Jenaer Student berichtet über Erasmus-Semester in Athen
Das Gespräch führte Jan-Henrik Wiebe
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Touristen genießen die schönen Aussichten – die Griechen wohl eher nicht. Foto: Jan-Henrik Wiebe |
Das Erasmus-Programm gibt Studenten die Möglichkeit im Ausland zu studieren. Jonathan Eibisch aus Jena hat sich für Griechenland als temporären Studienort entschieden, da das Land sich gerade im Umbruch befindet. Seit drei Monaten studiert er in Athen. Der Politikwissenschafts- und Soziologiestudent sprach mit dem Akrützel über Krise und Protest.
Immer wieder wird im Zusammenhang mit Griechenland von Korruption gesprochen. Gibt es die auch an der Uni? Werden auch Professoren bestochen, um gute Noten zu bekommen?
Ja, aber ich bin selber immer fleißig und schreibe ordentlich Hausarbeiten (lacht). Ich weiß nicht, ob es so läuft mit Geld bei Prüfungsleistungen, das denke ich eher weniger. Aber was es zum Beispiel gibt, ist, dass Professoren ein Buch schreiben, das alle im Seminar kostenlos bekommen, weil es der Staat bezahlt – so haben die Professoren daran verdient. Jetzt ändert sich das.
Gibt es diese Spaltung auch in der Gesellschaft?
Ja, auf jeden Fall. Wenn man aber die Frage stellt, muss man wie auch bei der Korruption lernen und verstehen, wie Griechenland davor funktioniert hat. Nämlich, dass es ganz starke Konflikte in der Gesellschaft gibt, schon von der Geschichte her. Viele Konfliktlinien sind es, die sich in der griechischen Gesellschaft bis heute durchziehen. Deswegen ist sie auch keine simple Zweiklassengesellschaft, sondern eine aus vielen Splittergruppen. Im Moment steht aber vor allem die Frage: Sich den Sparmaßnahmen unterwerfen oder Widerstand leisten?
Wie wirst du von den Griechen als Deutscher wahrgenommen?
Ich war am Anfang unsicher, ob das so hinhaut, es kam zwei- bis dreimal vor, dass ich wegen meiner Herkunft angemacht wurde. Zum Beispiel bei einem Bäcker, wo ich schon zwei Mal war, der mich beim dritten Mal angesprochen hat und mich dann fragte, woher ich denn kommen würde. Als ich ihm antwortete, dass ich aus Deutschland komme, sagte er: „You know, Merkel fucked us!“ Aber es war in dem Moment kein Scherz, sondern sehr aggressiv. Nicht gegen mich persönlich, aber es war einfach eine Äußerung aus großer Frustration. Ich war überrascht, wie informiert die Leute sind, weil jeder merkt, dass sich in der Krisensituation etwas verändert. Man kriegt es einfach mit, wenn man auf die Straße geht oder seinen Job verliert, beziehungsweise weniger verdient. Alle Griechen, die ich getroffen habe, haben nichts gegen Deutsche an sich, sondern gegen die Politik, die in Berlin und Brüssel betrieben wird.
Gibt es andere Protestformen als in Deutschland? Organisieren sich die Gruppen anders?
Es gibt hier, so ist zumindest mein Eindruck, eine wesentlich stärkere Gruppenmentalität. Wenn man von diesem oder jenem überzeugt ist, dann geht man da halt auch mit. Ich empfinde es insofern eher positiv, dass die Menschen viel dabei sind. Aber die, die Molotow-Cocktails werfen, die sind jetzt in Anführungsstrichen nicht normal. Es ist hier erlaubt Stöcke und Helme mit zur Demo zu nehmen. Das ist schon was anderes, aber auch notwendig. Jede Organisation, die eine Demo macht, hat mindestens zehn Leute mit Stöcken dabei, falls Faschos kommen und es Ärger gibt. Ich war jetzt auf sechs Demonstrationen und nur auf der letzten kamen die Stöcke zum Einsatz, als die Polizei ein wenig Stress machte. Allerdings finden hier nicht jeden Tag Demos statt, es gibt auch normales Leben. Die Frage ist, was demnächst geschieht, wenn die nächsten Sparmaßnahmen kommen. Es ist wichtig zu verstehen, dass es hier nicht nur um Griechenland, sondern um Europa insgesamt geht.