Gleichgültigkeit und Grauzonen

Der Aufstand in der Hilfskraft-Hölle bleibt aus

Studenten gelten gemeinhin als recht streitlustiges Volk. Der Wille zum Widerstand endet aber, wenn es um das eigene Karrieresprungbrett geht. Unkraut jäten, das Ego des Professor pflegen und Excel-Tabellen füllen – natürlich schlecht bezahlt – so sieht das Aufgabenprofil eines Traumjobs aus. Studentische Hilfskräfte in Jena verdienen gerade mal 7,45 Euro brutto. Das ist zwar mehr als Studenten hier in manch einem anderen Job erhalten würden, allerdings immer noch unter dem Tarif, den Angestellte verdienen. Als leuchtendes Beispiel für die Situation der studentischen Beschäftigten muss immer Berlin herhalten: Außer in der Hauptstadt fällt die Beschäftigungsgruppe der studentischen Hilfskräfte in keinem Bundesland unter einen Tarifvertrag. Dort bekommen studentische Hilfskräfte ganze 10,98 Euro, Stellen müssen ausgeschrieben werden und Beschäftigungsverhältnisse sind weniger stark befristet.

Allerorts herrscht Genügsamkeit

Viele studentische Mitarbeiter der FSU sind dennoch zufrieden. So auch Felix Riedel, der bei Prof. Juliane Köster am Lehrstuhl für Fachdidaktik Deutsch arbeitet. Er muss Bücher beschaffen, Kopien anfertigen, Reader erstellen, oder Fragebögen formulieren und auswerten. Ein großer Teil von Felix Beschäftigung besteht außerdem darin, seiner Professorin konstruktives Feedback zu anliegenden Fragestellungen zu geben. An seinen Job ist er durch Nachfrage gekommen: „Ich hatte eine Vorlesung bei ihr und habe mich nach einer freien Stelle erkundigt.“ Für ihn zählt das Motto „Wer nicht fragt, der nicht gewinnt“. Die Bezahlung scheint ihm wenig beklagenswert.
Frau Köster bestätigt, dass sie engagierte Studenten anspreche, oder auch auf Nachfrage Stellen vergebe, Ausschreibungen gibt es aber nicht. Für sie stellen studentische Hilfskräfte eine Art Luxus dar. „Es ist ein Privileg, die Unterstützung von Hilfskräften und Tutoren zu haben. Das schafft Freiraum für Konzeptionelles.“ Zudem lässt sie ihre studentischen Hilfskräfte auch an Projekten teilhaben: „Entscheidend ist, dass die studentischen Mitarbeiter einbezogen werden und wissen, worin ihr Beitrag zum Projekt besteht und dass ihre Perspektive gefragt ist.“
Zufrieden mit seiner Stelle zeigt sich auch Sebastian Deutschmann, der das Modul Neue Deutsche Literatur I im letzten Semester als Tutor betreute. Hier hatte er einen pauschalen 20-Stunden-Vertrag. Bei zehn einstündigen Tutorien im Semester bleibt noch eine Stunde zur Vor- und Nachbereitung je Sitzung. Das sei jedoch völlig utopisch, so Sebastian, wenn alle Materialien neu vorbereitet werden müssen. Allerdings ist das für ihn kein Problem: „Man macht das nicht des Geldes wegen.“ Studienrelevante Inhalte zu vermitteln ist für ihn ein Eigengewinn, der die Bezahlung in den Hintergrund treten lässt.
Sarah* arbeitet am Institut für Slawistik und ist weniger zufrieden. Ihr Job als studentische Hilfskraft war zwar ausgeschrieben, allerdings stimmen die tatsächlichen Anforderungen nicht mit der Stellenbeschreibung überein. Da sie den technischen Herausforderungen ihrer Stelle nicht gewachsen war, konnte sie ihr Projekt nicht fertigstellen. Aufgrund einer Fehlinformation der Instituts-Sekretärin war sie bei der Bewerbung außerdem von einem höheren Gehalt ausgegangen. „Sie hat mir gesagt, dass ich 9,50 Euro verdiene.“ Sarah hatte zu diesem Zeitpunkt einen Nebenjob, bei dem sie 12 Euro die Stunde erhielt und den sie kündigte. „Und dann habe ich in dem Vertrag gesehen, dass ich nur 7,45 Euro bekomme“, fügt sie enttäuscht hinzu.

