„Äste des Dornbusches“

Wolfgang Frindte im Gespräch über Folgen eines Medienhypes

Das Gespräch führten Maria Hoffmann und Daniel Hofmann




Der Kommunikationspsychologe Wolfgang Frindte beschäftigt sich momentan mit der Wirkungen von Nachrichten über Terrorismus. Mit Akrützel sprach er darüber, wie die jüngsten Medienereignisse in Jena nachwirken können, über die Tricks die es braucht, um dramatische Fernsehbeiträge zu produzieren, und was die Jenenser jetzt unternehmen sollten.Foto: Daniel Hofmann

Nachdem die Terrorzelle aufgedeckt wurde, wurden in Jena recht schnell mehrere Veranstaltungen, zum Beispiel ein großes Rockkonzert, organisiert. Wie ist dieses zügige Vorgehen der Initiatoren zu werten?

Da tut sich dann ein ganzer Dornbusch auf mit heiklen und schmerzhaften Fragen und Antworten. Wie kommt sowas zustande? Was hat mich als Jenaer bewogen, so wütend zu werden? Denn ich gehöre zu den Unterzeichnern des Protestes. Was hat die Veranstalter dazu geführt, so ein riesiges Konzert zu organisieren?
Solche Diskussionen gibt es auch mit Recht, und man sollte die unterschiedlichen Sichtweisen zulassen. Das haben wir lange Zeit nicht getan. Es gibt Auffassungen wie: Das ist ja nur Verantwortungsabwehr, indem wir uns als die Guten darstellen. Das Image unserer Stadt ist das Entscheidende und wir vergessen dabei vielleicht ganz andere Dinge.

Was haben solche medialen Inszenierungen wie das Konzert oder die Podiumsdiskussion für Folgen?

Ein gutes Beispiel sind die Lichterketten in München Anfang der neunziger Jahre. In den Monaten davor gab es Angriffe in Rostock, Lichtenhagen und Hoyerswerda auf Ausländerwohnheime. Und es gab die mit Morden verbundenen rechtsextremen Attacken in Mölln und Solingen.
Ein Kollege aus der Medienwissenschaft hat statistische Vergleiche angestellt und geschaut, ob danach die fremdenfeindlichen Gewalttaten angestiegen oder zurückgegangen sind. Nach Rostock und Hoyerswerda stiegen sie an, nach Mölln und Solingen gingen sie zurück.
Die Rechtsextremen sind zum Teil heute noch der Meinung, sie sind die Speerspitze einer schweigenden Mehrheit. Das ist ihnen in der die Berichterstattung über Rostock und Hoyerswerda auch vermittelt worden. Der Spiegel hat einem jungen Mann in Rostock fünf Mark bezahlt, damit er den Hitlergruß zeigt, und das konnte man wunderbar ablichten. Außerdem ist hier nicht nur ein rechtsextremer Mob am Werk, sondern da gibt es die Bystanders, wie man in der Psychologie sagt, die danebenstehen und applaudieren.
Nach Mölln und Solingen gab es die Lichterketten. Sie haben den Rechtsextremen gezeigt, dass es durchaus eine couragierte Mehrheit gibt, die sich gegen sie stellt. Das ist ein Hinweis darauf, dass solche medialen Inszenierungen zumindest für einen gewissen Moment eine positive Wirkung haben können.

Können die aktuellen Ereignisse etwas ähnliches bewirken?

