Der Balanceakt

Von der Kunst, Uni-Alltag und Kinderwunsch zu vereinen

Von Maria Hoffmann



Zeichnungen: Martin Emberger

Vanessa* ist eine Studentin wie viele andere, die nach der letzten Vorlesung am Freitag mit ihren Freundinnen etwas trinken geht. Ihr junges Wesen steht in scheinbarem Gegensatz dazu, dass sie eine Tochter hat. Spicht man mit ihr über ihre kleine Familie, wirkt sie allerdings sehr bodenständig und entschlossen: „Wir haben uns bewusst entschieden“, antwortet sie auf die Frage, ob der Nachwuchs während des Studiums geplant war. Die 25-Jährige studiert Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Seit einem Jahr und zwei Monaten ist sie nun Mutter einer Tochter. Der Wechsel zwischen Kinderzimmer und Hörsaal bedeutet für sie wie für alle anderen Mütter und Väter an der FSU eine Doppelbelastung. Dennoch kann Vanessa der Situation neben der Freude am Kind Positives abgewinnen: „Der große Vorteil ist, dass mein Partner und ich in den ersten Lebensjahren sehr viel Zeit mit dem Kind verbringen können.“ Wäre sie oder der Vater berufstätig, wäre das so nicht möglich. Damit das Studium dennoch nicht auf der Strecke bleibt, ist eine gute Organisation gefragt. Ihre Stundenpläne haben sie und ihr Freund so zusammengestellt, dass sich die Veranstaltungen nicht überschneiden. Sollte es trotzdem einmal eng werden, „kommt unser Kind zu den Junikindern“. Diese Einrichtung kümmert sich stundenweise um den Nachwuchs von Studenten und Mitarbeitern der Uni. „Es ist sehr flexibel, geht zum Teil bis 20 Uhr und ist für Studenten eine schöne Lösung, wenn sie noch ein Seminar besuchen müssen“, erklärt Anja Dragowsky, Mitarbeiterin des Familienbüros der Uni, das die Junikinder ins Leben gerufen hat. Für bis zu zehn Stunden pro Woche können Eltern hier ihr Kind betreuen lassen. Vanessa hat mit diesem Angebot bisher gute Erfahrung gemacht: „Die Leute dort sind alle sehr nett. Meistens sind die gleichen Betreuerinnen anwesend, die die Kleinen auch schon kennen.“ Anika Rehe vom Arbeitskreis Studierende Eltern des Stura schätzt die Junikinder. Die ganztägige Kinderbetreuung einer Kita aber, die für Studenten mit geringem Einkommen kostenfrei ist, hält sie für die bessere Versorgung. Die Junikinder seien nur als Zwischenlösung für einige Stunden gedacht. Als Vermittler für die Plätze, vor allem in den vier Kitas des Studentenwerks, kann das Familienbüro einspringen.Der Arbeitskreis nimmt die Vereinbarkeit von Studium und Elternschaft durchaus kritisch wahr. Viele Lehrveranstaltungen würden auch nach 16 Uhr stattfinden. Eine Kita habe in der Regel aber nur bis 17 Uhr auf. Die Junikinder könnten hier einspringen, aber das nutze fast keiner. „Der Wechsel zwischen den Einrichtungen wäre für die Kinder der blanke Horror und ist oft logistisch gar nicht zu bewältigen“, sagt Anika. Dragowsky vom Familienbüro ist die Problematik, dass studierende Eltern oft nicht wissen, wie sie ihre Unipensum schaffen sollen, ebenso bekannt. Sie rät ganz offen damit umzugehen und mit den Dozenten zu sprechen. Bei argen Problemen könne auch sie vermitteln helfen. Bei Vanessa zeigten sich die Professoren bisher entgegenkommend. Ein Pflichtpraktikum konnte sie vom dritten in das sechste Semester verschieben.Doch nicht nur der Stundenplan macht studierenden Eltern zu schaffen. Viele Wege müssen gegangen, unzählige Dinge beantragt und besorgt werden. Das Familienbüro und der Stura beraten hier und können vielen zunächst Verzweifelten Hinweise geben. „Im Moment sind wir Feuerwehr für wirkliche Probleme“, beschreibt Anika ihre Arbeit. Dabei gehe es vor allem um ganz Pragmatisches: Zum Beispiel darum, was mit dem Prüfungsamt zu regeln ist und was man überhaupt alles braucht für ein Kind. Finanziell könne neben Kindergeld und Bafögverlängerung auch Unterstützung für die Baby-Erstausstattung von einer im Jenaer Familienzentrum ansässigen Stiftung beantragt werden.

