Danke, dass Sie mir zuhören

Text: Ariane Vosseler | Zeichnung: Martin Emberger

Nicht nur online wird Hate Speech zu einem zunehmend größeren Problem. Sich aktiv dagegen einzusetzen ist nötig und funktioniert in vielen Formen, zum Beispiel mit einem Hate Slam.

„TOD DER NATIV-DEUTSCHEN-MANNFRAUKIND-NAZIZELLE“ lautet die Aufschrift eines Bildes, dass Astrid Rothe-Beinlich von einem Hater zugeschickt bekam. Sie ist Landtagsabgeordnete der Grünen in Thüringen und auch das Bild ist im Stil eines Plakats der Grünen gehalten. Darauf zu sehen ist das rechtsextreme Zeichen der Schwarzen Sonne anstelle der Sonnenblume der Grünen. Außerdem wird eine stereotypische Familie mit einem Fadenkreuz ins Visier genommen. Es soll wohl eine überspitzte Darstellung der Politik der Grünen sein. Rothe-Beinlich postet das Bild auf Twitter. Dafür wird sie von vielen Usern stark kritisiert, sogar missverstanden. Es wird sogar gefragt, ob dieses Bild als Selbstkritik gemeint sei. Andere User glauben hingegen, dass es sich dabei um ein tatsächliches Wahlplakat handelt. Sie fordern deshalb eine Beobachtung der Grünen durch den Verfassungsschutz.

Aufmerksamkeit und gute Stimmung

Aber solche Reaktionen sind nicht selten und Hate Speech, also Hasskommentare oder -nachrichten, die meist über das Internet übermittelt werden, nehmen allgemein zu. Passenderweise veröffentlichteRothe-Beinlich das beschriebene Bild als Vorankündigung für einen Hate Slam, welcher als Versuch gedacht war, genau solchen Kommentaren entgegenzuwirken. Dazu wurden neben ihr, die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling sowie Ricarda Lang, die Bundessprechern der Gründen Jugend, am 5. November nach Jena eingeladen. An diesem Abend trugen sie eine Auswahl der schlimmsten, lustigsten, ausführlichsten oder kreativsten Hassnachrichten vor, die sie je erhalten haben. Sie berichteten darüber, wie und ob sie diese als Einschränkungen ihrer Privatsphäre im Alltag empfunden haben. Auch Allgemeines zum Thema Hate Speech kam zur Sprache. Das Ziel war, Aufmerksamkeit zu schaffen und zu sensibilisieren. Bei einem Hate Slam wird auch versucht, die Kommentare ins Lächerliche zu ziehen und ihre Sinnlosigkeit aufzudecken, um mit der darin enthaltenen Wut umzugehen und für gute Stimmung zu sorgen. Henfling erzählte zum Beispiel von Mathias, der ihr immer wieder DINA4 füllende SMS schickt. Darin äußert er sich ziemlich wirr und unfreundlich zu den verschiedensten Themen und bringt weniger hilfreiche Tipps, wie die wirtschaftliche Lage eines Staats durch die Unterstützung der Reichen verbessert werden könnte. Seine SMS beendet er immer höflich mit dem Satz: „Danke, dass Sie mir zuhören“. Da fällt es nicht schwer, solche Nachrichten nicht ganz ernst zu nehmen. Die meisten verbindet ein starker Hang zur Absurdität zum Teil, auch die Bezugnahme auf verschiedene Verschwörungstheorien. Grammatikalische Fehler und inhaltliche Ungereimtheiten kommen immer wieder vor.

Als Mutter zur Zielscheibe

Die Zunahme an Hate Speech in den letzten Jahren wird gerne durch die sogenannte allgemeine Verrohung der Umgangsformen begründet. Für Rothe-Beinlich und Lang steht das in einem größeren Zusammenhang: Sie halten eine Partei wie die AfD für einen Katalysator des Hasses in den Medien und auch im Bundestag. Durch den dadurch veränderten Ton im öffentlichen Leben erfuhren auch Hater eine Bestätigung ihres Handelns.
Es ist noch nicht im Detail erklärbar, woher Hate Speech kommt und worin dabei genau das Problem liegt. Sicher ist, die Hassnachrichten richten sich in vielen Fällen gegen Menschen, die benachteiligten Bevölkerungsgruppen angehören, vor allem gegen Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft, Muslime oder Frauen. Es reicht aber schon, sich für Menschen dieser Gruppen einzusetzen, um zur Zielscheibe zu werden.
Hate Speech kann große Auswirkungen auf das gesamte Leben eines Betroffenen haben. Gerade die psychische Belastung ist enorm. Doch wovon Henfling beim Hate Slam berichtet, bringt Hoffnung: Als sie ihr Baby eines Tages mit in den Thüringer Landtag brachte, damit sie an einer Abstimmung teilnehmen konnte, erwartete sie einen Shitstorm und erhielt ihn auch. „Da haben mir alte Männer erzählt, was alles gut für mein Kind sei“,  sagte sie. Jedoch erreichten Henfling zum sogenannten Babygate-Eklat mehr unterstützende als negative Nachrichten aus verschiedenen Richtungen.

Häufig wurde im Laufe des Abends diskutiert, inwiefern die Anonymität des Internets für viele die Hemmschwelle senkt, sich so zu äußern. Der Hass beschränke sich nicht auf das Internet. Per Post versendete Briefe mit Hassnachrichten hätten in den letzten Jahren ebenfalls zugenommen. Manche unterzeichneten sogar mit vollem Namen und Anschrift. Rothe-Beinlich erzählte von einer Demonstration unter dem Motto „Erfurt zeigt Gesicht“ mit rechtsgerichteten Teilnehmern in Vermummung, die einen Moscheebau in Marbach verhindern wollten. Die Demonstration war auch gegen sie persönlich gerichtet und fand zum Teil direkt vor ihrer Haustür statt. Die Politikerin hatte sich im Vorfeld positiv zu dem geplanten Moscheebau geäußert.

Etwas tun gegen Hass

Vor ein paar Jahren startete der Europarat eine Kampagne, die häufiger verlängert wurde als jede andere zuvor: das „No Hate Speech Movement“. Die Kampagne hat jeweils nationale Komitees mit verschiedenen Schwerpunkten. Ihre Mitarbeiter sind der richtige Ansprechpartner beim Umgang mit Hate Speech, gerade wenn es um rechtliche Probleme geht. Denn Hate Speech ist im deutschen Rechtssystem kein fester Begriff. Es gibt aber verschiedene andere Wege, zu einer erfolgreichen Klage zu kommen, etwa über Gesetze zu Verleumdung, Beleidigung oder Volksverhetzung. Viele Verfahren wurden eingestellt. Immer wieder werden jedoch polizeiliche Razzien als Reaktion auf Hassnachrichten, so auch in Jena.
Erfreulicherweise scheint das Problem der Hate Speech auch in der Öffentlichkeit mehr und mehr wahrgenommen zu werden. Viel häufiger sind Internetbenutzer bereit, sich aktiv für andere gegen Hass einzusetzen wie die Gruppe von #ichbinhier auf Facebook mit Tausenden von Mitgliedern. Verschiedene Veranstaltungen neben Hate Slams finden auch in Jena statt, zum Beispiel „Tanzen gegen den Hass“, was nächsten Frühling wieder vom „No Hate Speech Movement“ veranstaltet wird, oder Workshops zu Hate Speech vom Bündnis gegen Rechts Jena.

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