Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine Entscheidung, die Frauen nachhaltig begleitet. In einer Gesprächsgruppe kann Austausch stattfinden.
von Undine von Lucadou

Zwischen altbekannten WG-Gesuchen, Studijobs und Fahrradverkäufen hing kürzlich noch ein anderer Zettel an den Pinnwänden: ein Aushang mit sensiblem Inhalt. Wer an die angegebene Mailadresse schrieb, dem antwortete die 21-jährige Studentin Anna (Name von der Redaktion geändert). Nachdem sie im Januar in ihrer achten Schwangerschaftswoche eine medikamentöse Abtreibung vornahm, wuchs der Wunsch nach einer Austauschgruppe mit Frauen, die ebenfalls einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben. Doch bis dahin gab es noch keine solche Möglichkeit in Jena. „Das fand ich sehr schade und dann dachte ich, das will ich selbst in die Hand nehmen“, erzählt Anna, die an der Ernst-Abbe-Hochschule Soziale Arbeit studiert. So begann sie, in der Woche vor Ostern Flyer auszuhängen.
Als Anna ungewollt schwanger wurde, war sie in einer Beziehung und ist es heute noch. Die Entscheidung, abzutreiben, habe nicht von vornherein festgestanden, sondern sei von viel Abwägen, Gesprächen und Hin- und Herschwanken geprägt gewesen. „Mein Freund hat gesagt, er nimmt die Entscheidung so an, wie ich sie fälle, und er steht hinter mir, egal wie es ausgeht. Das war sehr stärkend.“
„Es wird ja doch mein erstes potenzielles Kind bleiben.“
Das Paar ist auch von Anfang an offen mit der Entscheidung umgegangen, hat mit Familie und Freunden gesprochen. Anna war es dabei wichtig, ihrem Umfeld zu zeigen, was sie gerade belastet. Natürlich habe es dabei verschiedene Meinungen gegeben, aber der Grundtenor war unterstützend. „Es war schon ein Wirrwarr und ich weiß nicht, ob ich es jetzt nochmal genauso machen würde“, stellt sie fest. Die Entscheidung, ob man abtreibt oder nicht, sei schließlich doch eine sehr einsame Entscheidung, die man mit seinem eigenen Körper fälle, meint Anna.
Der medikamentöse Abbruch lief bei ihr nicht gut. Anna kam eine Woche danach ins Krankenhaus, wo eine Ausschabung vorgenommen wurde. Zwar sei die ärztliche Begleitung bis dahin in Ordnung gewesen, im Krankenhaus sei es aber zu einer kritischen Situation gekommen. Überraschenderweise wurde ihre Operation vorverlegt. Eine Krankenschwester erklärte, die Ärzte hätten heute noch fünf Abtreibungen und würden zeitiger Feierabend machen wollen, deswegen sei ihr Termin früher. „Das hat sich entwürdigend angefühlt“, erinnert sie sich.
Das erste Gefühl danach war Befreiung, obwohl Anna sich körperlich noch von der OP erholen musste. Wichtig war für sie aber vor allem die Trauerphase, die neben der Erleichterung kam. Sie habe ein Abschiedsritual gemacht, eine Kerze angezündet und einen Brief geschrieben. „Es wird ja doch mein erstes potentielles Kind bleiben, auch wenn es nie geboren wurde. Für mich war es heilsam, das anzuerkennen und mir selbst den Raum für Gefühle zu geben, erleichtert und zugleich traurig zu sein“, sagt Anna. Etwas später habe es auch immer wieder Momente gegeben, in denen sie die Entscheidung hinterfragt habe und die Gründe abhandengekommen seien. „Dann konnte ich mir aber immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass es die Situation war und es gute Gründe dafür gab. Denn ich glaube, es gibt da kein Richtig oder Falsch bei der Entscheidung.“ Die genauen Gründe wollte sie dabei für sich behalten.
Nach dem Schwangerschaftsabbruch ist auch der Wunsch entstanden, mit Frauen darüber zu sprechen, die Ähnliches erlebt haben. Denn das sei für sie noch etwas anderes als ein Gespräch mit Freunden. Auch gesellschaftlich gesehen wünscht Anna sich einen offeneren Umgang mit dem Thema: „Abtreibung gilt immer noch als strafbar, das kann ein schlechtes Gewissen und ein noch schlechteres Bild auf die Entscheidung verursachen.“
Gemeldet haben sich auf den Aushang bisher fünf Studentinnen, sodass bereits ein erstes Treffen stattfinden konnte. „Wir waren zu dritt, es war sehr gemütlich! Wir saßen in ungezwungener Atmosphäre auf dem Boden, haben Tee getrunken und uns ausgetauscht“, erzählt Anna. Zuerst habe jede Frau ihre persönliche Geschichte erzählt, dann kam das Thema Trigger auf, die bei allen Frauen sehr ähnlich waren. Ein Trigger, der Erinnerungen auslöst, sei zum Beispiel, wenn man junge Mütter mit Kind sehe. „Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch blutet man viel, das hat mich am Anfang bei meiner Periode immer sehr daran erinnert“, berichtet Anna von ihren eigenen Erfahrungen. Wie genau die Gesprächsgruppe aussehen würde, hatte sie vorher nicht sagen können: „Ich dachte, dass vielleicht auch Frauen kommen, die einen One-Night-Stand hatten und ungewollt schwanger geworden sind. Aber tatsächlich waren wir alle drei in einer Beziehung.“
Vorerst haben die Frauen jedenfalls beschlossen, sich einmal im Monat zu treffen, da das Erlebte noch für keine von ihnen abgeschlossen sei. Dafür soll die Gesprächsgruppe weitläufiger gemacht und auch ältere sowie nichtstudentische Frauen erreicht werden, die eine Abtreibung hinter sich haben und das Gespräch suchen. „Da tut es gut, mit Frauen darüber zu sprechen, die das auch erfahren haben“, betont Anna.