Stimmen aus dem frischen Grab

Theater Zink spielt Sarah Kanes “4:48 Psychose”

Ein Stück, das laue Sommerabende gefrieren lässt. Jenas älteste freie Theatergruppe versucht sich am letzten Stück der englischen Dramatikerin Sarah Kane. Es wurde 2000, erst nach dem Freitod der Autorin, uraufgeführt. Benannt ist es nach der Uhrzeit, zu der ihre Depression sie regelmäßig aus dem Schlaf riss und in den Wahnsinn warf. Es gibt weder handelnde Personen noch eine Handlung, dafür innere Monologe, fragmentarische Dialoge, unkommentierte Zahlen- und Wortreihen. All das kreist um die Erfahrung von Scham, Selbstmordgedanken und Therapieversuchen.

Theater Zink stellt dazu fünf junge SchauspielerInnen auf die Bühne, klar getrennt in zwei TherapeutInnen (ganz klassisch ― in weißen Kitteln) und drei Verkörperungen von Personenfragmenten in schwarzer, grüner und roter Kleidung. Die Zerrissenheit des Ichs wird personal direkt widergespiegelt. Die TherapeutInnen tragen Klemmbrett und Diktiergerät, die schwarze Person klammert sich an ein kleines Kissen, in die Rückwand der Bühne ist ein Fernseher eingelassen, der Uhrzeiten kurz vor 4:48 Uhr zeigt. Mehr Requisiten gibt es nicht, die Bühne ist schwarz, selbst die farbige Kleidung werden die Personen im Laufe des Stücks ablegen, das Kissen wird am Ende zerrissen.

“Verachten Sie jeden, der unglücklich ist, oder nur mich?”

Die Szenen, wenn man sie so nennen mag, sind entweder Therapiesituationen oder wankende Selbstbeobachtungen. Sie werden durch verschiedene Arten der Beleuchtung getrennt, teilweise spielt das Stück auch in vollkommener Dunkelheit. Kanes Theater setzt auf verdichtete Sprache, auf eine monströs verstörende Bilderwelt, insofern ist es nur folgerichtig, sich auf die Kraft des reinen Textes zu verlassen. Die stärksten Szenen sind daher auch jene, in denen die TherapeutInnen fehlen und die verbliebenen drei SchauspielerInnen gemeinsam, im wortwörtlichen wie übertragenen Sinne, mit einer Stimme sprechen. Oft liegen oder hocken sie dafür auf der Bühne, der Aufbau des ZuschauerInnenraumes lässt sie dabei leider zu oft aus dem Blickfeld verschwinden. Wobei selbst die dann erzwungenermaßen zum Hörspiel gewordenen Szene die Kernfrage des Stücks transportiert: Können wir unseren Verstand verlieren oder ist bereits dieses Bild falsch, weil wir nie einen besessen haben? In der Aufführung wird dies natürlich konsequent in der Ich-Form verhandelt.

“Euer Unglaube wird gar nichts heilen”

Es ist ein modernes Stück, das keine Wahrheiten, keine Sicherheiten und erst recht keine Gewissheiten präsentiert. Alles denkt die eigene Verneinung sofort mit ― schön plastisch dargestellt indem Personen öfter Rücken an Rücken gehakt auftreten, natürlich gleichzeitig sprechend. “Ein Lebenswunsch, für den es sich zu sterben lohnt.”

Aus der Fixiertheit auf den Text geht jedoch auch die größte Schwäche der Inszenierung einher: Die LaiendarstellerInnen sind ihm mitunter nicht gewachsen. Etwas mehr Klarheit in Aussprache und Intonation wäre wünschenswert gewesen, stehen doch die einmal präsentierten Sätze gut genug für sich allein. Begrüßenswert ist jedoch, dass nicht der Versuchung erlegen wurde, das Publikum mit längeren Teilen des Stücks nieder zu brüllen. Gerade hier, wo es um das Essenzielle geht, um Tod, Verlust und Schmerz, war es gut, die vollkommene Eskalation zu meiden.

Fazit: Kein leichtes, kein nettes und bestimmt kein harmloses Stück. Gerade deswegen sehenswert. Solide und mit nachvollziehbarer Rollenverteilung inszeniert. Was bleibt, sind Sätze wie “Alles, was ich weiß, ist Schnee” und das Erstaunen darüber, dass es in einer Welt Sommer sein kann, auf der Menschen so sehr an sich und ihrer Umfeld leiden.

Dirk Hertrampf

Wer sich das Stück “4:48 Psychose” ansehen möchte, hat dazu noch am 06. und 07. Juni Gelegenheit. Vorstellungsbeginn ist jeweils um 20 Uhr im Haus auf der Mauer (Johannisplatz 26). Vorher sollte man ein Stück Kuchen essen. Gibt es glücklicherweise ebenfalls direkt vor Ort.

 

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