Der Jenaer Kurzfilm-Verein Cellu’lart lädt zum Pornofilmgucken. Man möchte an Geschlechterrollen rütteln und das Interesse an alternativen Erotikfilmen wecken. Erfüllt das gemeinschaftliche Pornoschauen seinen Zweck?
von Lukas Wesenberg
„No judgement here!“ spricht eine Stimme aus dem Off. Ein Familienvater ist soeben mitten in eine Orgie reingeplatzt. Überall um ihn herum sind Menschen, die sich als Hunde verkleidet haben und es miteinander treiben. Der Mann in dem Cartoon trägt ebenfalls eine Hundemaske und starrt gebannt dem Geschehen zu. Eine Szene so verwirrend und aufreibend wie die darauffolgenden zwei Stunden. Manche würden sagen verstörend. Vielleicht besser: Provozierend.
Als der Vorverkauf für die Veranstaltung Es kommt nicht auf die Länge an startete, waren nach zehn Minuten bereits sämtliche Eintrittskarten verkauft. Um sich zum gemeinschaftlichen Pornogucken zu treffen, schienen sich die wenigsten Jenaer zu fein zu sein. Jeder ging mit unterschiedlichen Erwartungen in den versprochenen Pornokurzfilmabend hinein. Die einen kamen mit einer 10er-Packung Taschentücher, die anderen mit reichlich Neugier. Als es endlich mit der Vorführung losgeht, klären die Veranstalter auf. Es sollten keine Mainstream-Pornofilme gezeigt werden, sondern alternative Porno und Erotikfilme, die einen gewissen politischen und gesellschaftlichen Anspruch haben. Man stellte klar, die Absicht der Veranstaltung sei nicht die Zuschauer „horny“ zu machen, sondern der künstlerische, ästhetische Aspekt verbunden mit einer politischen Aussagekraft stehe im Fokus der folgenden Filmchen.
Angesichts der Tatsache, dass es Mainstream Pornos heutzutage millionenfach kostenlos im Internet gibt, könnte man meinen, die Menschen werden immer aufgeklärter was Sexualität angeht. Eine Ansicht über die sich streiten lässt. Pornos bestimmen wie wir über Sex denken und vermitteln oftmals einen sehr einseitigen, konservativen Blickwinkel auf die Geschlechterrollen. Online haben sie sehr leicht ihren Weg in die Gesellschaft gefunden und beanspruchen auch einen festen Platz im Alltag. In einer Umfrage gaben 20 Prozent der Männer sowie 13 Prozent der Frauen an sogar im Büro Pornos zu schauen. Tatsächlich entfallen 12,5 Prozent des gesamten Internet-Traffics in Deutschland auf Sex-Seiten. So ist die Pornolandschaft heutzutage so ausdifferenziert und professionalisiert wie nie.
Wenn man die Nischen kennt, ist für jeden Geschmack etwas zu finden. Sämtliche sexuelle Neigungen und Fetische werden bedient. Die Akzeptanz und das Verständnis Menschen gegenüber, die eine von der Norm abweichende sexuelle Orientierung haben, werden aber nach wie vor in weiten Teilen der Gesellschaft als verdorben oder pervers abgestempelt. Schwule, Bisexuelle, Transgender: sie alle haben einen schweren Stand, auch in Zeiten von Youporn, Brazzers und Co. In einem Forschungsbericht der Bundesregierung stimmten ganze 46 Prozent der Befragten dem folgenden Satz zu: „Wenn zwei Homosexuelle sich in aller Öffentlichkeit küssen, fühle ich mich provoziert“. Aussagen á la „Ich bin ja tolerant, aber diese Perversionen sollen sie in ihren eigenen vier Wänden ausleben und vor allem unsere Kinder nicht damit vergiften“, hört man leider nicht nur am Mittwochsabend-Stammtisch. „Solange die’s untereinander tun, sollen sie machen, was sie wollen, aber nicht in der Öffentlichkeit!“ Gleichberechtigung sieht anders aus.
Ist die gnadenlose Konfrontation mit Erotikfilmen, die ein halbes Dutzend Männer in Anzug dabei zeigen wie sie sich auf der Toilette selbst befriedigen, aber die richtige Methode, um an dem Gesellschaftsbild von LGBT-Gruppen zu rütteln? Man könnte einwenden, dass solche Filme eher zu einer rückwärtsgewandten Einstellung führen, aber der Ansatz ist der richtige. An Konfrontation führt kein Weg vorbei. Genau hier knüpft der Filmabend an. Es geht nicht um Inszenierung, sondern um Echtheit und Natürlichkeit. Das mag manchem beim Anblick zweier Transgender widersprüchlich vorkommen, es spiegelt aber genau das wider. Es ist die ungeschönte Darstellung der Hingabe zum individuellen Verlangen, zu dem durch solche Pornofilme Kontakt hergestellt wird. Sie lassen erst die Natürlichkeit einer gefühlt noch so unkonventionellen sexuellen Neigung erkennbar werden. Und wenn sich eine ältere Dame, wie in einem der Filme, gerne im Fahrstuhl ein Klaps mit der Haarbürste verpassen lassen will, dann macht sie das eben.
So wird zum Normalisieren des Zusammenlebens mit Menschen unterschiedlicher sexueller Ausrichtung beigetragen. Anders als durch das Aufeinandertreffen von verschiedenen Orientierungen kann kein Verständnis und keine Akzeptanz zwischeneinander gefördert werden. Auch wenn ein paar über den Abend hinweg vielleicht mehrmals die Miene leicht verziehen mussten, so wandten sie doch stets wieder ihren Blick gespannt gen Bildschirm. So eine Art von Pornofilmen sieht man sich ja nicht täglich an. Aber im Sinne der Normalisierung müssen eben erstmal persönliche Normen gebrochen werden.