Das Konzert kann diese positive Wirkung haben und man sollte es nicht schlechtreden. Es gibt Verbrüderungen über die Generationen hinweg und man stellt implizit fest: Es sind nicht nur die engagierten jungen Leute, sondern die alten Säcke sind auch dabei. Nicht nur, weil sie den Lindenberg mögen. Es entsteht ein Gefühl der Solidarität. Jetzt kommt es darauf an, wie man das praktisch umsetzt.
Katharina König hat auf dem Podium gesagt, eigentlich müssten sich die 4.500 schämen, die die Petition unterschrieben haben und dann zum Großteil nicht zu der Gedenkveranstaltung für Opfer rechter Gewalt gegangen sind. Das ist aber ein normales Phänomen. Es gibt Hemmschwellen und situative Bedingungen, die es nicht möglich machen, dass ich mich auch noch auf die Straße stelle, weil ich vielleicht ein Seminar oder andere Dinge zu tun habe. Es gibt Leute, die sich in so einer Inszenierung solidarisch fühlen und eine kleinere Gruppe, die aktiv wird.

Wie ist es mit dem Aspekte-Beitrag?

Über die Wirkung des Beitrags kann man nur spekulieren. Ein großer Kritikpunkt ist berechtigterweise, dass die entscheidenden Statements, die am Image der Stadt rühren, aus dem Off kommen und nicht von Uhly. Auch bei anderen Aspekte-Sendungen kommen die entscheidenden Informationen aus dem Off. Der Protagonist gibt nur die Bildinformation dazu. Zum Beispiel: Ich bin in Jena. Bezüglich der Botschaft, die dieser Bericht eigentlich haben sollte, ist es handwerklich ganz schlecht gemacht.

Wenn es um die Stilmittel geht: Zielen die Öffentlich-Rechtlichen auch verstärkt auf Emotionen und biedern sich damit dem Privatfernsehen an?

Unsere und die nationalen Befunde generell zeigen, dass es eine Angleichung der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender auf der Unterhaltungsstrecke gibt. Das hat etwas mit starker Emotionalisierung und Dramatisierung zu tun. Wir finden das nun auch auf der Ebene der Nachrichtenproduktion. In diesem Filmbeitrag sind solche Stilmittel ebenfalls eingesetzt worden, zum Beispiel ein starker Versuch, authentisch zu erscheinen, nämlich das Vor-Ort-Filmen. Diese Authentizität kann auch vergewaltigt werden. Als normaler Rezipient reflektiere ich nicht sofort, dass solche Bilder gestellt sein können. Da könnte man jetzt vermuten, es war wiederum handwerklich geschickt, denn die Aussage sollte sein: Du landest in Jena und empfindest sofort Angst vor dem rechtsextremen Mob. Dann kannst du nicht die schönen Fassaden filmen, sondern musst die braunen Ecken zeigen.
Auch die Geschichte in sich ist nicht schlüssig. Steven Uhly kommt an und es soll ihm Angst vermittelt werden. Im Filmbeitrag gibt es aber kaum deutliche Hinweise darauf, dass Migranten unbedingt Angst empfinden müssen. Man hat den NPD-Aussteiger sagen lassen, hier muss man Angst haben. Aber der ist kein Augenzeuge, sondern äußert sich nur stellvertretend.

Entspricht sowas noch dem journalistischen Qualitätsanspruch?

Wenn ich eine Nachrichtensendung als Unterhaltungssendung gestalte, passt das nicht zueinander. Für gute Medienproduktion bleibt das entscheidende Kriterium die Botschaft. Sie entscheidet, in welchem Format ich sende. Format und Inhalt müssen kohärent sein und zueinander passen. Das funktioniert da eben nicht. Die Million, die diese aspekte-Sendung guckt, hat besondere sozial-demographische Beschaffenheiten. Da kann ich nicht simple Tricks nehmen, die in einer Unterhaltungssendung oder der Bild-Zeitung funktionieren, um eine durchaus anspruchsvolle Sendung, die meine Aufmerksamkeit erfordert, zu untermalen.

Im Chat während der Podiumsdiskussion wurde die Frage gestellt, ob diese Runde auch ohne die Kettenreaktion nach dem Beitrag zustande gekommen wäre. Wäre das anders denkbar gewesen?

