Wie frühromantisch!

Interview und Foto: Tim Große

„Jena 1800“ – klingt wie lähmende Geschichtslektüre eines seniorengeführten Heimatvereins, ist aber mehr als die Chronik eines Jahres. Ein Gespräch mit dem Jenaer Autor, Philosophen und Dozenten Peter Neumann über Randale, Intellektuelle und Studierende in einer Stadt an der Saale.

Ihr Buch wurde in der ZEIT rezensiert, im Deutschlandfunk besprochen und im ZDF vorgestellt. Warum gab es dieses Medienecho, was es bei einem Buch mit dem Namen „Chemnitz 1800“ vielleicht nicht gegeben hätte?

Jena um 1800 ist mit der Epoche der klassischen deutschen Philosophie und der Frühromantik verbunden und es geht um Protagonisten, die von überregionalem Interesse sind. Ich kann nicht auf Anhieb sagen, wer in Chemnitz zu dieser Zeit gewirkt hat. Für Jena kann man das dagegen sehr gut sagen, nämlich die Gebrüder Schlegel mit ihren Frauen, Schelling, Novalis, Fichte, Schiller, Goethe – also sozusagen, das ganze Tableau der kulturell-geistigen Elite dieser Zeit. Anscheinend ist das Thema auf fruchtbaren Boden gefallen und deshalb gab es viele Medienanfragen. Lediglich die lokale Presse hat sich bisher zurückgehalten.

Ein Teil der Philosophen wohnte zusammen in einer Art Wohngemeinschaft in der Leutragasse 5. Die Straße ergibt bei Maps keine Treffer. Wo befand sich die WG genau?

Der Pin des WG-Hauses ist quasi dort, wo heute der große Turm [gemeint ist der Penis jenensis, Anmerkung d. Red.] steht. Das Gebiet um die Leutragasse ist im 2. Weltkrieg zerstört worden.

Schiller blieb zehn Jahre, Fichte fünf, Friedrich und Dorothea Schlegel zwei Jahre in Jena. Warum behielt Jena nicht über 1800 hinweg diese intellektuelle Strahlkraft?

WGs sind immer WGs auf Zeit. Es gab sachliche Differenzen in den philosophischen Verständnissen, es gab persönliche Differenzen und dann natürlich die napoleonischen Kriege, die 1806 in Jena-Auerstedt ihren Höhepunkt fanden.

Sie lehren Philosophie an der FSU. Vermissen Sie manchmal die Achtung und Anziehungskraft, die ein Schiller hatte? Mit überfüllten Vorlesungssälen und Studierenden, die aufgrund von Professoren kommen und nicht wegen des NC und des Rufs.

Nein, ich bin da überhaupt nicht vergangenheitsselig. Natürlich ist es toll, wenn man volle Seminare hat. Aber das ist ja alles kein Automatismus. Gewisse Menschen haben eine gewisse Anziehung dadurch, dass sie starke Thesen haben. Und heute müssen wir uns fragen, was wir selbst verändern können, um akademische Lehre attraktiv zu machen. Dann kommen schon die Leute, auf die man es auch abgesehen hat.

Hat es auch damit zu tun, dass man heute die Vorlesungsfolien einfach online erarbeiten kann? Dass jemand, der das noch einmal vorliest, also gar nicht mehr von großer Bedeutung ist.

Na gut, dann soll er es eben lassen. Niemand wird gezwungen, Folien zu machen, und erst recht nicht, sie online zu stellen. Ich stelle in meinen Seminaren keine Materialien online, die kann man sich aber im Copyshop besorgen. Mir ist wichtig, dass Studierende die Materialität von Text begreifen, der gedruckt ist und eine bestimmte Machart hat. Ich würde vorschlagen: Hört auf mit den PowerPoint-Präsentationen!

Wie können wir uns die Studierenden um 1800 vorstellen? Reiche Schnösel oder auch einfache Leute?

Oftmals hatte jemand, der aus einem Pastorenhaushalt oder einer Anwaltsfamilie kam, größere Chancen zu studieren. Spannend in Jena war, dass es viele internationale Studierende hierhergezogen hat. Man hat sich viel mit der Gegenwart beschäftigt, was im Schwanken ist, was schiefläuft, was besser werden könnte. Man kann sagen: Die Zeit stand auf der Probe. Es galt das Ethos „Wir sind Studenten und niemand soll unsere studentische Freiheit einschränken“.

Wenn die Studenten unzufrieden waren, wurden die Fenster der Professoren eingeworfen?

Ja, um den Professoren einen Schrecken einzujagen. Das gibt es glücklicherweise heute nicht mehr. Die berühmteste Geschichte ist die um Fichte, der sich mit einem Studentenorden beharkte und soweit bedroht wurde, dass er sich nur noch mit Pistole auf die Straße traute.

Wo ist der Bezug des Buches zum Hier und Jetzt?

Auch jetzt wird beziehungsweise muss vieles wieder hinterfragt werden und wir stehen vor der Aufgabe uns in diesen unübersichtlichen Zeiten zurechtzufinden. Wo sich die Frage stellt: Kann und sollte ein Dialog aufrechterhalten werden? Es gibt einen Riss durch die Gesellschaft und darauf müssen Antworten gefunden werden. Das kann das gemeinsame Philosophieren, das Symphilosophieren sein. Es gibt zum Beispiel auch das Symfaulenzen und das Symexistieren. Die Frage ist: Wie behält man einen gemeinsamen Raum.

Thüringen, das assoziieren viele eher mit Würsten und Klößen, als mit einem intellektuellen Schmelztiegel. Wie kann man das ändern?

Ich bin ein großer Fan von Bratwürsten und Klößen, daran gibt es eigentlich gar nichts zu ändern. Aber es geht ja nicht darum, die Leute überall als Statue auf einen Sockel zu stellen und zu sagen: Damals war alles besser. War es mit Sicherheit nicht. Wir müssen selbst kulturell tätig werden. Da passiert, ehrlich gesagt, in Thüringen relativ viel. Da muss man, glaube ich, einfach mit offenen Augen durch die Welt gehen. Was uns weiterbringt: Selbermachen.

Sie selbst sind wie Schiller Dichter, Philosoph und Dozent. Wird man irgendwann Ihre Gedichte in der Schule lesen können?

Das kann ich nicht entscheiden. Das werden hoffentlich andere Menschen tun. Gedichte können natürlich auf unterschiedliche Arten Bestand haben: in Form eines gut angelegten Archivs, dadurch dass es Initiativen oder Freundeskreise gibt und es kann natürlich auch das Schulbuch sein, also der typische Schülerschreck, von dem man sagt: Oh mein Gott, jetzt müssen wir schon wieder ein Gedicht von Neumann interpretieren.

Am Freitag, 16.11., liest Peter Neumann innerhalb des Jenaer Lesemarathons aus seinem neuen Buch.
Der Eintritt in der Villa Rosenthal beträgt für Studierende sechs Euro.

Schreibe einen Kommentar

*