seit vier, fünf Jahren nicht mehr, da die Zahl der beitragszahlenden Studierenden bei knapp unter 50.000 stagniert. Die Finanzierungsfrage wird daher in Zukunft erneut auftauchen, sollte keine dauerhafte Lösung gefunden werden.

Vergangene Woche fand ein Runder Tisch mit Beteiligten aus Politik, Studierendenschaft und Studierendenwerk statt. Jetzt verhandelt das Ministerium weiter mit dem Studierendenwerk, wie der Restbetrag zustande kommen soll. Sinn und Zweck sei es aber nicht, an den Aufgaben zu kürzen, sagt Christian Schaft, hochschulpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Landtag nach dem Treffen. Bei den Studierenden werde wahrscheinlich in diesem Jahr nicht noch einmal erhöht. Spätestens im März soll eine Lösung gefunden sein.

Mehr für die Studis

Zum nächsten Wintersemester wird außerdem der Beitrag für den Studierendenrat der Uni um voraussichtlich vier Euro steigen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass der Stura, wie das Studierendenwerk, seine Angestellten seit 2018 nach Tarifvertrag bezahlen muss. Auch hier würden die Kosten wieder einfach an die Studierenden weitergegeben, meint Jessica Herrmann (Emanzipatorische Linke Liste, Elli).

Der Beitragserhöhung geht ein hoch defizitärer Haushalt voraus, den der Stura vor Weihnachten beschloss. Da die Umsetzung des Tarifvertrags sich schon seit 2018 hinzieht, plant der Stura für 2020 einmalig 80.000 Euro für Nachzahlungen ein. Ein weiteres Problem ist, dass in den letzten Jahren kaum Umsatzsteuer gezahlt wurde. RCDS-Listenmitglied Kai Hölzen spricht von „jahrelangen Versäumnissen”. Für eventuelle Nachzahlungen und einen Steuerberater sind auch hier einmalig 60.000 Euro eingeplant.

Um das zu finanzieren beriet der Stura über eine Erhöhung des seit 2008 gültigen Beitrags von sieben Euro. Der RCDS trat im Wahlkampf noch mit dem Ziel „Keine Erhöhung des Semesterbeitrags” an und wurde größte Liste. Ohne radikale Kürzung wäre das kaum möglich gewesen. Erst standen drei Euro im Raum, dann vier. Kurz vor der Abstimmung präsentierte der RCDS noch einen Gegenentwurf zum Haushalt, mit dem nur um zwei Euro erhöht werden sollte. Vor allem die Referate sollten gekürzt werden. „Wir als Stura sind der Verursacher, wir müssen zuerst sparen”, sagt Kai (RCDS). Elisabeth Zettel (Elli) warf der Liste vor, nur Posten zu kürzen, „die euch politisch nicht passen”.

Die Diskussion wurde schnell beendet und die Mehrheit beschloss eine Erhöhung um vier Euro. Der Beitrag solle danach für „einen längeren
Zeitraum” nicht erhöht werden, sagte der Haushaltsverantwortliche Sebastian Wenig dem Campusradio. Momentan prüft die Uni den Haushalt.

Der Stura der EAH hat keine Erhöhung geplant.

Wie weiter?

Jena ist eine Wissenschaftsstadt. Angebote wie die Hauptwohnsitzprämie oder das Kulturticket sollen junge Menschen anlocken. Wenn man über eine Erhöhung des Semesterbeitrags diskutiere, solle man auch immer an die Attraktivität des Studienstandortes Thüringen denken, findet Donata von der KTS. Thüringen ist im bundesdeutschen Durchschnitt günstig. Das Semesterticket ermöglicht zudem vielen, kostenlos oder günstiger nach Hause zu kommen. Für sie sei es ein wichtiger Grund gewesen, um in Thüringen zu bleiben, erzählt Leah Kanthack (RCDS).

Ralf Schmidt-Röh, Leiter des Studierendenwerks, sieht die Attraktivitätsfrage etwas anders. Er glaube nicht, dass der Semesterbeitrag eine Rolle spiele, an einen bestimmten Ort zu gehen. Vielmehr seien Abschlusschancen und Berufsaussichten bei der Wahl entscheidend. Häufig würden zudem Eltern oder Großeltern den Betrag übernehmen.

Auf jeden Fall wichtig bei der Standortwahl sind die Lebenshaltungskosten vor Ort. Darin schlägt sich der Semesterbeitrag nieder, aber auch andere Dinge wie das tägliche Mensaessen seien laut Schmidt-Röh entscheidend. Hier lässt sich feststellen: Der Semesterbeitrag ist in den letzten Jahren schneller gestiegen als das Geld der Studierenden. Im Jahr 2000 betrug er noch ein Achtel des durchschnittlichen Monatseinkommens Thüringer Studierender, 2016 hingegen ein Viertel.

Dennoch ist der Beitrag in Jena vergleichsweise günstig. Insbesondere in NRW und Niedersachsen zahlen Studierende weitaus mehr; Grund ist das teure Semesterticket. Beim Spitzenreiter Hannover werden 409 Euro fällig, in München dagegen 129 Euro. Dafür dürfen Münchner Studierende nur zu bestimmten Zeiten die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, ansonsten muss für ein optionales Semesterticket draufgezahlt werden.

Der Jenaer Semesterbeitrag enthält nicht zuletzt so viele Leistungen, weil er auf dem Solidarprinzip beruht. Bei der Berechnung wird davon ausgegangen, dass nicht alle alle Bestandteile gleich häufig nutzen. Stura-Mitglied Scania Steger (unabhängig) nutzt das Busticket zum Beispiel sehr selten: „Egoistisch gesehen könnte ich sagen: Abschaffen!” Sie sieht aber auch die langfristigen Effekte für den Wohnungsmarkt, indem das Ticket die Attraktivität für Lobeda und Winzerla erhöht.

Aber ab wann wird es zu viel? Früher gab es die magischen 200, dann die magischen 250 und jetzt nennen viele 300 Euro als Grenze, die nicht überschritten werden sollte. Falls man sich entscheidet, ein Limit zu benennen: Was folgt daraus?

Es kursieren unterschiedliche Ideen, wie man dem Aufwärtstrend begegnen kann. Neben dem Land könne auch die Stadt Jena wieder etwas zuschießen, wie sie es bis 2015 tat. Jessica (Elli) würde sich eine Politisierung der Studierendenschaft wünschen, um mehr Druck aufbauen zu können. „Man müsste so einen Vertrag einfach mal kündigen und sich überlegen, wie man Leute in Lobeda oder Winzerla trotzdem solidarisch unterstützt.” Denn auch für die Verkehrsunternehmen steht viel Geld auf dem Spiel. Die Beiträge der Studierenden garantieren schließlich Millioneneinnahmen.

Die Debatte um den Semesterbeitrag wird 2020 weitergehen. Im Frühling soll das Kulturticket evaluiert werden und zur Fortführung des Bahntickets laufen schon Gespräche. Auch die Klimaforderungen der Vollversammlung müssten über den Semesterbeitrag finanziert werden, heißt es vom Studierendenwerk.

Für den Landtagsabgeordneten Christian Schaft, der vor nicht allzu langer Zeit selbst noch studierte, ist freie Bildung für alle das Ziel: “Mein persönlicher Wunsch wäre, dass man überhaupt keinen Beitrag mehr zahlen müsste.”

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