Männer stellen Männer ein

Meist werden die Stellen jedoch nicht offiziell ausgeschrieben, sondern unter der Hand vergeben. Dass diese Praxis üblich ist, gibt sogar die Personalabteilung der FSU ganz offen zu. Auf dem Stellenmarkt der Uni-Homepage herrscht gähnende Leere. In Gesprächen mit Fachschaftsratsmitgliedern verschiedener Institute zeigt sich auch, dass offene Ausschreibungen eine Seltenheit sind. Oft kommen sie durch ihre Vernetzung selbst sehr viel einfacher an Tutorenjobs und Stellen für studentische Hilfskräfte als andere Studenten.
Diese Vergabepraxis wird von Mike Niederstraßer vom Stura scharf kritisiert: „Ein solches Selbstergänzungsprinzip neigt nun einmal dazu, homogene Gruppen zu schaffen.“ So stellen zum Beispiel Männer auch eher Männer ein. Die Problematik ist am Politikwissenschaftlichen Institut wohl bekannt. Professor Rafael Biermann hält die Vergabe per Ausschreibung für „fairer“. So habe man dies versucht: „Allerdings hat der enorme Aufwand der Sichtung aller Bewerbungsunterlagen und der Einladung zu Auswahlgesprächen dazu geführt, dass wir in Einzelfällen, wo wir gute Kandidaten aus den Seminaren persönlich schätzen gelernt haben, diese auch konkret ansprechen.“
Mike verweist auch auf die Rolle studentischer Arbeit als Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn. „Einen Zugang zur akademischen Karrierewelt erhalten nur die, die grundsätzlich ausreichend versorgt sind.“ Nur finanziell besser gestellte Studenten können sich einen Luxus wie diese Tätigkeit leisten.
Die weit verbreitete Zufriedenheit reicht nicht bis auf den Beutenberg. Tim* ist studentische Hilfskraft für das an der Ernst-Abbe-Fachhochschule beheimatete Kompetenznetzwerk Gesundheit und Arbeit. Er klagt: „Du wirst ins kalte Wasser geworfen und musst dich zurechtfinden.“ Erstaunlicherweise beschwert sich Tim nicht über den Stundenlohn von 6 Euro. Schließlich sei es in seinem Fall lediglich stupide Recherchearbeit, die jeder tun könne. Auch die Betreuung lässt zu wünschen übrig.Er habe keinen direkten Ansprechpartner, an den er sich bei Fragen wenden kann.
Fragen bleiben auch beim FH-Stura unbeantwortet. Dort habe sich noch niemand intensiv mit diesem Problem beschäftigt, daher der Verweis auf die Hochschulleitung. Fachhochschulstudenten müssten sich also bei Problemen direkt an ihren Arbeitgeber wenden. Die Frage nach einer Vertretung ist auch an der Uni völlig ungeklärt, hier schiebt man sich die Verantwortung gegenseitig zu. Der Personalrat erklärt, dies sei Aufgabe des Stura. Dort fühlt man sich dagegen zumindest zuständig. Obwohl auch Mike Niederstraßer zugeben muss: „Rechtlich verantwortlich ist keiner.“ Hier sieht er das Versäumnis aber auch auf Seiten der studentischen Beschäftigten: „Solange niemand seine Rechte einfordert, wird sich auch an der Situation nichts ändern.“ Wenn alle so zufrieden sind und die Zustände hinnehmen, sieht der Stura wenig Chancen auf Veränderung.
Mike schlägt drei Anlaufstellen vor: Wer interessiert ist und sich bezüglich seiner Stelle informieren möchte, der ist beim Stura willkommen. Außerdem gibt es noch die Alternative sich in der GEW, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Hilfestellung geben zu lassen. Bei bestimmten Fällen empfiehlt er direkt zum Personalrat zu gehen. Hier beginnt bereits die rechtliche Grauzone, bei der weder der Stura noch der Personalrat selbst so recht wissen, an wen sich die Studenten wenden sollen. Dessen Vorsitzender Jürgen Rapus redet sich heraus und beruft sich auf den geänderten Paragrafen 88 des Personalvertretungsgesetzes. Dort heißt es, dass alle Beschäftigten, die gleichzeitig an der Uni eingeschrieben sind, von der Zuständigkeit des Personalrates ausgeschlossen sind. Rapus spricht von „Einzelfällen“ und sieht ohnehin „keinen Handlungsbedarf durch diesen Paragrafen“.
Eine weitere rechtliche Stolperfalle stellt die Art der Arbeit dar. So besteht für studentische Hilfskräfte die Vorgabe, eine zumindest wissenschaftsnahe Tätigkeit auszuüben. Zugleich nimmt ihnen besagte Klausel aber auch die Zugehörigkeit zur Tarifvereinigung der Länder. Unter diese fallen Aushilfen, die keine akademische Arbeit ausüben, die letztlich aber besser verdienen als studentische Hilfskräfte. Das führt zur paradoxen Situation, dass wissenschaftsnahe Tätigkeit geringer vergütet wird als die Arbeit von Aushilfen.