Amtlicher Spießrutenlauf

Welche Behördengänge unvermeidbar oder zumindest angeraten sind, können die beiden Stellen ebenfalls erklären. Da gerade viele studentische Elternpaare unverheiratet sind, sei es bei der Vaterschaftsanerkennung zum Beispiel empfehlenswert, das geteilte Sorgerecht eintragen zu lassen. Christian, Elektrotechnikstudent an der FH Jena und Vater eines fünf Monate alten Sohnes kann nur empfehlen schon vor der Geburt diese Wege zu gehen. „Wenn das Kind dann da ist, hat man keine Nerven mehr sich auf‘s Amt zu setzen“, sagt er. Zusammen mit seiner Freundin Julia, ebenfalls Studentin, hat er sich für das Kind währed des Studiums entschieden. Alles war gut geplant. In ihre Wohnung seien sie schon mit dem Gedanken eingezogen, Eltern zu werden. „Dass man so viel Zeit mit dem Kind verbringen kann, war ein ausschlaggebender Punkt“, erklärt er. Jene Abstriche, die das Berufsleben mit sich bringen würde, wollten die beiden nicht in Kauf nehmen. „Außerdem wollten wir nicht so alt sein, wenn wir unser erstes Kind bekommen“, ergänzt Julia. Viele Freunde hätten allerdings wenig Verständis, dass sie nun nicht mehr so viel unternehmen könnten, was die junge Mutter als Nachteil empfindet. Was das Geld betrifft, haben die beiden unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Julia ist beurlaubt und könne so keine finanzielle Unterstützung bekommen, sagte ihr das Studentenwerk. Das Jenaer Familienzentrum riet ihr Arbeitslosengeld II zu beantragen, was sie nun auch bezieht. Für ihren Sohn bekommt sie Unterhalt und einen Anteil der Miete bezahlt.

„Katastrophe“ am Campus

Wenn es um Alltäglichkeiten geht, hat die Uni noch Nachholbedarf. Auch auf dem Campus kommen Eltern nicht drum herum, ihr Kind wickeln oder stillen zu müssen. Das Angebot an geeigneten Rückzugsorten ist allerdings eher spärlich. Hat die Mensa geschlossen, ist eine Behindertentoilette am Campus die einzige Möglichkeit, sein Kind zu wickeln. „Das ist eine Katastrophe. Es ist weder sauber noch gut zugänglich. Wenn draußen viele Studenten vorbeilaufen, kommt man schlecht rein und raus. Mit Kinderwagen ist das fast unmöglich“, beklagt Anika. Wie sie ist auch Janine Hofmann im Arbeitskreis Studierende Eltern aktiv. Gemeinsam mit dem Familienbüro kämpfen sie für mehr Platz und eine geeignete Ausstattung – seien es Wegwerftücher oder ein ordentlicher Stuhl zum Stillen. „Wenn mich Leute gefragt haben, wo sie denn wickeln können, habe ich sie vorzugsweise zu H&M oder zu dm geschickt.“ Im UHG gebe es einen Wickel- und Stillraum, der auch sehr schön gestaltet ist. Doch wenn hunderte Studenten über den Köpfen von Mutter und Kind die Treppe herunterrennen, ist es mit der entspannten Zweisamkeit schnell vorbei. Damit das an einer Hochschule, die sich als familienfreundlich bezeichnet, bald der Vergangenheit angehört, erarbeitete der Arbeitskreis selbst ein Konzept. Das Studentenwerk habe sich daraufhin jedenfalls bemühter gezeigt, die Situation zu verbessern als die Uni.

Brunch und Yoga

Wenn es darum geht, die Freizeit zu gestalten, scheint es für junge Eltern in Jena traumhafte Bedingungen zu geben. Kurse werden en masse angeboten: Vom Babyschwimmen über Yoga bis zur musikalischen Früherziehung gibt es alles. Kinderbasare und Flohmärkte bieten Gelegenheiten, die zu klein gewordenen Babysachen loszuwerden und sich mit neuen einzudecken. Anja Dragowsky ist besonders stolz auf den Familienbrunch an der Uni, der nun seit drei Jahren regelmäßig veranstaltet wird: „Das ist eine Veranstaltung, die mir sehr am Herzen liegt“, sagt sie und freut sich über die rege Teilnahme von Studenten und Uni-Mitarbeitern. Zusammen mit dem Arbeitskreis des Stura fasst sie aber eine weitere Veranstaltungsreihe ins Auge, die vor allem dem Netztwerken dienen soll. Die sogenannte Familienzeit soll ab dem 27. Juli alle zwei Wochen freitags stattfinden. Anika begründet diese geplanten Treffen vor allem damit, dass viele zwar außerhalb der Uni Krabbelgruppen besuchen, es dort aber „Identifikationsschwierigkeiten“ geben kann. „Das soll eine Plattform sein, um sich im Uni-Kontext zu verständigen.“

