Vom Wohnzimmer ins Parlament

Die Erfurter Partei Demokratie Direkt wurde erst vor ein paar Monaten gegründet und tritt jetzt schon bei der Europawahl an.

Von Mathis Brinkmann und Daniel Neumann

Zum Gespräch im Parteiwohnzimmer | Foto: Julian Hoffmann

Chris Rombeck führt uns durch die Parteizentrale, die momentan noch in der WG im Erfurter Zentrum liegt. Das Parteibüro ist im Zimmer des ehemaligen Mitbewohners, der inzwischen ausgezogen ist. Es ist nur mit einem Schreibtisch und einem Laptop ausgestattet. In einer Ecke zeigt Chris uns den Stapel mit den Unterschriften, die sie sammeln mussten, um zur Europawahl zugelassen zu werden. Über 4.000 Menschen haben sie überzeugen können, sich einzutragen, einige hundert davon auch in Jena. „Das ist Rekord“, meint Chris. Keine andere Partei habe bislang in so kurzer Zeit nach der Gründung die Zulassung zu einer bundesdeutschen Wahl bekommen.
Chris schreibt eigentlich gerade seine Doktorarbeit an der Uni in Erfurt zum Thema In-vitro-Fleisch, also im Reagenzglas gezüchtete Fleisch-Zellen. Dieses Vorhaben ruht erstmal, da er vor Kurzem mit ein paar Freunden die Partei Demokratie Direkt gegründet hat und nun zur Europawahl im Mai antritt. Bewegt dazu hat sie die Vorstellung, dass das Idealbild einer Demokratie noch nicht erreicht sei. „Lobbygruppen beeinflussen Abgeordnete, die Menschen aber nicht.“ Zusammen haben sie daher ein Konzept entwickelt, das sich laut eigener Aussage „fundamental von anderen Parteien unterscheidet“.
Demokratie Direkt hat sich im Dezember vergangenen Jahres aus einer Gruppe Studierender gegründet und setzt sich für mehr direkte Demokratie ein. In einem Online-Forum soll abgestimmt werden, wie sich die Abgeordneten der Partei bei Abstimmungen im Parlament verhalten sollen. Die Plattform gibt es bereits, sie heißt Democracy und kann als App heruntergeladen werden. Um auch an Abstimmungen teilnehmen zu können, muss man sich mittels eines Identifikationsverfahren anmelden. Dadurch soll Missbrauch verhindert werden. Eine weitere Besonderheit an Democracy ist die niedrige Altersschwelle. Bereits ab zwölf Jahren können sich Menschen dort anmelden und abstimmen. Auch der jüngeren Bevölkerung solle so die Möglichkeit zu politischer Teilnahme ermöglicht werden, erzählt Chris.

„Wir glauben, die Bevölkerung ist nicht zu dumm.“


Eine Partei, die ab einem Abgeordneten bereits direkte Demokratie ermöglicht – diese Idee hatte Chris schon länger. Erst im vergangenen Jahr habe er dann in der Uni von seiner Idee erzählt und konnte einige Mitstreiter gewinnen. Noch sind die meisten der aktiven Mitglieder Studierende, doch es erreichen immer mehr Mitgliedsanfragen von außerhalb die Partei. Weitere Landesverbände sollen nun gegründet werden. Die Kandidatur für die Thüringer Landtagswahlen im Oktober steht auch schon fest.
Wir sitzen am Tisch im Wohnzimmer der WG. In der Ecke steht eines der Wahlplakate, die sie selbst entworfen und finanziert haben. Darauf der Slogan: „Wähle dich selbst!“. Chris erzählt, dass das auch der Grund sei, warum die Partei selber keine Inhalte durchsetzen könne. Wenn die Wählerinnen und Wähler über Gesetze entscheiden, könne man die Partei gar nicht in einem Links-Rechts-Spektrum einordnen. Dieses Konzept hat ihnen in letzter Zeit einige Aufmerksamkeit eingebracht. Seit Ausstrahlung ihres Wahlwerbespots hätten sich die Aufrufe der Website verzwanzigfacht. Dabei sei das Ziel eigentlich nur die Zulassung zur Wahl gewesen, erklärt er. „Alles, was jetzt passiert, ist Bonus.“
Auf die Frage nach Kritik am Prinzip der Volksabstimmung reagiert Chris etwas ausweichend. Die Bevölkerung müsse vorher wissen, welche Konsequenzen ihre Entscheidung habe. Das sei auch der Fehler der Brexit-Abstimmung gewesen. Und auch eine schlecht informierte Bevölkerung sehe er nicht als das wahre Problem an: „Abgeordnete können schließlich auch schlecht informiert sein“.
Am 26. Mai findet die Europawahl statt. Dann wird sich zeigen, ob sie genug Menschen von ihrem Konzept überzeugen konnten und den Sprung vom WG-Wohnzimmer ins Parlament schaffen.

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