Urlaub unerwünscht

Dass die studentischen Hilfskräfte nicht gegen die Ungleichbehandlung protestieren, versteht auch Mike vom Stura nicht. Er vermutet Angst um den Verlust des Jobs und Gleichgültigkeit als Ursache. Die verbreitete Unkenntnis über die eigenen Rechte bestätigt auch Jörg Hänolds Aussage, der beim Universitätsprojekt Lehrevaluation arbeitet und gesteht: „Ich habe durchaus einige Informationsdefizite, was die Hintergründe meines Arbeitsverhältnisses anbelangt.“
Für Mike hat sich darum die Situation in letzter Zeit in keiner Weise verbessert. „Solange es keine größere Bewegung dagegen gibt, sehen die Hochschulen überhaupt keinen Änderungsbedarf.“ Dabei gebe es selbst bei der bestehenden Gesetzeslage einen Auslegungsspielraum. Dieser werde allerdings oft zulasten der studentischen Beschäftigten ausgenutzt, so Mike weiter. Die Uni verschenkt hier nichts. Selbst den Urlaubsanspruch von 26 Tagen im Jahr nehmen die meisten nicht wahr, oft weil sie davon gar nichts wissen. Wer den nicht einfordert, schenkt wiederum einen Teil seiner Arbeitszeit der Uni.
Die Arbeit, die Caroline Baumgart in der Ökologie erledigt hat, lässt sich kaum als wissenschaftlich bezeichnen. Sie war für einen Monat als studentische Hilfskraft in einem Projekt zu Biodiversität beschäftigt – zum Unkrautjäten. Von diesen Grenzfällen weiß man beim Stura: An die hundert Hilfskräfte in der Biologie sind mit dieser Aufgabe betraut, gesteht Mike stirnrunzelnd zu.
Die strikte Aufgabentrennung zwischen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Arbeit mahnt auch Jürgen Rapus vom Personalrat der Uni an: „Wenn sich die studentischen Hilfskräfte vertiefend mit den Inhalten des Studiums beschäftigen, ist das natürlich okay. Wenn aber tarifliche Arbeitsplätze aus Einsparungsgründen mit studentischen Hilfskräften besetzt werden, sehen wir das schon sehr kritisch. Es muss immer eine hilfswissenschaftliche Arbeit vorliegen.“
Überraschenderweise sind die Studenten weitgehend zufrieden mit einem unterbezahlten Job, ob er ihrer Qualifikation entspricht oder nicht und trotz Mangels an einer angemessenen Vertretung. Aber erst, wenn sich hier die überfällige Frustration einstellt, sieht auch die Uni Änderungsbedarf. Dann könnte ein studentischer Hilfsjob oder eine Tutorenstelle mehr sein als ein paar Sprossen auf der Karriereleiter. In Berlin wurde übrigens der Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte vor 30 Jahren erfolgreich mittels Warnstreiks durchgesetzt und in den 80er Jahren per Tutorenstreik verteidigt.

* Namen von der Redaktion geändert.

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