Bedarfsgerechte Betreuung

Allerdings sind nicht nur Studenten auf Hilfe angewiesen. Zu Anika und Janine kommen auch schon mal Mitarbeiter der FSU. Praktisch gesehen würden die den Babysitterservice des Arbeitskreises gern in Anspruch nehmen. Eine ganze Kartei mit Kontaktdaten haben sie hier zusammengestellt und geben auf Anfrage die passenden weiter. „Wir haben auch schon Ärzte und Professoren mit Babysittern versorgt“, sagt Anika. Studenten würden das Angebot kaum nutzen, da Babysitter ihnen zu teuer seien. Vordergründig ist das Familienbüro die Anlaufstelle für Mitarbeiter, die gerade Eltern geworden sind. Häufig fragen diese, wann der Vorgesetzte von der Schwangerschaft erfahren müsse und was für Auswirkungen das haben kann. „Man sollte das schnellstmöglich mitteilen, damit der Mutterschutz gewährt werden kann“, rät Dragowsky. Gerade bei befristeten Verträgen sei dies wichtig. Denn so kann das Arbeitsverhältnis nicht bereits während der Schwangerschaft beendet werden. Im Mittelbau ist eine solche Beschäftigungssituation gang und gäbe, was oft zu prekären Verhältnissen führt und gerade für junge Eltern Schwierigkeiten bedeutet. Viele in der Wissenschaft Tätige schieben darum den Kinderwunsch lange hinaus. Heute gelten Frauen ab 35 Jahren als spätgebährend. Im Mittelbau betrifft das 20 Prozent der Mütter unter den Professorinnen sogar 39 Prozent. In ihrer Unterstuchung zum Thema Eltern in Wissenschaftsberufen hat dies die emeritierte Soziologin Sigrid Metz-Göckel ermittelt. Was die Gründe betrifft, ist sie überzeugt: „Es sind nicht die rein materiellen Faktoren, es ist die Unsicherheit.“ Die Forscher hangeln sich von einem Projekt zum nächsten. Die Hochschule müsse die Beschäftigungsverhältnisse beständiger machen. Bedarfsgerechte Kinderbetreuung für Wissenschaftler und auch Studierende sei hier unabdingbar. „Da sehe ich aber gute Entwicklungen“, ergänzt sie. Dies würden Berichte des Wissenschaftsrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigen.

„Man findet einen Weg“

Eine Analyse der Graduierten-Akademie der FSU zur Situation der Postdoktoranden kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: 60 Prozent sind in den ersten drei Jahren nach der Promotion kinderlos. Es geben allerdings sowohl bei den Männern, als auch bei den Frauen etwa ein Drittel in den ersten vier Jahren nach der Promotion an, in der nächsten Zeit gern Kinder haben zu wollen. Eine Diskrepanz zwischen privaten Interessen und dem wissenschaftlichen Karriereverlauf. Wie zufrieden die Postdocs mit ihrerer Arbeit sind, hängt demnach auch damit zusammen, wie familienfreundlich ihre Situation ist. Neben Studenten würden auch Mitarbeiter die Junikinder in Anspruch nehmen, wenn sie noch ein Seminar geben müssen. Anja Dragowsky kann nicht von großen Problemen der Mitarbeiter berichten. „Es gibt für alles Regelungen und da findet man auch einen Weg.“ Wichtig sei, überhaupt erst auf sie zuzukommen. Anika ergänzt: „Es gibt sehr viele Anlaufstellen für ganz unterschiedliche Sachen.“ Doch nicht selten würden verschiedene Berater keine einheitlichen Informaionen geben. Alles müsse mehr gebündelt werden. Die Entscheidung, ob ein Kind während des Studiums richtig ist, kann eine Beratungsstelle jedoch niemandem abnehmen. Während man im Studium dem Geld hinterherrennt, ist es im Beruf die Zeit mit dem Kind. Christian macht die Entscheidung von der persönlichen Einstellung dem Leben gegenüber abhängig: „Es kommt darauf an, was man für ein Typ ist. Manche wollen im Studium noch Party machen und warten, bis sie fest im Beruf stehen.“ – „Wir haben genug Party gemacht“, fügt Julia leise lachend hinzu.

* Namen von der Redaktion geändert.



Zeichnungen: Martin Emberger
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