Monströse Langeweile

„Frankenstein“ eröffnet die Kulturarena mit einem Gähnen

Von Anna Zimmermann

Frankenstein in der Kulturarena

Yves Wüthrich (Das Monster) rekelt sich vor der Kamera.
Foto: Joachim Dette

Eine Frau in violettem Glitzerkostüm und greller Schminke stolziert auf höchsthackigen Schnürschuhen durch die Bankreihen des Freilufttheaters. Der erste Gedanke beim Betreten des Theatervorplatzes: „Wenn in Jena schon mal was los ist, schmeißen sich die Damen der Stadt aber so richtig in Schale!“ Und sie ist nicht die einzige. Als allerdings der erste Clown auftaucht, platzt endlich der Knoten. Regisseur Moritz Schönecker hat den diesjährigen Sommerspektakel zur Eröffnung der Kulturarena zu einer Zirkusvorstellung werden lassen.

„Frankenstein“ soll es geben, zusammen mit wehmütigen Clowns, merkwürdigen Gestalten, aufreizend angezogenen Kindern und Striptease-Tänzerinnen, in einem Theater der Obszönitäten, tragischen Figuren und hoffnungslosen Zustände. Um die Zerrissenheit zwischen menschlichem Amüsierverlangen und abgründiger Verderbtheit darzustellen, lehnt der Regisseur seine Inszenierung an eine fahrende Show der amerikanischen Zwanziger Jahre an. Frankensteins Geschöpf als Monstrosität und Kuriosum. Passend beginnt die Vorstellung mit einer Beerdigung: Frau Frankenstein senior ist gestorben und die ganze Familie ist versammelt. Im Anschluss wird der Sohn Viktor Frankenstein zum Studium nach Ingolstadt geschickt, wo er das Monster erschafft, was ihn sein Leben lang bitter reuen wird.Bis zu diesem Punkt in der Geschichte geht es sehr schnell. Die Handlung wird flott vorangetrieben und schon sieht man dem hässlichen, an einen Embryo erinnernden, blutverschmierten Monster in die Augen. Die steifen Bewegungen des Schauspielers wirken mitleiderregend – eigentlich nur, weil das Theaterhaus, wie eigentlich immer, wenig Glück mit dem Wetter hat. Zur Premiere des Stückes ist es eisekalt (für einen Juliabend). An diesen ersten Höhepunkt, die Geburt des Monsters, schließt sich die weitere Handlung an: Viktor flieht vor seinem eigens erschaffenen Geschöpf und stellt sich nach einer Hetzjagd seinem „Sohn“, um den Kampf Mann gegen Bestie zu bestreiten. Rückblickend erzählt das Monster seinen Werdegang, von seiner Suche nach Liebe und Anerkennung, nach Wärme und Nähe, die jedoch erfolglos blieb und darin endete, dass das hässliche Wesen eine Spur der Verwüstung hinter sich herzieht.

Monster ohne Tragik

Bis dahin enthält das Stück zumindest einige Szenen, die tatsächlich ans Herz gehen. Die Begegnung mit einem alten blinden Mann etwa, der das Monster nicht sehen kann und ihm vielleicht nur deshalb etwas Menschlichkeit beizubringen vermag, ist anrührend. Auch der Tod der tragischen Figur Justine, die eines Mordes angeklagt wird, den sie nicht begangen hat, und daraufhin von einem aufgebrachten Mob gelyncht wird, hat etwas Bewegendes. Leider ergibt sich aus dem Erzählten aber kein flüssiger Zusammenhang. Ein Gefühl für die Gesamttragik der Figur des Monsters stellt sich nicht ein. Mag sein, dass das an den Umbauvorgängen während der Szenen liegt: Ständig sind Menschen auf der Bühne unterwegs, um Tische umzustellen, Kreuze in den Boden zu rammen oder Kerzen zu verteilen. Zwar sind sie nett, im Sinne der Zirkusrahmung, angezogen, allerdings machen sie es einem schwer, sich auf das Bühnengeschehen zu konzentrieren.Wenig Innovation ist erkennbar – „Frankenstein“ ist genau so dargestellt, wie man es erwartet hat: mit Blut, Brutalität und moralischer Tragik. Kaum etwas ist überraschend, es sind keine großartigen metaphorischen Übertragungen oder gewitzte Anspielungen zu erkennen. Es fehlt an Inhalt und Zusammenhang. Wer ist diese Zirkusdompteurin? Laut Programmheft ist auch die Rolle der Mary Shelley, der Autorin von „Frankenstein“, besetzt. Ist sie das? Wohin verschwindet sie zum Ende des Stückes? Nur ein Aspekt der Inszenierung vermag über die Langeweile hinwegzutrösten, das dafür auch mit umso grandioserem Unterhaltungswert: die Arbeit der Kamerakakerlake. In einem braunen Ungezieferkostüm ist ein Kameramann permanent damit beschäftigt, das Bühnengeschehen mit der Linse aufzunehmen und mittels beeindruckender Effekte zu verwandeln. Eine Leinwand beispielsweise, auf der ein sprudelnder Wasserfall zu sehen ist, ein davorgestelltes Aquarium und ein Mädchen, das dazwischen platziert wild mit den Armen fuchtelt, erzählen, wie Frankensteins Monster das Mädchen vor dem Ertrinken bewahrt. Oft kommt noch ein zweiter Kameramann hinzu, wodurch famose Überblendungseffekte geschaffen werden: Besonders atmosphärisch ist zum Schluss das Filmen von Staub, das über die Aufnahme eines Schieferberges gelegt wird. Wie Schnee rieseln die angestrahlten Körnchen zu Boden und bilden einen hübschen Kontrast zum sonst derben Geschehen auf der Bühne. Technik und Schauspiel sind interessant verwoben und ergeben schöne Bilder – wären sie durch mehr als nur den chronologischen Ablauf des Geschehens verbunden worden, hätte man sich eher an ihnen erfreuen können. So setzt sich eins ans andere und weil er nichts zu übertragen hat, kann der Theaterzuschauer getrost den Kopf ausschalten.Vielleicht sind es gerade Sätze wie „Das Leben ist ihm teuer, auch wenn es nur eine Anhäufung von Qualen darstellt.“, die einen seufzen und sich daran erinnern lassen, dass das Ganze irgendwie doch angepasste Abendunterhaltung sein will. Oder nicht? Es wird nicht ganz klar, ob das Stück Fünfziger-Jahre-Klamauk sein möchte (dazu gibt es zu wenige Witze) oder anspruchsvolles tragisches Theater (dazu fehlt die Emotion). Luftiges Sommertheater und ein schwerer Stoff lassen sich offensichtlich in diesem Stück nicht vereinbaren. Nicht einmal am Ende wird klar, ob die Theatermacher den Zuschauer fröhlich unterhalten oder zum Nachdenken bringen wollten. „Frankenstein“ plätschert aus, der Doktor stirbt und das Monster schreit sich die Seele aus dem Leib. Der Zuschauer denkt sich „Na und?“ und trinkt noch einen Schluck Tee. Im Vergleich zu vorangegangenen Jahren bleibt der große Knall irgendwie aus. Die Zeit vertrieben hat das Stück schon. Unterhalten weniger. Und die Erwartungen, dass nun bald etwas passieren müsse, werden nicht befriedigt. Als man den Theatervorplatz verlässt, wartet man immer noch.

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