Aktuell ist das ein Prozess, bei dem man nicht genau weiß, wo er hinläuft. Man kann es erst im Nachhinein interpretieren. Es gibt kleine Schlüsselereignisse – in der Medienwissenschaft heißen sie Key-Events –, die zum Teil zufällig sind. Dass Aspekte diesen handwerklich schlechten Beitrag gemacht hat, zum Beispiel. Dann wird die Diskussion erstmal in eine bestimmte Richtung getrieben. Insofern muss man im Nachgang sagen: Ist doch gut, dass dieser Bericht so gesendet wurde und dass danach diese Diskussion entbrannt ist.

Wie lange können solche medialen Ereignisse wirken?

Medienwissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass solche Medienhypes in der Regel drei bis vier Wochen anhalten. Da berichten die Medien sehr intensiv und es gibt viele Publikumsreaktionen. Danach geht das zurück. Das Bundeskriminalamt wird weiter ermitteln und irgendwann hören wir vielleicht Zwischenergebnisse. Die Politiker werden sich nicht mehr so äußern müssen wie bisher. Der Regierungssprecher muss sich nicht mehr um das Image des Freistaates kümmern. Jetzt muss man versuchen, aus dem Hype Konsequenzen zu ziehen, die wiederum in unterschiedlichen Richtungen der Äste dieses Dornbusches gehen. Da haben die Polizei, die Politiker und auch wir Wissenschaftler Konsequenzen zu ziehen, ebenso wie die Initiativen und die Medienmacher. Ich würde mir wünschen, dass das der Anlass ist, sich grundsätzlich offener und ohne politische Machtspiele mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, in welche Richtung es sich wahrscheinlicher bewegen wird? Neigt der Mensch eher dazu, nach einer gewissen Zeit zu verdrängen?

Bei solchen historisch und politisch sehr aufgeladenen Geschehnissen gibt es eine ganze Reihe von Befunden, dass die Mehrheit dazu neigt, es zu verdrängen. Dazu gehört nicht nur, dass man es in die tiefen Schächte seines Langzeitgedächtnisses packt, sondern auch, dass wir im Umgang miteinander solche Symbolhandlungen vollziehen und dann davon ausgehen, es hat sich jetzt erledigt. Wenn wir jetzt am laufenden Band Rockkonzerte veranstalten würden, dann hätten wir das eigentliche Ziel verfehlt. Man kann nicht Aktionen so planen, dass man zielgerichtet Wirkung erwarten kann. Es ist relativ offen. Das hat auch einen Vorteil: Es läuft nicht mehr in den bisherigen Bahnen. Man könnte auch sagen, es geht mir langsam auf den Geist, dass die OTZ ständig neue Erkenntnisse publiziert, die wir schon aus dem Fernsehen kennen. Ja, die tun das, um Marktanteile zu sichern. Auf der anderen Seite gibt es aber den sekundären Mehrwert. Sie halten das Thema im Bewusstsein der Bevölkerung. Das ist das Entscheidende. Dass es nicht beim Medienhype bleibt, sondern dass es langfristige Konsequenzen hat.

Was hat mehr Möglichkeiten und Wirkung: Das Konzert, das die Massen erreicht, oder die Initiativen, die sich jetzt präsentieren und schon länger gegen rechts arbeiten? Bekommen diese durch die Medienereignisse vielleicht ein paar von den 45.000 Jenaer Bürgern ab?

Ohne Weiteres nicht. Da müssen sich die Initiativen auch weiterhin kümmern. Die ersten Anti-Nazi-Demos waren auf dem Markt und da waren vielleicht 100 Leute dabei. Eigentlich haben sich nur durch die Initiativen zunehmend die Massen vergrößert. Beim Fest der Völker waren es ja 3000. Das ist kein Selbstläufer gewesen, sondern da haben die Aktionsbündnisse gerudert, um die Leute ranzuholen. Das muss auch weiter gemacht werden. Auf der anderen Seite haben die aktuellen Medienereignisse nochmal auf diese Initiativen aufmerksam gemacht und sie ermutigt.

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